Fußball

Suche nach der verlorenen Gier Klopps BVB droht der Abstieg im Kopf

Am Boden: BVB-Kapitän Mats Hummels fremdelt in der Krise mit dem Team, das er führen soll.

Am Boden: BVB-Kapitän Mats Hummels fremdelt in der Krise mit dem Team, das er führen soll.

(Foto: imago/nph)

Seit Wochen steckt Dortmund mitten drin im Abstiegskampf. Doch die Pleite in Bremen zeigt, dass der BVB dort immer noch nicht angekommen ist. Die körperlichen Defizite, die Coach Jürgen Klopp als Grund für den Absturz nennt, sind nur eine Ursache. Die größte Baustelle des BVB ist der Kopf.

Nach der nächsten indiskutablen Leistung der Dortmunder bei einem direkten Abstiegskonkurrenten hat Trainer Jürgen Klopp in Bremen sehr viel geredet. Er zeigte sich selbstkritisch, warb um Verständnis, wirkte dabei aber anders als zuletzt kämpferisch, voller Tatendrang. Mit Anflügen seiner humorigen Rhetorik aus besseren Zeiten gelobte er gar baldige Besserung und versprach: "Wir werden ein erbitterter Jäger sein." Aber ein kleines Wörtchen kam nicht vor in Klopps Hinrunden-Analyse, obwohl es lange zu seinem Standardwortschatz gehört hatte: Gier.

Die Triebfeder des Klopp’schen Hochgeschwindigkeits- und Jagdfußballs ist dem BVB in einer erschütternden Vorrunde der Fußball-Bundesliga abhanden gekommen. Insofern war es konsequent, diese Baustelle auszusparen und seinem Team die verdiente öffentliche Ohrfeige zu ersparen. Es mangelt der Borussia ja nicht an offenkundigen Problemen, nur an Punkten, zumal Klopp in Bremen eine einfache Lösung parat hatte: trainieren, trainieren, trainieren. Kondition, Spielzüge, Automatismen. Und dann, so stellte es Klopp in Aussicht, werde schon automatisch wieder gut, was zuletzt oft bestürzend schlecht gewesen war: die schwache Chancenverwertung, die hanebüchenen Abwehrfehler in Serie, die mangelnde Konsequenz. Dann werde sein BVB wieder diesen überfallartigen Klopp-Fußball spielen können, der Dortmund zwischenzeitlich zur aufregendsten Mannschaft Europas gemacht hat. Dann wird sogar dieser BVB wieder gewinnen. BVB-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke betonte: "Unseren Fußball können wir nur spielen, wenn wir große Fitness haben."

Es war eine überraschend einfache Erklärung für einen Absturz, der sich in den vergangenen Monaten von einer schwarzgelben Krise zu einer hochkomplexen Katastrophe ausgeweitet hat. Massive Verletztenprobleme hatten auch Bayern, Leverkusen und Schalke, im Keller hängt aber nur der BVB. Klopps Analyse blendet aber vor allem eine Baustelle aus, die zu seinem persönlichem BER werden kann: Das offensichtliche Kopfproblem seiner Meister, Pokalsieger, Champions-League-Finalisten und Weltmeister, das sich bereits in der Vorsaison angedeutet hatte. Unter der Sonne Spaniens muss Klopp seine Mannschaft nun nicht nur körperlich in Schuss bringen. Er muss seinen einstigen Mentalitätsmonstern auch das Graubrot Bundesliga-Abstiegskampf schmackhaft machen, das sie bislang nur widerwillig annehmen.

Motivator mit Motivationsproblemen

Daran ist der als größter Motivator der Fußball-Bundesliga geltende BVB-Coach in der Hinrunde gescheitert. Erkannt hat er das Problem sehr wohl. "Mit einer vermeintlichen Spitzenmannschaft im Abstiegskampf zu stecken", sinnierte er, "ist mit Sicherheit an Herausforderung kaum zu überbieten." Zuvor war ihm im Bremer Regen die Bestürzung darüber anzusehen, wie ihn sein Team nach dem kollektiven Versagen in Berlin auch in Bremen im Stich ließ. Wie sein BVB schon nach drei Minuten jegliche defensive Ordnung verlor und sich danach nicht mehr aufraffen konnte, gegen einen qualitativ unterlegenen Gegner mit Einsatzbereitschaft und Leidenschaft dagegenzuhalten. Wie gegen die schwächste Abwehr der Liga vorn kaum Gefährliches herausgespielt und hinten Harakiri zelebriert wurde.

Wie sich der BVB erneut in das fatale Muster eines dramatischen Spannungsabfalls gegen spielerisch unterlegene Gegner fügte und dabei Leidenschaft und Einsatz, simple Grundtugenden des Abstiegskampfes, weitgehend vermissen ließ. Und wie der BVB anders als in den vergangenen Jahren nicht bereit war, fehlendes Können mit purem Willen auszugleichen und sich sein Glück so zu erzwingen. Gier auf guten Fußball, einst der Markenkern von Klopps BVB, zeigte in Bremen nur Werders junge Elf.

Viel Qualität, wenig Mentalität

In der größten sportlichen Krise seit drei Jahrzehnten tut sich der BVB abseits von verklausulierter Selbstkritik schwer mit einer öffentlichen Analyse des eigenen Versagens. Dabei sind die Motivationsprobleme der Dortmunder eklatant, sobald es gegen nominell schlechtere Gegner geht oder konkrete Reizpunkte fehlen.  "Vieles spielt sich im Kopf ab. Wenn du einmal in ein Muss verfällst …", zeigte Bremens Zlatko Junuzovic trotz der eigenen prekären Lage sogar Mitleid mit den Dortmundern. Deren Köpfe spielten zuletzt nur noch dann mit, wenn sie wirklich mussten.

Im Pokal gab man sich keine Blöße. In der Champions League siegte und konzentrierte sich der BVB so lange, bis er vorzeitig in die K.o.-Runde gestürmt war. Danach stellte er das Fußballspiel weitgehend ein wie auch fast immer in den auf CL-Sternstunden folgenden Ligaspielen. Dort setzte der jüngste Aufschwung im eigenen Stadion erst ein, als es gegen namhafte Gegner wie Mönchengladbach (1:0), Hoffenheim (1:0) und Wolfsburg (2:2) ging, nicht aber gegen Hamburg (0:1) und Hannover (0:1). Ihr mit Abstand bestes Auswärtsspiel der Hinrunde machten die Dortmunder beim FC Bayern (1:2). In Berlin und Bremen ging der BVB mit großen Vorsätzen ins Spiel und präsentierte sich dann wie ein Absteiger. Viel Qualität, trotz der Verletztenmisere, wenig Mentalität, trotz immer neuer Parolen - so könnte ein anderes Dortmunder Hinrundenfazit lauten.

BVB-Kapitän Hummels sprach in Bremen in Sachen Leidenschaft zwar von einer akustischen Täuschung zugunsten des Heimteams, "weil da einfach die Fans lauter sind bei einem gewonnenen Zweikampf". Und er beteuerte: „Ich denke nicht, dass Leidenschaft oder Einstellung irgendwo ein Problem sind.“ Allerdings nannte er es gleichzeitig „unfassbar, wie mies wir auswärts spielen“. Die Dortmunder laufen zwar noch viel, aber es fehlen die letzte Konsequenz und der Wille, um daraus mehr als nichts zu machen. Wie schon in Berlin war die einzige nennenswerte Statistik neben den Toren, in der am Ende nicht der BVB vorne lag, die Zweikampfbilanz.

Die Rückkehr der Fragezeichen

Nach dem wilden 2:2 unter der Woche gegen Wolfsburg hatte Klopp noch gesagt: „Erstens: Wir leben noch, zweitens, wir können noch Fußball spielen und drittens haben wir das Kämpfen nicht verlernt.“ In Bremen kehrten die drei Fragezeichen zurück, und zum Rückrundenstart wartet Bayer Leverkusen. Das allerdings könnte intern sogar als Vorteil gelten, da sich die Dortmunder gegen einen Topgegner bislang leichter motivieren können. Trotzdem muss Klopp in La Manga einen Weg finden, sein Team auf Abstiegskampf und Champions-League-Achtelfinale einzustellen, Körper und Geist wieder auf Topniveau zu heben. Helfen könnten dabei Neuzugänge, die der Verein nicht mehr kategorisch ausschließt.

Kitten muss Klopp auch erste Risse im Mannschaftsgefüge. Hummels stellte sich in Bremen zwar als einziger Spieler der Presse. Aber der Weltmeister scheint in der Krise mit dem Team zu fremdeln, dessen Kopf er seit dieser Saison auch als Kapitän ist. In Berlin verschwand Hummels als einziger BVB-Profi ohne Gruß an die Fans in die Kabine. Gegen Wolfsburg feierte er das Führungstor zum 1:0 als Einziger nicht mit dem Team. In Bremen lief er nach seinem Anschlusstor zum 1:2 schnurstracks zurück in die eigene Hälfte und saß nach dem Schlusspfiff minutenlang einsam auf dem Rasen. Die emotionale Brandrede vor dem Kampfsieg gegen Hoffenheim hielt nicht Hummels, sondern sein Vorgänger Sebastian Kehl.

Immerhin räumte Hummels kritisch ein, dass körperliche Fitness und gemeinsames Training nur zwei Bausteine auf dem Weg aus dem Keller sein können, zumal es "keine Garantie" für die erhoffte verletzungsfreie Vorbereitung gebe. Dann sei auch der Kopf gefragt, nicht nur der Körper: "Es kann sein, dass wieder zwei, drei wichtige Leute ausfallen und das muss man ganz anders kompensieren, als wir es diese Vorrunde geschafft haben." Wenn nicht, dann steigen Klopps einstige Mentalitätsmonster im Kopf ab.

Quelle: ntv.de

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