Fußball

Guardiola staunt wohl immer noch Roger Schmidt formt größte Fußball-Überraschung Europas

"O grande Schmidt" wird Roger Schmidt bei Benfica Lissabon genannt.

"O grande Schmidt" wird Roger Schmidt bei Benfica Lissabon genannt.

(Foto: IMAGO/ZUMA Wire)

Benfica Lissabon stürmt durch die eigene Liga und die Königsklasse. Der Architekt der größten Überraschung im europäischen Vereinsfußball: Roger Schmidt. Eine Wertschätzung wie in Portugal hat der deutsche Trainer nicht immer in seiner Karriere erlebt. Gelingt es, die außergewöhnliche Saison zu krönen?

Roger Schmidt trägt gerne seinen schwarzen Trainingspullover, aber an diesem Tag kommt auch er nicht am T-Shirt vorbei. Über Lissabon steht die Frühlingssonne am Himmel, und auf dem Campus von Benfica auf der anderen Seite des Tejo zwitschern kurz vor Ostern die Vögel. Bis zum Flussufer reichen hier die Trainingsplätze, auf denen Schmidt eine der derzeit größten Überraschungen des europäischen Vereinsfußballs geformt hat. Eine Mannschaft, die mit ihrem gnadenlosen Offensivfußball durch die eigene Liga und die Champions League marschiert.

Mit zehn Punkten Vorsprung führt der Rekordmeister die Tabelle vor dem "Clássico" an diesem Freitag gegen den ersten Verfolger FC Porto an. In der Königsklasse hat Benfica noch nicht ein Spiel verloren und spielt ab Dienstag gegen Inter Mailand um den erstmaligen Einzug ins Halbfinale. Und das alles dank eines Mannes namens "Chrrrrroger Schmiiiiiidt", wie die Benfiquista ihren Trainer nennen.

An diesem herrlichen Apriltag also spaziert jener Schmidt in seinem goldenen Benfica-Shirt über das Gelände seines Vereins, seine Haut ist bereits leicht gebräunt. Es steht nicht eine Wolke am Himmel, und der 56-Jährige wirkt gut gelaunt. Erst vor wenigen Tagen hat er seinen Vertrag bis 2026 verlängert, die Ausstiegsklausel wurde gleichzeitig von bislang 10 Millionen auf 30 Millionen erhöht. Dadurch habe Benfica seinen Erfolgscoach quasi angekettet, jubelten portugiesische Medien. "Wir werden Titel jagen", sagte Schmidt und sorgte damit für noch größere Freude unter den Anhängern. "Für mich war es eine klare Entscheidung, länger bei Benfica zu bleiben."

Dabei hätte es für ihn durchaus andere Optionen gegeben. Längst sind nicht nur Vereine aus der Premier League auf die außergewöhnliche Saison der Portugiesen aufmerksam geworden. "Er ist einer der begehrtesten Trainer Europas", sagte der ehemalige Bundesliga-Manager Michael Reschke, der Schmidt damals zu Bayer Leverkusen gelotst hatte, kürzlich der Sporttageszeitung "Record". Wenige Tage darauf unterschrieb Schmidt seinen neuen Vertrag in Lissabon.

Benfica überrollt die portugiesische Konkurrenz

Was will er auch mehr? Finanziell hat der gebürtige Westfale nach zwei Jahren beim chinesischen Klub Beijing Guoan längst ausgesorgt. In der Bundesliga kommen für einen Trainer seiner Klasse kaum noch Klubs infrage. In England würde er zwar noch bessere Mannschaften trainieren können, dafür auch einem ungleich höheren Druck ausgesetzt sein. Außerdem regnet es auf der Insel deutlich mehr. Deshalb hat er tatsächlich nicht lange gezögert, als Benfica-Präsident und Vereinslegende Rui Costa die Zusammenarbeit mit ihm langfristig ausdehnen wollte.

Schmidt fühlt sich wohl in Portugal. Gemeinsam mit seiner Frau wohnt er in einem tollen Haus mit Blick auf den Tejo und die berühmte Brücke. Dank der günstigen Flugverbindungen nach Deutschland kommen seine Kinder regelmäßig zu Besuch, und die Pferde und andere Haustiere hat Familie Schmidt gleich mit nach Portugal umziehen lassen. Der Trainer scheint angekommen in Lissabon. Und er erfährt in Portugals Hauptstadt eine Wertschätzung, wie er sie in seiner ganzen Karriere noch nicht erfahren hat. "Ich fühle, dass ich am richtigen Ort bin", sagt Schmidt.

Sollte irgendjemand an dieser Aussage zweifeln, überzeugt spätestens ein Blick auf die Zahlen. Kein Team hat in der Liga mehr Tore geschossen (67) als Benfica, keines hat weniger kassiert (14). Zehn Punkte steht Benfica vor dem großen Rivalen aus Porto und somit vor dem Gewinn des ersten Meistertitels seit 2019. Seit fast zwölf Jahren hat in Portugal keine Mannschaft die Liga mit einem solchen Vorsprung dominiert. Überhaupt hatten unter Einbeziehung der Drei-Punkte-Regelung in der fast 90-jährigen Liga-Geschichte nur zwei Teams nach 26 Spieltagen mehr Punkte auf dem Konto als Benfica jetzt (71).

Guardiola ist "big, big Fan"

Fast noch spektakulärer liest sich die Bilanz in der Champions League, wo der Klub aus dem gleichnamigen Lissabonner Stadtteil vor Juventus Turin und Paris Saint-Germain ohne Niederlage den ersten Platz seiner Vorrundengruppe belegt hatte. Anschließend wurde der FC Brügge im Achtelfinale überrollt. In acht Spielen schoss Benfica 23 Tore. Ins Viertelfinale des Wettbewerbs ist Benfica schon öfter eingezogen. Aber nie mit einer solchen Wucht.

Er sei ein "big, big Fan" von diesem Trainer, hatte der frühere Bayern-Coach Pep Guardiola vor ein paar Jahren über seinen Leverkusener Kollegen Schmidt gesagt. Als Schmidt wenige Monate vorher, damals noch Coach von RB Salzburg, mit 3:0 in einem Testspiel über die Bayern hinweggefegt war, hatte Guardiola sogar darüber gestaunt, eine solches Angriffspressing "noch nie" gesehen zu haben. Jetzt ist es Schmidt erneut gelungen, in Portugal eine perfekt aufeinander abgestimmte Offensivmaschine zu entwickeln.

Selbst der 121-Millionen-Euro-Transfer des argentinischen Weltmeisters Enzo Fernández zum FC Chelsea im vergangenen Winter hat Benfica nicht aus dem Tritt gebracht. Im Gegenteil. Die vergangenen zehn Ligaspiele hat Schmidt mit seinem Team alle gewonnen, nur einmal zuvor in China ist ihm eine solche Erfolgsserie gelungen. Mit einem weiteren Sieg gegen Porto am Freitag würde er eine neue persönliche Bestmarke erreichen. Auch deshalb nennen die Benfiquistas ihren Trainer "O grande Schmidt".

Als "groß" wurde Schmidt während seiner Karriere allerdings nicht immer verehrt. Noch heute sprechen Teile des Leverkusener Trainerteams von einem exzellenten Trainer, womöglich dem besten unter dem Bayer-Kreuz in den vergangenen Jahren. Einige schauen sich sogar hin und wieder noch manche der aufgezeichneten Trainingseinheiten von Schmidt auf dem Laptop an. Auf der anderen Seite sprechen nicht nur sie von einem speziellen, manchmal schwierigen Charakter.

Von Kontroversen bis Ehrfurcht

Im Wikipedia-Eintrag von Schmidt findet sich sogar ein Unterpunkt namens "Kontroversen". Darin sind zwei Vorfälle aufgelistet, die manchem Fan noch heute in Erinnerung sind. Im Februar 2016 war Schmidt bei einem Spiel gegen Dortmund nach einer Reklamation auf die Tribüne verwiesen worden. Er wollte diese Strafe aber nicht akzeptieren und blieb einfach am Seitenrand stehen. Bis Schiedsrichter Felix Zwayer das Spiel für mehrere Minuten unterbrach. Monate danach legte er sich mit dem damaligen Hoffenheim-Coach Julian Nagelsmann an und wurde wieder auf die Tribüne verwiesen. Diesmal ging er direkt. Das Bild des provokanten Starrkopfes hatte sich in den Köpfen vieler Beobachter da aber längst festgesetzt.

Von all dem ist Schmidt in Lissabon weit weg. Und natürlich hat auch er sich mit all den Jahren persönlich verändert. In Portugal feiern die Fans ihn für seine kühle und besonnene Art in der Coaching-Zone. Im Vergleich zu manchem seiner Vorgänger wie dem hitzköpfigen Jorge Jesus wirkt Schmidt im Estádio da Luz fast schon wie ein Eisblock.

Wenn er auf den Straßen Lissabons bei einem Spaziergang erkannt wird, fragen die Menschen freundlich und fast schon ehrfürchtig nach Fotos. Dabei wussten die meisten von ihnen am Anfang nicht mal, wer dieser Schmidt überhaupt ist. "Ich kannte ihn vorher noch nicht", gab selbst Benfica-Kapitän und Weltmeister Nicolás Otamendi kürzlich zu. Aber auch der Argentinier ließ sich schnell überzeugen. "Er ist ein Trainer mit sehr klaren Ideen, der den Spielern viel Vertrauen gibt. Auch das Training ist gut, und er hat Persönlichkeit." Selbst sein Trainerkollege Rúben Amorim vom Stadtrivalen Sporting sagte über Schmidts Benfica: Das ist Portugals beste Mannschaft seit Jahren.

Und das Wichtigste dabei: Schmidt hat Erfolg. Der gelernte Maschinenbauingenieur lässt die 270.000 Mitglieder dieses riesigen Klubs träumen. Vom ersten Meistertitel seit vier Jahren. Manche schließen sogar den Durchmarsch ins Finale der Champions League nicht aus. Schmidt selber würde so offensiv natürlich nie darüber reden. Denn auch dafür schätzen sie ihn hier in Lissabon. Für seine Ernsthaftigkeit, für dieses typisch Deutsche.

Quelle: ntv.de

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