Fußball

"Schlimmer kann es nicht werden" Hansi Flick muss sich und (fast) alles verändern

Verliert laut Umfragen an Anerkennung in der Bevölkerung: Bundestrainer Hansi Flick.

Verliert laut Umfragen an Anerkennung in der Bevölkerung: Bundestrainer Hansi Flick.

(Foto: Bernd Thissen/dpa)

Nach den drei sieglosen Testspielen der deutschen Nationalmannschaft gegen die Ukraine (3:3), gegen Polen (0:1) und Kolumbien (0:2) ist die Verunsicherung in Fußball-Deutschland groß - ebenso die Unzufriedenheit vor der Heim-Europameisterschaft im kommenden Jahr. Wie geht es weiter?

Was macht Hansi Flick jetzt? An einen entspannten Urlaub ist nicht zu denken, die sportliche Krise und die Kritik an seiner Person werden den Bundestrainer auch nach Saisonende weiter beschäftigen. Im Trainerteam wird Flick vor allem die jüngsten Rückschläge analysieren und erste Schlüsse ziehen. Möglicherweise besucht er auch die aktuell in Georgien stattfindende U21-Europameisterschaft, bei der Flick Kandidaten für den Start in die EM-Saison im September unter die Lupe nehmen kann. In aktuellen Umfragen verliert der Bundestrainer immer mehr an Zustimmung und Vertrauen bei den Fans. In unserem ntv.de-Voting sind nur noch 25 Prozent von Flick als dem richtigen Mann überzeugt. In Umfragen anderer Medien ist die Zustimmungsrate noch niedriger.

Muss Flick noch einen Rauswurf fürchten? Nein. Ein Krisentreffen der nach der verpatzten WM gegründeten Task Force wird es nicht geben, wie DFB-Präsident Bernd Neuendorf bestätigte. Flick habe ihm in einem Telefonat zudem versichert, "dass wir im September eine Mannschaft sehen werden, die anders auftritt als zuletzt". Auch Sportdirektor Rudi Völler rückte von seiner vor der jüngsten Niederlage gegen Kolumbien getätigten Jobgarantie nicht ab. Er selbst schloss Konsequenzen nach dem ernüchternden Dreierpack übrigens aus. In Gelsenkirchen, wo es die 0:2-Pleite gegen Kolumbien gab, gab er sich abermals stur von seinem Weg überzeugt - obwohl seine Experimente "in die Hose gegangen" sind, wie er selbst einräumt.

Völler hat dennoch Konsequenzen ausgerufen, was bedeutet das? Der Sportdirektor hat angekündigt, dass einige Spieler im September nicht mehr nominiert werden. Dies ist auch ein klarer Auftrag an Flick. Entscheiden muss selbstverständlich der Bundestrainer - aber die beiden sprechen hier wohl mit einer Stimme.

Wen könnte es treffen? Das ist schwierig zu sagen. Einige seien "an ihre Grenzen gestoßen", betont Völler, diese Aussage darf nun medial interpretiert werden. Vermeintliche Mitläufer auszutauschen, bringt wahrscheinlich auch nichts für den Kern der Mannschaft, sofern es denn in Zukunft einen geben wird. Ob Flick an gestandene Spieler geht, Leon Goretzka oder Leroy Sané beispielsweise, ist fraglich: Innenverteidiger Niklas Süle mit der Nicht-Nominierung und massiver Kritik zu beschädigen, war ein Eigentor.

Welche Hauptaufgaben muss Flick angehen? Die dringendste Aufgabe sei es, "einen Stamm von 10, 12, 14 Spielern dann auch wirklich festzuzurren und zu benennen", sagte Flick. Bedeutet: Die Zeit der fatalen Experimente (Stichwort Dreierkette) und des vogelwilden Testens von Spielern ist vorbei. Flick wird die Besten für das 4-2-3-1-System auswählen, andere werden das Nachsehen haben. Er wird sich auch frühzeitig zur Personalie Thomas Müller erklären müssen: Entweder der Bayern-Star ist bei ihm ein Fixpunkt bis zur EM - oder er ist endgültig raus. Und: Flick muss nach der Pause öffentlich anders auftreten. Die Durchhalteparolen müssen einer Aufbruchstimmung weichen, um die EM-Euphorie doch noch zu entfachen.

Was macht Hoffnung? Derzeit: wenig. Vier der vergangenen 16 Länderspiele hat Deutschland gewonnen - gegen eine italienische B-Elf, den Oman, Costa Rica und Peru. Die Bayern-Spieler waren schon gegen Saisonende ausgelaugt, die Dortmunder haben das Titeltrauma in den Knochen. Beides kann sich aber schnell legen. Jamal Musiala und Florian Wirtz könnten bis zur EM den nächsten Schritt gehen - und Flick ist jetzt zu einer Kompromisslosigkeit gezwungen, die er schon vorher hätte zeigen müssen.

Wie geht es für die Spieler weiter? Sie verabschieden sich in den Urlaub. Der ist nach einer sehr langen Saison mit einer in vielerlei Hinsicht höchst missratenen Weltmeisterschaft dringend notwendig. Es gilt, neue Kraft zu tanken und auch die Köpfe freizubekommen, schließlich hatten viele Spieler auch mit ihren Klubs keinen guten Saisonendspurt. Ab Mitte Juli beginnt für die Nationalspieler auf Vereinsebene die Vorbereitung auf die neue Saison - ab dann zählen auch für die DFB-Auswahl keine Ausreden mehr.

Was sagen die Experten? Die erste Forderung nach einer Trennung von Flick ist bereits ausgesprochen. Ex-Nationalspieler Dietmar Hamann sagte bei Sky: "Die Gefahr, dass das mit ihm schiefgeht, ist so groß, dass du jetzt handeln musst." Auch ein Mangel an Alternativen dürfe kein Ausschlusskriterium sein: "Schlimmer als im Moment kann es nicht werden." Rekord-Nationalspieler Lothar Matthäus würde Flick dagegen noch eine Chance geben - es sei denn, man habe intern Zweifel und einen besseren Kandidaten. "Dann muss man natürlich die Reißleine ziehen." Der frühere Bundestrainer Berti Vogts sagte dagegen auf dpa-Anfrage: "Den Hansi Flick trifft gar keine Schuld." Die Fehler seien in der Ausbildung des DFB und der Vereine gemacht worden. Bastian Schweinsteiger kritisierte in der ARD die Experimentier-Phase ein Jahr vor der Heim-EM: "Denn es entsteht auch nicht der besondere Geist, der dich als Mannschaft dann auch pusht."

Wie ist die Stimmung bei den Organisatoren der Heim-EM? Turnierchef Philipp Lahm ist besorgt. Der Ex-Weltmeister hatte die Lage schon vor der Niederlage gegen Kolumbien als "angespannt" bezeichnet. Es brauche nun "eine klare Strategie" - aber auch einen neuen Bundestrainer? Vielleicht positioniert sich Lahm diesbezüglich bei der Vorstellung des Ideenwettbewerbs zur EURO 2024 am Donnerstag in Hamburg öffentlich.

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Warum muss der DFB bei der Trainerfrage auch die Finanzen im Blick haben? Der Verband muss jeden Euro umdrehen, die finanzielle Lage ist seit Jahren angespannt. Alleine der neue DFB-Campus muss mit 18 Millionen Euro im Jahr unterhalten werden. Der Verband verzeichnete im Finanzbericht auch wegen nötiger Steuerrückstellungen ein Minus von 33,5 Millionen Euro. Für ein ganzheitliches Konsolidierungskonzept müssen einzelne Abteilungen bis Ende Juni Maßnahmen umsetzen. Mehr Geld verspricht sich der DFB aus dem neuen Grundlagenvertrag mit der Deutschen Fußball Liga. Die jetzige Vereinbarung läuft am 30. Juni aus.

Was sind die nächsten Aufgaben? Nach der Niederlage bei der WM fordert die deutsche Mannschaft in Wolfsburg am 9. September erneut Japan, drei Tage später wartet in Dortmund der Vize-Weltmeister Frankreich. Im Oktober folgt eine USA-Reise, deren Sinn jetzt schon hinterfragt wird.

Quelle: ntv.de, tno/dpa/sid

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