BVB bringt Fans zum Träumen Mit "Jugend forscht" den FC Bayern jagen?
27.09.2018, 09:27 Uhr
Das 7:0 gegen Nürnberg war Dortmunds höchster Sieg in der Bundesliga seit 32 Jahren.
(Foto: picture alliance/dpa)
Das rauschhafte 7:0 gegen Nürnberg beflügelt die Fantasien der BVB-Fans. Weil blutjunge Spieler auf dem Platz stehen. Doch Trainer Lucien Favre rät genau deshalb zur Vorsicht. Und Mario Götze? Sitzt wieder nur auf der Tribüne.
Es war schon ein bizarres Bild, das sich dem Betrachter nach dem Abpfiff des Bundesligaspiels zwischen Borussia Dortmund und dem 1.FC Nürnberg bot: Während die Männer in schwarz-gelb mit ihren Fans vor der Gelben Wand der Südtribüne feierten, versammelten sich die bedauernswerten Gäste Arm in Arm am Mittelkreis, um sich gegenseitig Mut zuzusprechen. Als Georg Margreitter kurz darauf gefragt wurde, was in der kurzfristig anberaumten Mannschaftssitzung erörtert wurde, geriet der Manndecker aus Österreich in Erklärungsnot. Er habe "gar nicht richtig zugehört, ich bin gerade richtig geflasht. Das ist schon deftig."
Man muss für diese Reaktion Verständnis aufbringen, schließlich hatte der Club in den 90 Minuten zuvor ein echtes Debakel erlebt: 0:7 beim in dieser Saison bisher recht biederen BVB - eine solche Klatsche ist selbst für einen Aufsteiger nicht alltäglich. Auf der anderen Seite standen die Dortmunder, die zwar in ihrer fußballverrückten Stadt immer mal wieder große Titel feiern, so hoch in der Bundesliga jedoch zuletzt vor 32 Jahren gewannen. Und zwar gegen einen Verein mit dem Namen Blau-Weiß 90 Berlin. Der durfte tatsächlich mal in der höchsten Etage mitkicken, heute fristet er sein Dasein in der sechsten Liga.
Solch seltene Feste sollten eigentlich mit schäumenden Pokalen begangen werden, doch wer erleben wollte, wie Lucien Favre durchdreht, der wurde enttäuscht. Dortmunds Trainer blieb sich auch an einem solch außergewöhnlichen Abend treu. Der Schweizer ist dafür bekannt, lieber das Haar in der Suppe zu suchen, als in Jubelarien einzustimmen. Immerhin hatte der 60-Jährige ein "sehr gutes Spiel" seiner Mannschaft gesehen, für seine Verhältnisse ein emotionaler Ausbruch. Dabei gab es doch so viel Positives zu berichten an diesem kurzweiligen Herbstabend. Sieben Treffer durch sechs Torschützen, teilweise mitreißend leichtfüßig herausgespielt. Und dann noch von einer blutjungen Belegschaft, die Fantasien beflügelt. Jacob Bruun Larsen (20), Achraf Hakimi (19), Christian Pulisic (20), Dan-Axel Zagadou (19), Jadon Sancho (18), dazu noch Manuel Akanji (23) und der gesperrte Abdou Diallo (22) - im Kader des BVB steckt so viel Talent, dass die Fans im Revier zwangsläufig ins Träumen geraten.
Real-Talent überzeugt
Die üppigen Möglichkeiten, die ihm seine Belegschaft bietet, sieht auch Favre. Doch er weiß auch um die Unwägbarkeiten der Jugend. "Wir haben großes Potenzial, aber es geht immer hoch und tief. Das ist normal bei so jungen Spielern." Es ist seine Aufgabe, die in dieser Mannschaft schlummernde Kraft kontinuierlich zum Leben zu erwecken. Ein faszinierendes Projekt mit vielen Unwägbarkeiten: "Das macht viel Spaß und das ist viel Arbeit." Wer verstehen will, was Favre meint, muss nicht lange zurückschauen.

Mit seinen 30 Jahren gehört Marcel Schmelzer (r.) beim BVB zum alten Eisen. Real-Leihgabe und Torschütze Achraf Hakimi ist beispielsweise erst 19 Jahre alt.
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Nach den spielerisch schwachen Auftritten in Brügge und Hoffenheim boten das fehlende Tempo und die fehlende Durchschlagskraft in der Vorwärtsbewegung noch viel Diskussionsstoff. Nun, nach 90 Minuten gegen einen in jeder Hinsicht schwachen Aufsteiger, glänzt die Offensive des BVB plötzlich als die beste der Liga. Die Wahrheit wird, wie so oft, irgendwo in der Mitte liegen. Immerhin dürfen die Dortmunder für sich in Anspruch nehmen, enorm viel Qualität von außen ins Spiel werfen zu können. Gegen Nürnberg bekam der von Real Madrid ausgeliehene Hakimi auf der rechten Abwehrseite erstmals eine Einsatzchance, um den Routinier Lukasz Piszczek zu entlasten. Der Marokkaner überzeugte und schoss sein erstes Tor.
Bruun Larsen nutzte seine Chance ebenfalls, erzielte die Führung und war an zwei weiteren Toren beteiligt. Sancho kam 20 Minuten vor Spielende und traf auf Anhieb. Wohl dem, der so mannigfaltige Möglichkeiten hat. "Es spricht für die Jungs, die nicht jede Minute spielen, dass sie ihre Chance nutzen, wenn sie reinkommen", sagt der ehemalige Kapitän Marcel Schmelzer. Bei all der Dortmunder Leichtigkeit, bei all dem Überschwang gibt es nur einen Verlierer: Mario Götze. Der WM-Triumphator von 2014 durchlebt wahrlich schwere Zeiten, das Schützenfest gegen den Club verfolgte er von der Tribüne.
Mario Götze, Verlierer
Nach Lage der Dinge dürfte der Galaauftritt Götzes Position nicht verbessert haben. Favre reagiert zunehmend genervt auf die ewigen Fragen nach dem gefallenen Helden. Er empfindet sie als "ein wenig respektlos gegenüber den anderen Spielern im Kader und denjenigen, die nicht dabei sind", gab der Schweizer neulich zu Protokoll, als er zum x-ten Mal auf einen Star angesprochen wurde, der auf dem Platz nur noch sporadisch zu bewundern ist.
Zuletzt meldete sich sogar Kevin Großkreutz in der Causa Götze zu Wort. Der Weltmeister von 2014, mittlerweile beim Drittligisten aus Uerdingen unter Vertrag und jahrelang Mannschaftskamerad von Deutschlands ehemals größtem Talent, riet dem Kollegen, es täte ihm "vielleicht gut, im Winter ins Ausland zu gehen, wo er ein bisschen mehr Ruhe hat und seine Karriere wieder auf Vordermann bringen kann".
Tatsächlich ist die Lage vertrackt, sie belastet Götze, wie er im "Kicker" einräumte: "Ich schaffe es nicht, das auszublenden", sagte der Offensivspieler, der sich mit 26 Jahren eigentlich im besten Fußballalter befindet. Der Ist-Zustand könnte unbefriedigender kaum sein. In der ersten Runde des DFB-Pokals beim Zweitligisten Greuther Fürth wurde Götze in der 64. Minute beim Stand von 0:0 ausgewechselt. Als er beim ersten Champions-League-Gruppenspiel in Brügge nach 62 Minuten vom Rasen musste, stand es ebenfalls 0:0. Götze hatte schwach gespielt - der Rest der Mannschaft allerdings auch.
In der Bundesliga läuft es nicht besser - im Gegenteil. Favre ließ das einstige Wunderkind in den bisherigen Begegnungen komplett außen vor. Einsatzzeit: Null Sekunden in fünf Begegnungen. Es wird bestimmt nur eine Laune des Schicksals oder des Fußballgottes sein, dass am Dienstagabend ausgerechnet Felix Götze der Augsburger Ausgleich in München gelang, sodass der ältere Bruder Mario derzeit noch nicht einmal familienintern der erfolgreichste Fußballer ist.
Quelle: ntv.de