Polen treibt FIFA vor sich her Putin reißt russischen Sport in den Abgrund
28.02.2022, 21:47 Uhr
Die russische Nationalmannschaft wurde von allen Wettbewerben ausgeschlossen.
(Foto: picture alliance / SvenSimon)
Am Montag geht es alles ganz schnell. Plötzlich verstößt der Sport Russland aus der internationalen Gemeinschaft. Bis es dazu kommt, dauert es lange, sehr lange. Exemplarisch für das Auflehnen gegen die Großverbände steht der Polnische Fußballverband, der Mut beweist. Anders als ein deutscher Verein.
Auf einmal ging alles ganz schnell. Erst sprach das IOC und schon bald folgte die FIFA, folgten andere Verbände. Die Fluttore waren geöffnet und Russlands Platz in der Welt des Sports vorerst Geschichte. Lange hofften die mächtigen Funktionäre um IOC-Präsident Thomas Bach und FIFA-Boss Gianni Infantino, den Angriff auf die Ukraine aussitzen zu können. Eine realitätsferne Einschätzung, die sie ab Sonntag unter dem Druck der internationalen Gemeinschaft korrigierten. Exemplarisch dafür stehen der Polnische Fußballverband PZPN und Robert Lewandowski, der Kapitän der polnischen Nationalmannschaft. Sie lehnten sich als erste gegen die ängstliche Haltung der Großverbände auf.
"Die FIFA hat Russland suspendiert! Der Kampf für die richtige Sache war erfolgreich! Wir haben gezeigt, dass aus Solidarität Stärke erwachsen kann", twitterte der PZPN-Präsident Cezary Kulesa auf Englisch, in einer Sprache, die er nicht sprechen kann, die aber sein Wort in den letzten Tagen mehrfach in jede Ecke der Welt gesendet hatte: "Wir haben einfach richtig gehandelt!"
Am Sonntag wurde es erstmals richtig eng für den russischen Sport. Die eigentliche Nachricht hatte die FIFA gut versteckt, als sie in einem Statement die ersten Sanktionen gegen den russischen Fußball verkündete. "Die FIFA wird den Dialog mit dem IOC, der UEFA und anderen Sportverbänden weiterführen, um zusätzliche Maßnahmen oder Sanktionen, einschließlich eines möglichen Ausschlusses von Wettbewerben, festzulegen, die in naher Zukunft angewendet werden sollen, sollte sich die Situation nicht rasch verbessern", hieß es dort in technischer Sprache.
Die Landkarte wird neu gezeichnet
Das war die große und letzte Drohung des Sports vor den wuchtigen Ereignissen an diesem Montag, die den Weltsport für die nächsten Jahre neu sortieren werden und die letztendlich der letzte gesichtswahrende Ausweg für die großen Verbände und das IOC waren. Der Druck auf sie war zu groß geworden und sie mussten sich nun zwischen Russland und dem großen Rest der Welt entscheiden. Neben dem Fußball stellten sich im Laufe des Tages zahlreiche andere Sportarten gegen Russland.
Putins Krieg in der Ukraine hat auch die Landkarte des Sports neu gezeichnet. Die Konsequenzen aus der selbst für die Organisationen, die seit langer Zeit Geld über Haltung stellen und den Einfluss der Politik stets abstritten, nicht mehr zu verneinenden Verbindung aus Sport und Politik müssen nun weitreichend sein und weit über den Bannstrahl für den Kreml hinausgehen.
Die Geschichte der Suspendierung Russlands ist eine, die nur über den Mut des Polnischen Fußballverbands PZPN und seinen Nationalspielern erzählt werden kann. Sie hätten am 24. März in Moskau im Rahmen der Playoffs zur Fußball-Weltmeisterschaft 2022 in Katar gegen die russische Auswahl antreten müssen. Aber sie riskierten ihren Traum von der Teilnahme an der WM. Sie kündigten einen Boykott an und sammelten zahlreiche Verbände hinter sich. Es waren zu viele für UEFA und FIFA, um sie zu ignorieren. Sie konnten sich jetzt entweder für den Aggressor entscheiden oder für die, die sich gegen ihn stellten.
Lewandowski in ungewohnter Rolle
"Genug der Worte, es ist Zeit zu handeln", sagte Polens Verbandspräsident Cezary Kulesa am frühen Samstag. Da war klar, dass die FIFA nicht handeln würde. Die hatte sich am Donnerstag in Person von Präsident Gianni Infantino noch mehr als unentschlossen gezeigt und auf ein baldiges Ende des Kriegs gegen die Ukraine gehofft. Lange Zeit war der Präsident ein nützlicher Idiot für Wladimir Putin, der sein Land durch zahlreiche Sportereignisse wie die WM 2018 ins rechte Licht rücken wollte. Doch im Krieg verhallte Infantinos Flehen im Nichts. Deswegen handelte Polen. Deswegen handelte Kulesa und auch Robert Lewandowski, der Kapitän der Nationalmannschaft.
Lewandowski war bis dahin unverdächtig, eine politische Meinung zu haben. Es schien, als sei er nur an seiner Karriere interessiert. Davon befreite er sich. Im Angesicht des Grauens im Nachbarland lief er, der Ersatzkapitän der Bayern, im Spiel bei Eintracht Frankfurt mit einer Binde in den Farben der Ukraine auf. "Russlands Fußballer und Fans" seien "nicht verantwortlich" für die Kriegstreiberei Putins, teilte er später via Twitter mit: "Aber wir können nicht so tun, als ob nichts passiert ist." Die Worte entfalten ihre Wirkung. Da hatten sich längst auch die beiden potenziellen Playoff-Gegner Schweden und Tschechien gegen ein Spiel gegen Russland ausgesprochen. Egal wo, egal unter welchen Bedingungen. Das war für sie nicht drin.
Das Schweigen der Deutschen
Anders der Fußball-Bundesligist RB Leipzig. Die zum Portfolio des österreichischen Rechtsaußen Dietrich Mateschitz gehörenden Sachsen waren bei der Auslosung zum Achtelfinale der zweitklassigen Europa League am vergangenen Freitag gegen Spartak Moskau gelost worden. Fortan schoben sie die Verantwortung für die Spiele auf die UEFA. Die hatte bereits im Vorfeld alle Spiele russischer Teams auf neutralen Boden verlegen lassen, jedoch noch keinen Ausschluss beschlossen.
"Wir hoffen und vertrauen schnellstmöglich auf eine friedliche Lösung des Konfliktes. Unabhängig davon wollen wir gegen Spartak gewinnen. Wir sind als einziger Bundesligist noch in drei Wettbewerben vertreten und wollen in all diesen so weit wie möglich kommen, denn unser Ziel als nach wie vor junger Verein ist es, uns nachhaltig in den Top 20 Europas zu etablieren", teilte Florian Scholz, der kaufmännische Direktor der Sachsen, noch am Sonntag mit.
Und Trainer Domenico Tedesco war der Meinung, dass ein Boykott "immer die Falschen trifft". Neutralität, wo Haltung gefragt war. Die ließ Leipzig vermissen. Bei ihnen ging es um die Europa League, bei Polen und den anderen Verbänden um die WM. Im Viertelfinale der Europa League stehen sie auch. "Für uns ist Krieg in jeder Form inakzeptabel. Diese Haltung haben wir seit jeher klar unterstrichen. Die UEFA hat heute alle Spiele mit russischen Vereinen verboten", teilten sie nach dem Entscheid mit.
Auch vom Deutschen Fußball-Bund war lange wenig zu hören. Er war nicht unter den Verbänden, die sich öffentlich dem Boykott der Polen anschlossen. Zu sehr ist der momentan führungslose DFB mit dem Wahlkampf für die im nächsten Monat anstehende Präsidenten-Wahl beschäftigt. Viel war nicht zu erwarten, und noch weniger war zu hören. So richtig überrascht hat es niemanden. Die Kritik blieb seltsam leise. Als es dann vorbei war, begrüßte der DFB die Entscheidung und gab sich erleichtert, "dass nunmehr auch im Einklang mit der FIFA weltweit eine gemeinsame Entscheidung getroffen worden ist."
Schalke und Gazprom
Früh schon war hingegen Schalke 04 ins Blickfeld der oft sehr aufgeregten Öffentlichkeit geraten. Im Sport ist es nicht anders als in der Politik: Weitreichende Entscheidungen sollen bereits innerhalb weniger Minuten verkündet werden. Dass dies länger dauert, zu lange für die nach Konsequenzen gierende Öffentlichkeit, war in diesen ersten Kriegstagen auf vielen Ebenen zu beobachten.
Der finanziell schwer angeschlagene FC Schalke 04 reagierte mit Bedacht, klärte hinter den Kulissen früh ab, wie es ihm gelingen könnte, sich von Hauptsponsor Gazprom zu lösen. Der hatte erst im vergangenen Sommer einen neuen Vertrag unterzeichnet, der den Königsblauen 10 Millionen Euro pro Saison einbringen sollte. In der zweiten Liga und mindestens doppelt so viel in der ersten Liga. Erst strichen sie den Staatskonzern von der Brust und dann aus ihrer Zukunft. Gazprom hatte den Ruhrgebietsklub seit 15 Jahren begleitet, der Deal war damals durch den mächtigen Aufsichtsratsvorsitzenden Clemens Tönnies eingefädelt worden. Der, mittlerweile aus dem Verein getrieben, brachte sich kurzfristig noch einmal als Retter ins Spiel. Aber die Rufe verhallten nahezu ungehört.
Auch die UEFA wollte nicht mehr. Wie zuvor Schalke 04 trennte auch sie sich von Staatskonzern Gazprom, der sich im letzten Jahrzehnt zum unverwechselbaren Gesicht der Champions League hochgespielt hatte, der dem Verband über 40 Millionen Euro im Jahr einbrachte und der auch Sponsor der Europameisterschaft 2024 in Deutschland war. Jetzt nicht mehr. Geschichte an diesem auch für den Fußball historischen Montag. Der Sport hat sich in die Hände von Autokraten und Diktatoren begeben.
Die nun aus Russlands Krieg gezogenen Konsequenzen müssen langfristig zu einem Reinigungsprozess führen. Die Reaktion auf den Krieg in Russland und auch die Befreiung aus den Fesseln Gazproms kann hierbei nur der Anfang sein. Ebenfalls am Sonntag wurde bekannt, dass der ehemalige DFB-Präsident Theo Zwanziger vom kommenden und höchst umstrittenen WM-Gastgeber Katar mit CIA-Methoden bearbeitet worden sein soll. Eine kleine Randnotiz in diesen Kriegstagen. Eine, die der Fußball nicht ignorieren sollte.
Quelle: ntv.de