
Osnabrücks Trainer Tobias Schweinsteiger im Gespräch mit Stürmer Ba-Muaka "Chance" Simakala.
(Foto: IMAGO/Eibner)
Erstmals seit 23 Jahren treffen Osnabrück und Oldenburg in Liga drei aufeinander. Die Situation der Fußball-Nordklubs heute ist der Lage rund um die Jahrtausendwende überraschend ähnlich. Damals taugte der Derbysieg als Zwischenschritt zum Aufstieg. Die Fans der Osnabrücker singen sich schon warm.
Am Ende der 90 Minuten erinnert dieser Samstagnachmittag im März 2023 ein bisschen an einen Freitagabend im November 1999. Damals wie heute treffen der VfL Osnabrück und der VfB Oldenburg an der Bremer Brücke aufeinander. Diesem engen Stadion mitten im Wohngebiet im Osnabrücker Osten, das trotz aller Modernisierungen noch immer die Aura eines "Früher" versprüht, als Profifußball noch kein durchvermarktetes Hochglanzprodukt war. Sinnbildlich dafür steht VfL-Präsident Holger Elixmann, der die Partie nicht aus einer Loge verfolgt, sondern auf den Presseplätzen sitzt und das Geschehen für das Liveradio der Lila-Weißen kommentiert.
Wie schon vor 23 Jahren streben die Osnabrücker auch in dieser Saison der Rückkehr in die 2. Bundesliga entgegen, während der VfB den Sturz in die vierte Liga befürchtet. Damals gewann der VfL sein Heimspiel mit 3:0 - und stieg im Sommer 2000 in einer dramatischen Relegation gegen den 1. FC Union Berlin auf - danach trennten sich die Wege der Nordklubs für lange Zeit. Erst zu dieser Saison gelingt den Oldenburgern die Rückkehr in die dritthöchste Spielklasse. An diesem Samstag setzt sich Osnabrück ähnlich souverän mit 2:0 (1:0) durch und unterstreicht mit dem zehnten Erfolg aus den jüngsten elf Partien seine Aufstiegsambitionen. Der Aufsteiger aus Oldenburg dagegen fällt nach dem achten sieglosen Spiel in Serie auf den letzten Tabellenplatz zurück.
"Wir sind gierig, wir sind hungrig", umreißt Osnabrücks Trainer Tobias Schweinsteiger anschließend in der Pressekonferenz die Herangehensweise seiner Mannschaft, die im Nordwestbahn-Derby "endlich mal wieder zu null gespielt" hat. Zum ersten Mal seit Anfang November, seit dem 3:0-Auswärtssieg beim SV Meppen - der unter der Woche übrigens überraschend Ernst Middendorp zum Chef an der Seitenlinie gemacht hatte. Den Schöpfer des berühmten Satzes "Knien Sie nieder, Sie Bratwurst!", aber das ist ein anderes Thema, dem sich unser Kolumnist Ben Redelings ausführlich hier gewidmet hat.
Nur eine Brücke zählt
Von Schweinsteiger, der seit Amtsantritt im September aus einer verunsicherten Mannschaft ein Spitzenteam gemacht hat, sind derart deftige Aussagen kaum zu erwarten. Der 40-Jährige scheint die leisen Töne zu bevorzugen, lieber zu machen als zu reden. So wie am Vorabend dieses Derbys. Das steht nämlich plötzlich vor der Absage, weil nach Einbruch der Dunkelheit innerhalb kürzester Zeit mehrere Zentimeter Neuschnee auf Osnabrück herabfallen. Der VfL mobilisiert umgehend Mitarbeitende und Fans, um den Platz davon zu befreien, auch Schweinsteiger nimmt die Schaufel in die Hand. "Das bisschen Schnee schippen mitten in der Nacht", sagt er, das sei doch selbstverständlich.
Der nächtliche Einsatz lohnt sich, auch wenn der Rasen besonders im Schatten vor der Südtribüne und den Trainerbänken doch arg mitgenommen, tief und rutschig aussieht. Einerseits, weil Ba-Muaka "Chance" Simakala und Omar Traore mit ihren Toren die Ostkurve dazu verleiten, nach Abpfiff ein unmissverständliches "Wir steigen auf und wir haben das lila-weiße Licht angemacht" auf die Melodie des Steigerliedes anzustimmen. Andererseits, weil die Bremer Brücke erstmals seit Ende 2019 wieder voll ausgelastet ist, weshalb der VfL die offizielle Zuschauerzahl von 15.741 stolz mit dem Zusatz "Ausverkauft" versieht.
Der Andrang ist so groß, dass Schiedsrichter Arne Aarnink die Partie mit zehn Minuten Verspätung anpfeift, damit es alle Zuschauenden rechtzeitig ins Stadion schaffen. Die Osnabrücker Ostkurve zeigt vor Spielbeginn eine eindrucksvolle Choreografie: Auf den Rängen wird ein großes Bild der Bremer Brücke ausgebreitet, dazu kleinere Abbildungen anderer berühmter Brücken wie der Tower Bridge in London oder der Golden Gate Bridge in San Francisco. Vor der Tribüne steht auf einem riesigen, etwa 70 Meter langen Spruchband: "Es gibt viele Brücken auf der Welt - doch nur eine, die für uns zählt".
Der "Fußballgott" feiert Jubiläum
Vom Anpfiff weg herrscht somit feinste Fußballatmosphäre, bei der die Gesänge der rund 1500 Oldenburger angesichts ihrer deutlichen numerischen Unterlegenheit bisweilen von der stimmgewaltigen Osnabrücker Ostkurve überstimmt werden. Und auch die mit einem "Shine Bright Like A Diamond"-Banner ausgedrückte Hoffnung der VfB-Anhänger, ihre Mannschaft könnte den Abwärtstrend stoppen, der zur Entlassung von Aufstiegstrainer Dario Fossi führte, bleibt unerfüllt. Daran ändern auch die Umstellungen von Ex-Stürmer und Interimscoach Frank Löning nichts.
Denn ähnlich deutlich ist die spielerische Überlegenheit des VfL. Die Lila-Weißen haben viel mehr Ballbesitz, spielen es offensiv in der ersten Halbzeit aber selten wirklich gut aus. Am nächsten kommt dem Führungstreffer überraschend Maxwell Gyamfi - allerdings trifft der Osnabrücker Abwehrmann bei einer missglückten Klärungsaktion den Außenpfosten des eigenen Tores. Deutlich besser macht es kurz vor der Halbzeit "Chance" Simakala, der auf der richtigen Seite eine Flanke einköpft. Simakala ist es dann auch, der nach der Pause den gebürtigen Osnabrücker Omar Traoré auf die Reise schickt, die den Rechtsverteidiger mit einem wuchtigen Schuss aus knapp 20 Metern zum Schützen des Endstands macht.
Die Partie ist damit früh entschieden. Oldenburg fehlt vor dem gegnerischen Tor ein klassischer Abschlussspieler und VfL-Keeper Philipp Kühn hält alles, was zu halten ist. So bleibt genug Zeit und Aufmerksamkeit, um in der 75. Minute die Einwechslung von Marc Heider gebührend zu feiern. Als "Fußballgott" feiern die Heimfans den 36-Jährigen, der nicht nur umgehend die Kapitänsbinde angelegt bekommt, sondern vor allem seinen 250. Pflichtspieleinsatz in Lila und Weiß absolviert. Nach dem Spiel gibt es auf dem Weg aus dem Stadion einen Schal mit seinem Konterfei des Stürmers zu erwerben, der 2006 beim VfL seinen ersten Profivertrag unterschrieben hatte und nach Stationen in Bremen und Kiel zurückgekehrt war.
Das schwierige Verhältnis zur Relegation
Nach Abpfiff stimmt Heider vom Zaun aus den Feiergesang an, danach stellt sich die Mannschaft zum Jubelfoto vor der Ostkurve auf. Ein Ritual, das sich im Saisonverlauf herausgebildet hat und die Verbindung zwischen Spielern und Fans ausdrücken und stärken soll. "Die Entwicklung stimmt", sagt Trainer Schweinsteiger hinterher. Er meint damit vor allem die defensive Stabilität, anwenden lässt sich die Aussage auch auf das große Ganze. Auf Platz vier sind die Osnabrücker mittlerweile angekommen, der aktuell zur Relegation berechtigen würde, weil die zweite Mannschaft des SC Freiburg nicht aufsteigen kann.
Relegation ist rund um die Bremer Brücke jedoch ein heikles Thema. Auch, weil sich der Modus seit der bereits zitierten Aufstiegssaison 1999/2000 zuungunsten der Drittligisten verändert hat. Damals, im letzten Jahr mit vier dritten Ligen unterhalb der 2. Bundesliga, konnte sich der VfL als Nord-Meister gegen Nordost-Meister 1. FC Union mit 9:8 nach einem hoch spannenden Elfmeterschießen durchsetzen.
Seit 2009 aber, seit der Zweitliga-16. gegen den Drittliga-3. antritt, sind die Osnabrücker viermal angetreten - und viermal als Verlierer vom Feld geschlichen. 2009, 2011 und 2021 als Absteiger, 2013 als Nicht-Aufsteiger. Den Lila-Weißen und vor allem ihren leidgeprüften Fans dürfte schon aus dieser Erfahrung heraus daran gelegen sein, an den verbleibenden zwölf Spieltagen noch mindestens einen Tabellenplatz gutzumachen. Gelingt das nicht, dürfte der Plan lauten: Erst an der Bremer Brücke gegen Oldenburg gewinnen und danach erfolgreich durch die Relegation gehen. Wie damals eben.
Quelle: ntv.de