
Schweinsteiger im Heimspiel gegen Kiel, in dem der VfL den Sieg in letzter Minute noch hergab.
(Foto: IMAGO/osnapix)
In letzter Minute steigt Tobias Schweinsteiger mit dem VfL Osnabrück aus der 3. Liga auf, in der 2. Liga ist die Euphorie schon nach 13 Spieltagen verflogen. Die Lila-Weißen trennen sich zum Missfallen der Fans vom Erfolgstrainer. Zum Abschied gibt Schweinsteiger Einblick in seine Gedanken.
Am Abend seiner Entlassung als Trainer des VfL Osnabrück hatte Tobias Schweinsteiger Grund zum Feiern. Was paradox klingt, lässt sich ganz simpel erklären: Vater Alfred hatte zum 70. Geburtstag geladen und die Partystimmung somit nichts mit der Freistellung beim Fußball-Zweitligisten zu tun. Auf dem Weg von Niedersachsen nach Oberbayern bot sich dem 41-Jährigen zugleich die Chance, die Ereignisse des Tages zu reflektieren und erste Erkenntnisse aus diesen zu gewinnen.
"Ich kenne doch auch das Geschäft und weiß, wie schnell sich die Stimmungen ändern, wenn der Erfolg ausbleibt", antwortet Schweinsteiger auf die Frage der "Neuen Osnabrücker Zeitung", wie enttäuscht er über die Entlassung sei. "Enttäuscht bin ich über den Tabellenstand", sagt er und spricht dann über die vermeidbare 2:3-Niederlage in Braunschweig in seinem letzten Spiel als VfL-Coach, bei der das entscheidende Tor nach 98 Minuten gefallen war. Ebenso ärgert ihn das vorangegangene 1:1 im Heimspiel in Kiel noch immer, als die Lila-Weißen in der 4. Minute der Nachspielzeit die Führung aus der Hand gaben. Dass sich der Traditionsklub nach dem daraus folgenden Sturz auf Platz 18 von ihm getrennt habe? "Da werfe ich niemandem etwas vor."
Das ist ein bemerkenswerter Satz, davon gibt es im Gespräch mit der NOZ gleich mehrere. So wie der, in dem Schweinsteiger eine der Lektionen formuliert, die ihn seine erste Station als Cheftrainer gelehrt habe. "Dass man noch mehr darauf hinweist, wenn es an Qualität im Kader fehlt." Er nennt explizit sowohl sportliche Qualität als auch Führungsstärke als Bereiche, in denen er Handlungsbedarf erkannt hat. Damit greift der ältere Bruder der FC-Bayern-Ikone Bastian eine Diskussion auf, die rund um den VfL spätestens mit seiner Demission so richtig Fahrt aufgenommen hat: Ist diese Mannschaft in ihrer aktuellen Zusammenstellung überhaupt gut genug, um in der 2. Bundesliga zu bestehen?
Wunschspieler "entweder zu teuer" oder "schwierige Charaktere"
Mit Sven Köhler wechselte der emotionale Anführer der Aufstiegsmannschaft im Sommer nach Dänemark und hinterließ im zentralen Mittelfeld eine riesige Lücke. Topscorer Ba-Muaka "Chance" Simakala schloss sich mit der Empfehlung von 19 Toren und 9 Vorlagen Holstein Kiel an, während der gebürtige Osnabrücker Omar Traoré inzwischen für Bundesliga-Neuling 1. FC Heidenheim außenverteidigt. Klublegende Marc Heider beendete kurz nach seinem 37. Geburtstag seine Profikarriere. Der Stürmer arbeitet jetzt als Trainee in der Geschäftsstelle und sorgt nebenher als spielender Co-Trainer der Sportfreunde Lotte mit 10 Toren in 14 Spielen dafür, dass der frühere Drittligist an der Tabellenspitze der fünftklassigen Oberliga Westfalen steht.
Demgegenüber steht eine vergleichsweise unspektakuläre Liste an Neuzugängen. In Charalambos Makridis, Maximilian Thalhammer, Bashkim Ajdini und Oumar Diakhité kamen insgesamt vier Profis von den Absteigern Regensburg und Sandhausen. Dazu mit Kwasi Okyere "Otschi" Wriedt (Kiel) und John Verhoek (Rostock) zwei Stürmer mit zusammengenommen fünf Treffern, deren Rollen wohl auch deshalb im Saisonverlauf geschrumpft waren. Dave Gnaase (Saarbrücken) brachte 169 Minuten Zweitliga-Erfahrung mit, Lars Kehl (Freiburg II) keine einzige. Christian Conteh kam zwar auf dem Papier vom niederländischen Meister Feyenoord Rotterdam, hatte die Vorsaison jedoch bei Dynamo Dresden in Liga 3 verbracht.
All diese Namen dürfte Schweinsteiger im Sinn gehabt haben, als er nun der NOZ sagte, den Klassenerhalt schon vor Saisonbeginn als "extrem ambitioniertes Ziel" bezeichnet zu haben. Warum er nicht massiver auf stärkere, vielleicht auch namhaftere Neuzugänge gedrängt oder gar öffentlich auf die Missstände hingewiesen habe? Im Sommer 2022 etwa hatte der VfL mit der Verpflichtung des europapokal-erfahrenen Robert Tesche überrascht. Tesche hatte sich in der dritten Liga trotz seiner 35 Jahre sogleich als Leistungsträger und Führungsspieler etabliert. "Das würde ich nicht tun, weil ich loyal sein möchte."
Schweinsteiger als Opfer des eigenen Erfolgs?
Zwar habe er Wünsche geäußert, diese seien jedoch "entweder zu teuer" gewesen oder seien Charaktere gewesen, die als "schwierig" angesehen wurden. Einen solchen vermeintlich schwierigen Charakter präsentierte Sportdirektor Amir Shapourzadeh dann am letzten Tag der Transferperiode: Michaël Cuisance, 2020 ohne Einsatz Champions-League-Sieger mit dem FC Bayern, kam per Leihe vom italienischen Zweitligisten FC Venedig. Der Franzose ist neben Torwart Lennart Grill der einzige Neuzugang, der sich als unangefochtener Stammspieler etabliert hat. Der vom 1. FC Union Berlin ausgeliehene Grill hat Aufstiegsheld und Fanliebling Philipp Kühn als Nummer eins verdrängt, den besonders die Ostkurve der heimischen Bremer Brücke bei gelungenen Aktionen stets mit Sprechchören feiert.
Für die Kaderzusammenstellung zeichnet in erster Linie Sportdirektor Amir Shapourzadeh verantwortlich, der nach der Entlassung von Schweinsteiger in den Fokus der (Fan-)Kritik gerückt ist. Denn Schweinsteiger war trotz der sportlichen Krise sehr beliebt beim Osnabrücker Anhang, der die Trennung in sozialen Medien und Kommentarspalten mit reichlich Kritik, Unverständnis und sogar Wut aufnahm. Die diversen "Danke"-Posts auf den VfL-Accounts lassen vermuten, dass diese Stimmen auch in der Social-Media-Abteilung des Klubs durchaus Zustimmung fanden.
Denn Schweinsteiger, so liest sich immer wieder unter eben jenen Beiträgen, ist gewissermaßen Opfer seines eigenen Erfolgs geworden. Der unerwartete Aufstieg schürte demnach eine Anspruchshaltung, der gerecht zu werden beinahe unmöglich war. In einer 2. Liga, die zwar seit Jahren immer wieder als "stärkste 2. Liga aller Zeiten" bezeichnet wird, die in diesem Jahr aber mit den Bundesliga-Absteigern Schalke 04 und Hertha BSC eine massive Aufwertung erfuhr. Auch Schweinsteiger betont, "wie stark die Liga ist und wie klein die Gruppe der Mannschaften ist, die nach unten abfallen."
"Ich konnte in Osnabrück so sein, wie ich bin"
In seinen gerade einmal 14 Monaten in Osnabrück hat Tobias Schweinsteiger bleibenden Eindruck hinterlassen, nicht nur wegen des riesigen Wandbildes, das nach dem Aufstieg an seine Stamm-Pizzeria im Stadtteil Eversburg gemalt wurde. Auch wegen der Phrase "90+6", die auf die Minute des aufstiegbringenden Siegtreffers am letzten Spieltag zurückgeht, und die sich neben vielen Fans und einigen Profis auch der 41-Jährige tätowieren hat lassen. "Das war ein großartiges Jahr, in dem es auch menschlich gestimmt hat", resümiert Schweinsteiger, dem man diese Worte abnimmt: "Ich konnte in Osnabrück so sein, wie ich bin. Das ist mir auch für die Zukunft wichtig."
In Erinnerung bleiben dabei Momente wie vor dem Derby gegen Oldenburg im März, als nach heftigem Schneefall nachts vor dem Spiel der Rasen an der Bremer Brücke vom Schnee befreit werden musste. "Das bisschen Schnee schippen mitten in der Nacht", sagte er damals, das sei doch selbstverständlich. Beim 2:0-Sieg am Folgetag war das Stadion erstmals seit Ende 2019 wieder ausverkauft. Die sich darin ausdrückende Aufbruchstimmung ist auch jetzt noch rund zu spüren, trotz der tristen sportlichen Lage. Die Entlassung des beliebten Trainers stellt diese jedoch auf eine harte Bewährungsprobe.
Beweisen muss sich in der kommenden Transferperiode auch Sportdirektor Shapourzadeh: Dass der VfL parallel verkündete, neben ihm die Stelle eines Geschäftsführers Sport neu zu schaffen, kommt einer Entmachtung gleich - und lässt sich als Eingeständnis der Klubführung deuten, dass es auch dort an Qualität fehlt. Schweinsteiger indes verriet der NOZ auch, dass er trotz des Trennungsschmerzes keine Auszeit brauche, sich "nicht von irgendwas erholen muss", sondern bereit für eine neue Herausforderung sei. Die er mit den Lehren aus seiner Zeit in Osnabrück wahrscheinlich etwas anders angehen dürfte.
Quelle: ntv.de