
Vorbild geht anders.
(Foto: imago images/Matthias Koch)
Karl-Heinz Rummenigge weiß, wie man sich im Gespräch hält. Der Vorstandsvorsitzende des FC Bayern leistet sich aktuell einen Aufreger nach dem nächsten. Diesmal preist er fragwürdige Vorbilder an: Seine Sportler sollen vorzeitig geimpft werden - im Dienste der Gesellschaft.
Karl-Heinz Rummenigge hat recht: "Aktuell haben wir offensichtlich noch zu wenig Impfstoff und ein Teil der Bevölkerung betrachtet das Impfen aus Sorge vor möglichen Nebenwirkungen noch kritisch", sagte der Vorstandsvorsitzende des FC Bayern bei Sport1. Ja, das ist ein Fakt. Wäre da nicht der Rest, den er auch noch gesagt hat. Nämlich: "Hier kann der Fußball aber etwas ganz Wichtiges leisten und mit gutem Vorbild vorangehen." Rummenigge führte weiter aus: "Lässt sich beispielsweise ein Spieler des FC Bayern impfen, wächst das Vertrauen der Bevölkerung. Denn ich weiß als ehemaliger Fußballer, was der Körper für einen Sportler bedeutet: alles! Wir wollen uns überhaupt nicht vordrängen, aber Fußballer könnten als Vorbild einen gesellschaftlichen Beitrag leisten."
Der langjährige Boss des deutschen Rekordmeisters will sich also nicht vordrängeln - aber eigentlich doch? Es gibt in Deutschland einen feststehenden Plan, in welcher Reihenfolge die Gesellschaft geimpft wird, derzeit sind die Über-80-Jährigen dran. Erst kürzlich haben Olympia-Sportler selbst mehrheitlich abgelehnt, eine Sonderbehandlung bekommen zu wollen. Warum sollte für Fußballer etwas anderes gelten? Bis seine Profis also einen Impfstoff verabreicht bekommen, dauert es noch lang. Womöglich zu lang für Rummenigge, dem man wohlwollend unterstellen kann, dass er sich um seine Sportler kümmert, sich also auch um ihre Gesundheit sorgt. Schließlich musste er bereits mehrfach erleben, dass seine Angestellten wegen einer Corona-Infektion ausfallen, wie aktuell Leon Goretzka und Javi Martinez, die nicht mit zur Klub-WM nach Katar reisen konnten.
Man könnte ihm aber auch ganz schnöde unterstellen, dass er sein "Humankapital" nicht weiter vergeudet sehen will, dass sie für ihr Geld das Beste geben können. Schließlich fehlt mit Goretzka einer der Top-Spieler seines an Top-Spielern nicht gerade armen Kaders. Der dann auch noch nach Katar fliegen dürfte - für den wohl unwichtigsten Pokal, den es im Fußball zu gewinnen gibt. In ein Land, das die Menschenrechte laut Amnesty International mit Füßen tritt, bei dem der FC Bayern aber keine Probleme mit einer langjährigen, geschäftlichen Partnerschaft hat. Vorbildlich ist anders.
Privilegien en masse
Ohnehin haben Profifußballer eine ganze Reihe von Privilegien in dieser Pandemie: Sie dürfen ihrer Arbeit nachgehen, während Kunstschaffende seit gefühlten Ewigkeiten zur Untätigkeit verdonnert sind. Sie werden andauernd auf das Virus getestet, während etwa niedergelassene Ärzte, Lehrerinnen und Erzieher sowie Verkäufer meist darauf hoffen müssen, sich nicht angesteckt zu haben. Sie dürfen reisen - der FC Bayern sogar nach Katar, vom Robert-Koch-Institut als Risikogebiet eingestuft, wo die Sieben-Tage-Inzidenz weit höher liegt als in Deutschland. In ein Land, über das das Auswärtige Amt derzeit sagt: Bitte nicht dorthin fliegen.
Dass sie dort erst mit Verspätung ankommen, ist für Rummenigge und Co. Grund genug, sich "total verarscht" zu fühlen. Die Münchner wollten nach dem verspäteten Hinflug partout nicht anerkennen, dass auch für sie Regeln gelten - und Flugverbot nun einmal Flugverbot ist. Vorbildlich ist anders. Der FC Bayern darf sogar aus Katar nach München zurückkehren, ohne in Quarantäne zu müssen, da für Sportler eine Ausnahme von der sonst geltenden Pflicht existiert.
Dazu kommt, dass Fußballer zwar Idole sind, sich entgegen der Annahme Rummenigges aber nur bedingt als Vorbild eignen. Die meisten halten sich sicherlich an die Regeln, nehmen sich zurück und einige kümmern sich sogar um ihre Mitmenschen. Andere aber torpedieren all die Bemühungen und gehen zum Friseur oder lassen sich tätowieren - und sind auch noch so ignorant und stellen Fotos davon selbst ins Netz. Rummenigge sollte da Erfahrung gesammelt haben, schließlich war Corentin Tolisso einer dieser Sünder. Vorbildlich ist anders.
Auch könnte sich Rummenigge an die eigene Nase fassen - im wahrsten Sinne. Denn auch ein Jahr nach Beginn der Pandemie lässt er im Stadion noch immer seine Nase aus der Maske hängen. Vorbildlich ist anders.
Tatsächlich gäbe es durchaus Argumente für eine frühzeitige Impfung von Profisportlern: Die dauernden Testungen in den Ligen würden wegfallen und damit Kapazitäten frei werden. Das Risiko für Kontaktpersonen - etwa Flugpersonal, Stadionreporter oder Helfer im Stadion - sich anzustecken, würde sinken. Doch den gesellschaftlichen Beitrag als Vorbild können Fußballer für die breite Gesellschaft nicht leisten.
Quelle: ntv.de