Duell der Gegensätze Tuchel verlangt Klopp "das ganze Paket" ab
04.03.2021, 17:38 Uhr
Beim letzten Aufeinandertreffen 2018 war Tuchel noch Trainer bei Paris St. Germain.
(Foto: picture alliance / Laci Perenyi)
Im Tableau der englischen Premier League sind der FC Liverpool und der FC Chelsea Nachbarn. Mit Jürgen Klopp und Thomas Tuchel werden beide Teams von deutschen Trainern betreut. Doch die tabellarische Nähe trügt, die Ausgangslage könnte nicht unterschiedlicher sein.
Beide sind in Süddeutschland geboren, trainierten erst Mainz, dann Dortmund und nun auch einen Klub in der Premier League. Das war's. Viel mehr Gemeinsamkeiten gibt es offenbar nicht. Überraschend nüchtern sprechen Jürgen Klopp und Thomas Tuchel vor dem Duell ihrer Premier-League-Mannschaften über ihre gemeinsame Historie. Der eine gilt als charismatischer Menschenfänger und ist seit fünf Jahren Trainer beim FC Liverpool (Klopp), der andere als kühler Analyst und ist erst seit wenigen Wochen Übungsleiter beim FC Chelsea (Tuchel). Fachlich gibt es viel Anerkennung, persönlich wirkt es dann doch eher unterkühlt.
"Wir kennen uns, aber nicht so gut, wie jeder denkt", erklärte Tuchel in der Pressekonferenz vor dem Spiel. Denn als er zum 1. FSV Mainz 05 kam, ging Klopp gerade. Gleiches dann wieder in Dortmund, Tuchel beerbte Klopp: "Natürlich haben wir uns auch da nicht getroffen." Man kenne sich aber über Ecken. "Viele Leute, mit denen wir zusammengearbeitet haben, sind die gleichen", fasste Klopp es auf seiner Pressekonferenz zusammen. Beide sehen sich hin und wieder bei Trainer-Meetings oder wenn sie zufällig gleichzeitig in Mainz alte Spieler besuchen. Sonst eher weniger. Wenn sie sich treffen, soll es immer "nett", "witzig" oder "interessant" geworden sein.
Liverpools "Gewinn-Maschine" stottert
Im Liverpooler Anfield wird es diesmal wohl keine Nettigkeiten geben. Nicht nur charakterlich, auch sportlich wird es trotz der Tabellennachbarschaft (Chelsea auf Platz fünf, Liverpool auf sechs) ein Duell der Gegensätze. Seit Thomas Tuchel Cheftrainer beim FC Chelsea ist, läuft es in London: Er ist weiterhin ungeschlagen und errang zuletzt einen knappen 1:0-Erfolg im Champions-League-Hinspiel gegen Atlético Madrid. Seine Mission ist klar: Mit den "Blues" am Ende der Saison auf einem Königsklassen-Platz unter den Top-Vieren stehen.
Als Titelverteidiger ist Klopps Mannschaft mit viel höheren Ambitionen in Saison gestartet, doch auch sie muss sich inzwischen mit dem Ziel der Königsklassen-Qualifikation zufriedengeben. Die erneute Meisterschaft haben die Reds schon abgehakt, Josep Guardiolas Manchester City scheint komplett enteilt zu sein. Die "Gewinn-Maschine", in die Liverpool von Klopp laut Tuchel verwandelt wurde, sie läuft nicht mehr wie geschmiert. Der Start ins neue Kalenderjahr 2021 verlief mehr als holprig: Nur fünf Siege aus 13 Spiele reichen gerade einmal für Tabellenplatz sechs, mit 22 Punkten Rückstand auf City. Erst letztes Wochenende gab es für Liverpool die erste Heimniederlage im Merseyside-Derby gegen den FC Everton seit 1999.
Ein Hoffnungsschimmer ist das sich langsam lichtende Lazarett. Der Anker in der Abwehr, Innenverteidiger Virgil van Dijk, fehlte einen Großteil der Saison mit einem Kreuzbandriss und arbeitet inzwischen wieder auf dem Trainingsplatz mit dem Ball. Auch eine weitere Konstante aus der Meistersaison, Mittelfeldarbeiter Fabinho, steht immerhin wieder im Kader. Damit könnte es gerade in der Defensive bald etwas ruhiger werden. Gerade in der Innenverteidigung musste Klopp zuletzt kreativ werden: Mehr als ein Dutzend verschiedene Paarungen spielten im Laufe der Saison dort. Doch während wichtige Stützen zurückkehren, gab es jüngst den nächsten Nackenschlag. Kapitän Jordan Henderson fällt bis mindestens Ende März aus.
"Das beste Gefühl, das du als Trainer haben kannst"
Personalsorgen ganz anderer Art "plagen" dagegen Tuchel bei Chelsea. Seit seiner Ankunft testet der 47-Jährige fleißig verschiedenste Konstellationen in der Startelf aus. Nachdem er im Januar von Vereinsikone Frank Lampard übernommen hatte, krempelte er im Westen Londons einiges um: In seiner neuen taktischen Grundordnung testete er seine Profis auf sämtlichen Positionen. Tuchels Maßnahmen sind von Erfolg gekrönt: Die Ergebnisse stimmen und Chelseas vormals fehleranfällige Defensive ist deutlich stabiler.
Trotz Chelseas neuer Defensivstärke erwartet Klopp keine Abwehrschlacht. Für ihn sind die Londoner inzwischen in "einer neuen Phase" angekommen. Die Zeit der Experimente sei vorbei und Tuchels Elf reif für die ganz großen Auftritte. "Es wird sehr interessant", prophezeite Coach. Rund um die Anker Mason Mount, Jorginho und Mateo Kovačić habe sich eine Elf herauskristallisiert, die Liverpool das "das ganze Paket" abverlange, so Klopp.
So kommt es auch, dass sein Gegenüber vor Vorfreude auf das Aufeinandertreffen beinahe platzt: "Solche Spiele fühlen sich wie Champions-League-Spiele an". Normalerweise säße Tuchel zu Hause vor dem Fernseher und würde die Partie im TV verfolgen. Dass er jetzt Teil davon ist, lasse ihn aufleben, sagte er. Zudem rechnet sich der ehemalige PSG-Trainer eine gute Sieg-Chance aus: "Das ist das beste Gefühl für einen Trainer, das du haben kannst." Derweil ist Klopp zum Siegen verdammt. Vier Liga-Heimniederlagen in Folge sind schon jetzt eine historisch schlechte Serie, eine fünfte gegen einen direkten Konkurrenten um die CL-Plätze könnte die Lage weiter verschärfen.
In das Abenteuer Premier League hat sich Tuchel übrigens auch ohne jeden Ratschlag von Klopp gewagt. "Wenn ich ihn angerufen hätte, hätte ich gehofft, dass er mir davon abrät", witzelte der 47-Jährige: "Weil er nicht gegen mich spielen möchte." Sollte er mit einem Sieg Liverpool noch weiter in die Krise stürzen, holt Klopp den Anruf vielleicht nach.
Quelle: ntv.de