Fußball

Völler küsst das DFB-Team wach Was Hansi Flick jetzt wohl denkt ...

Ein glücklicher Ex-Bundestrainer: Rudi Völler.

Ein glücklicher Ex-Bundestrainer: Rudi Völler.

(Foto: dpa)

Es gibt nur einen Rudi Völler! Der Ein-Spiel-Teamchef hat der tief gefallenen Nationalmannschaft wieder Leben eingehaucht. Die Fans sind begeistert, die Spieler auch. Aber ein Weitermachen wird es nicht geben, Völler bleibt hart. Für den neuen Bundestrainer ist das eine schwere Hypothek.

Der Dienstagabend in Dortmund war eine Zeitreise der besonderen Art. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des deutschen Fußballs gaben sich im alten Westfalenstadion die Klinke in die Hand. Und in welcher sie verbleibt, das ist nach dem im Ergebnis überraschenden und in seiner Art noch viel überraschenderem Testspielsieg der Nationalmannschaft gegen Frankreich (2:1) unklar. Bundestrainer Rudi Völler, die Gegenwart, wurde eiligst zur Vergangenheit. Seine Aushilfsmission für das kriselnde Aushängeschild des Landes soll nicht verlängert werden. Der Einmal-Rudi bleibt der Einmal-Rudi sagt der Einmal-Rudi. Dabei wäre er doch, so das Stimmungsbarometer im Stadion, ein Mann für die Zukunft, für die Heim-EM 2024, die Völler ja zum Sommermärchen erklärt hatte.

Aber Völler mag nicht bleiben. Stand jetzt, Stand an diesem Dienstagabend, der schon ganz leise an den Mittwoch anklopfte, als die Kultfigur des deutschen Fußballs seinen Standpunkt abermals untermauert hatte. Ein anderer Mann soll den Weg zur EM beschreiten, soll die Zukunft gestalten. Für die, so ehrlich muss man sein, stand Völler bis zum Sonntagnachmittag nicht. Er war als Sportdirektor eigentlich dafür eingeplant, die Nationalmannschaft als Verbindungsmann zu flankieren, ihr Nähe und Herzenswärme zu geben. Weil sich Hansi Flick, der ehemalige Chefanleiter, aber um Kopf und Kragen gecoacht hatte, musste eine schnelle Lösung her. Und so bot sich der "Rudi", wie er herzenswarm gerufen wird, an. Zusammen mit seinen Assistenten Hannes Wolf und Sandro Wagner.

Völler mit Liebeserklärung an Müller

Und dieses neue (einmalige?) Triumvirat hatte tatsächlich das geschafft, was kaum möglich schien: Es hatte die Mannschaft aus ihrer erschreckenden Lethargie gerissen, hatte ihr eine einfache, aber gut funktionierende Idee an die Hand gegeben und ihr untersagt, vogelwild ins Verderben zu rennen. Auf dem Platz gestaltete sich das dann so: Die Abwehr agierte deutlich tiefer und zurückhaltender, in der Offensive wurde das Tempo über die motivierten Tempospieler Serge Gnabry und Leroy Sané forciert. So entstand auch das 1:0 durch Thomas Müller, noch so ein Mann, der für Vergangenheit, Gegenwart und noch die Zukunft des deutschen Fußballs steht. Bei Flick war er längst nicht mehr erste Wahl, bei Völler unbedingt. Und so schwärmte der (Ex?)-Bundestrainer von seinem Anführer: "Thomas ist nicht nur der ideale Spieler, sondern auch ein Mensch und ein Typ. Er gibt die Kommandos, er geht die Wege, die du brauchst, um das Spiel zu gewinnen."

Deutschland - Frankreich 2:1 (1:0)

Tore: 1:0 Müller (4. Minute), 2:0 Sané (87.), 2:1 Griezmann (89., Foulelfmeter)
Deutschland: Ter Stegen - Tah, Süle, Rüdiger, Henrichs (78. Gosens) - Gündogan (25. Groß), Can, L. Sané, Wirtz (78. Hofmann), Gnabry (64. Brandt) - T. Müller (64. Havertz) Trainer: Völler
Frankreich: Maignan - Pavard (65. Koundé), Todibo, Saliba, Theo - Tchouameni, Camavinga, Coman (64. Dembélé), Rabiot (78. Rabiot), Griezmann - Kolo Muani (64. Thuram) Trainer: Deschamps
Schiedsrichter: Anthony Taylor (England)
Zuschauer: 60.486 in Dortmund
Gelbe Karten: Groß, Rüdiger

Wie es für den Bayern-Star, der nur wenige Stunden nach seiner Leistung 34 Jahre alt wurde, im DFB-Team nun weitergeht? Der blickte ohnehin zurück in die Vergangenheit. "Erst einmal will ich mich bei Hansi und seinem Trainerteam bedanken. Es war wirklich für uns auch nicht einfach diese Negativ-Serie zu ertragen, die wir selbst auch verantworten", sagte er in der ARD und berührte dann die Gegenwart: "Der Abschied unter der Woche war schon eine verrückte Situation und jetzt die letzten drei Tage."

Müllers Zukunft liegt nicht mehr in Völlers Hand. Und wie der neue Mann mit dem Offensivspieler plant, kann niemand vorhersagen, weil ja nicht bekannt ist, wer es werden soll. Klar ist nur: Der DFB hält sich alle Optionen offen, so könnte erstmals auch ein ausländischer Trainer kommen. Und so laut Ex-Stars wie Bastian Schweinsteiger und Philipp Lahm sich für die niederländische Ikone Louis van Gaal erwärmen, könnte man fast meinen, dass der Tulpengeneral bereits auf dem Weg zum DFB nach Frankfurt ist. Der wünscht sich, in Persona von Völler, einen absoluten Top-Mann. Und in Persona, von Boss Bernd Neuendorf, einen durchsetzungsstarken Charakter. Man kann all das in der Vita des 72-Jährigen finden. Man muss nicht lange suchen. Oder wird es doch Julian Nagelsmann, den der FC Bayern für eine geringere Ablöse als befürchtet freigeben würde? Und was ist mit DFB-Chefkritiker Matthias Sammer oder Kult-Ruheständler Felix Magath? Es ist die Zeit der wilden Szenarien.

Spricht Völler eine andere Sprache als Flick?

Aber an diesem Abend feiert das Stadion nur Völler. Die kollektive Erleichterung über eine erste Auferstehung nach der zunehmenden Flick-Verzweiflung entlud sich nach gut 30 Minuten in der ersten "La Ola"-Welle. Zuvor hatte es schon laute Rudi-Rufe gegeben. Es ist schon erstaunlich, wie schnell die Dinge sich drehen können. Wie wenig es manchmal braucht, um sich den Respekt - für Liebe ist es vielleicht noch etwas zu früh - des Publikums zurückzuverdienen. Eine Entlastung für die dauerhaft schwächelnden Fußballer ist das indes nicht. Man darf die Arbeitseinstellung durchaus hinterfragen.

Klar, ein paar schöne fußballerische Dinge waren dabei, etwa die Tore, das zweite erzielte der emsige und kaum zu haltende Leroy Sané kurz vor dem Ende, aber vor allem hatten die Nationalspieler ihren Blaumann angezogen. Sie stemmten sich robust gegen die Franzosen, die indes auf ihren Besten, auf Sensationsstürmer Kylian Mbappé, verzichtet hatten. Aber da stand eben trotzdem immer noch sehr viel Topklasse auf dem Feld. Plötzlich war da wieder eine erfühlte internationale Augenhöhe, die man sich in selbstvernichtenden Blitzanalysen gegen Japan selbst noch abgesprochen hatte. Jeder Zweikampf wurde gefeiert. Grätschen als das neue "Hacke, Spitze, eins, zwei, drei". Und wenn es dann auch mit Ball am Fuß mal schnell, mal schnörkellos zuging, sogar zielstrebig, dann war da plötzlich ein Hauch Euphorie. Eine Hypothek auch für den kommenden Mann. Undankbarer könnte der Schatten des Retters (und seiner Co-Trainer), nicht in die neue Amtszeit hineinstrahlen.

Ob es an Dortmund lag, der alten Industriestadt, dass sich der Kampf der Spieler als genügsame Form der Begeisterung entlud? Vielleicht war es auch eher die Erleichterung darüber, dass es um den Fußball im Land doch nicht so dramatisch steht, wie gemeinhin angekommen, geschrieben und diskutiert. Wie es die WM in Katar und die Experiment-Länderspiele im ersten Halbjahr mit Vehemenz nahegelegt hatten. Vielleicht lässt sich die individuelle Kraft der Individualisten doch zu einer wehrhaften Einheit formen, wenn da jemand ist, der die Sprache der Spieler spricht. Flick war das offenbar nicht mehr. Immer wieder wird die WM-Doku nun angeführt. Das ist auf Strecke ermüdend, aber tatsächlich liefert "All or Nothing" zahlreiche Indizien, dass der Bundestrainer die Stars nicht mehr erreichte. Da war der "Flug der Graugänse" nur die Spitze des Eisbergs.

Völler ebnet Weg in Zukunft und ist Vergangenheit

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Zuletzt war immer lauter diskutiert worden, dass zwischen dem Bundeshansi und den Auswahlspielern etwas passiert sein müsse. Zwar gibt es nach wie vor keine Beweise für Risse, dafür Entschuldigungen der Stars an Flick und sein Trainerteam, dass die Dinge nicht so funktioniert haben, wie sie sollten und unübersehbare Indizien, dass etwas nicht mehr passte. Wie kann es also sein, dass manch ein Spieler seinen Arbeitsauftrag dermaßen verweigert, wie beim Spiel gegen Japan mehrfach erlebt, um sich drei Tage später für das Trikot zu zerreißen. An einem genialen Masterplan kann es nicht gelegen haben, aber vielleicht daran, dass da jemand keine Graugänse sieht, sondern Fußballer, die auf dem einfachen Weg angesprochen werden möchten. Eine Entlastung für die dauerhaft schwächelnden Fußballer ist das nicht. Man darf deren Arbeitseinstellung durchaus hinterfragen. "Rudis Präsenz, seine Ansprache, sein Selbstverständnis - er war in seiner Karriere auch erfolgreich - haben uns geholfen", sagte etwa Jonathan Tah, der zum ersten Mal seit einem 2:0 gegen Israel im März 2022 überhaupt ein Länderspiel von Beginn an absolvierte. Andere Spieler sagten fast wortgleiche Dinge.

Und der geadelte befand: "Die erste halbe Stunde war es eine Top-Leistung, das muss man schon sagen. Wenn man gegen so eine klasse Mannschaft wie Frankreich in Führung geht, ist das natürlich der Idealfall. Danach haben wir wunderbar gefightet, haben stabil gestanden und wenig zugelassen." Und der Blitz-Retter wäre nicht der charismatische Versöhner, wenn er an diesem Abend der überraschenden Auferstehung nicht auch an Flick denken und ihm danke würde. Die Zukunft beginnt jetzt und Rudi Völler ist Vergangenheit. Hansi Flick eh.

Quelle: ntv.de

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