Fußball

Absturz von Partycrasher Chelsea Wie das "Finale dahoam" den FC Bayern veränderte

Glückseligkeit für drei Minuten: Thomas Müller bringt den FC Bayern in Führung.

Glückseligkeit für drei Minuten: Thomas Müller bringt den FC Bayern in Führung.

(Foto: IMAGO/Depositphotos)

Das Champions-League-Finale findet 2025 wieder in München statt. Seit dem "Finale dahoam" 2012 wird es dort das erste Endspiel der Königsklasse sein. Die Partie traumatisiert den deutschen Rekordmeister und krönt ein umstrittenes Milliarden-Projekt. Auch nach dem Drama bleiben die Klubs auf seltsame Art verbunden.

Als Bastian Schweinsteiger den letzten Elfmeter verwandelt, brechen alle Dämme. Die in weiß gekleideten Madrilenen brechen zusammen. Das Bayern-Team rast von der Mittellinie auf ihren Siegtorschützen zu, der steht längst oberkörperfrei vor der Kurve der Auswärtsfans. Als er später gefragt wird, was das für ihn bedeutet, antwortet Schweinsteiger schlicht: "Alles." Für den gesamten Verein endet an diesem 25. April 2012 eine im November 2010 ausgerufene Jagd von - natürlich - Uli Hoeneß. "Vergesst nicht: 2012 findet das Finale in München statt, und da müssen wir dabei sein", ließ der Patron vom Tegernsee damals verlauten.

Durch den Sieg über Real Madrid im Halbfinal-Rückspiel sind sie dabei. Sogar der Gegner steht zu diesem Zeitpunkt schon fest: der FC Chelsea. Der erst von Oligarch Roman Abramowitsch nachhaltig auf die europäische Landkarte gesetzte Londoner Klub hatte überraschend den FC Barcelona ausgeschaltet, entscheidendes Tor des eigentlichen Transfer-Flops Fernando Torres inklusive. Die Erwartung ist klar: Bayern hat Real geschlagen, die spielen zu Hause, die werden Champions-League-Sieger. Selbst wenn man die bis heute einzigartige Konstellation des Heimspiels in einem Champions-League-Finale ausklammert, sehen die Bayern aus wie der klare Favorit. Die Mannschaft des FC Chelsea ist über ihren Zenit, die Stars Frank Lampard und Didier Drogba sind beide 34 Jahre alt. An der Seitenlinie steht mit Roberto di Matteo ein Trainer, der in der Königsklasse über keinerlei Erfahrung verfügt (in seiner skurrilen Laufbahn coacht er bis heute lediglich bei 17 CL-Partien, sechs davon als Trainer des FC Schalke 04).

Mitten in einer Party, die nie stattfand

Vorzeichen hin oder her, die Finalpartie folgt einem Skript, das nur aus einem einzigen Grund zu bestehen scheint: dem FC Bayern das Herz zu brechen. So unermüdlich wie erfolglos rennen die Bayern die meiste Zeit des Spiels auf das Tor der Blues. Als Thomas Müller in der 83. Minute mit dem 1:0 endlich das Stadion explodieren lässt, gleicht Didier Drogba nur fünf Minuten später nach der ersten Ecke des FC Chelsea aus. Die Londoner retten sich in die Verlängerung, in der Arjen Robben einen Elfmeter verschießt. In einer bitteren, beinahe spöttischen Endsequenz steht erneut Bastian Schweinsteiger als letzter Bayern-Schütze des Elfmeterschießens am Punkt, nagelt den Ball an den Pfosten und will nur noch im Boden versinken. Eiskalt schiebt Drogba danach zum Sieg ein. Der FC Chelsea gewinnt als erster und bis heute einziger Londoner Klub das Endspiel der Königsklasse und taumelt siegestrunken in den Flieger zurück auf der Insel. Der FC Bayern wird zurückgelassen. Mitten in einer Party, die nie stattfand, obwohl sich die ganze Stadt den Abend freigehalten hatte.

Dreizehn Jahre später kann sich München wieder den Abend freihalten, die Königsklasse gastiert mit ihrem wichtigsten Spiel erneut in der bayerischen Landeshauptstadt. Das damalige Narrativ der einmaligen Chance auf ein "Finale dahoam" knickt vor der Langlebigkeit der Karrieren Thomas Müllers und Manuel Neuers ein. Denn der FC Bayern will selbstredend wieder dabei sein - und diesmal gewinnen. Eine Neuauflage gegen die Blues ist allerdings bereits jetzt ausgeschlossen. Der FC Chelsea hat sich in der vergangenen Saison mit Ach und Krach für die Conference League qualifiziert und gastiert im Rahmen des Wettbewerbs in Heidenheim, statt in München.

Champions-League-Sieger holt Marko Marin

Dabei geht es mit dem FC Chelsea keineswegs direkt nach dem CL-Triumph bergab, auch wenn er den Schlussakt einer Ära darstellt. Didier Drogba verlässt Chelsea noch im Sommer 2012 in Richtung China (er kehrt 2014 noch einmal recht erfolglos für ein Jahr zurück). Auch die Routiniers Michael Essien, Jose Bosingwa und Salomon Kalou kehren Chelsea den Rücken.

Der amtierende CL-Sieger investiert für das Projekt Titelverteidigung vor allem in der Offensive. Der belgische Wunderdribbler Eden Hazard kommt aus Lille, auch der Bremer Flügelspieler Marko Marin schließt sich den Blues an. Der angepeilte Doppelerfolg in der Königsklasse scheitert krachend (als erster Gewinner des Henkelpotts scheidet Chelsea bereits in der Gruppenphase aus). Unter Interimstrainer Rafa Benitez gewinnt der Klub jedoch immerhin die Europa League. Der FC Bayern holt sich parallel 2013 in London endlich seinen lang ersehnten CL-Sieg im Finale über die Dortmunder Borussia.

"Bessere Mannschaft hat verloren"

Und so treffen sich beide Teams zu Beginn der Saison 2013/14 schon wieder. Im Spiel um den UEFA-Supercup stehen zwei neue Trainer am Seitenrand. Sowohl Pep Guardiola (Bayern München) als auch José Mourinho (FC Chelsea) hatten erst Wochen zuvor übernommen. Diesmal sind es die Bayern, die dramatisch siegen. In der 121. Minute erzielt Neuzugang Javi Martínez das 2:2, im folgenden Elfmeterschießen versagen Romelu Lukaku gegen Neuer die Nerven.

"Die bessere Mannschaft hat verloren. Das ist Fußball, manchmal passiert das, und ich akzeptiere das", ließ José Mourinho nach Abpfiff wissen. Beim FC Bayern hätte das Timing für den ersten Titel unter Pep Guardiola kaum besser sein können. Den Supercup gegen Dortmund hatte der FCB verloren, kurz vor der Revanche gegen Chelsea in Freiburg nur Unentschieden gespielt. "Es war wichtig für uns, weil wir einfach Erfolgserlebnisse brauchen", erklärt Münchens damaliger Sportvorstand Matthias Sammer: "Wir sind noch lange nicht über den Berg, aber wir sind dabei, ihn zu erklimmen."

Guardiola letzter Bayern-Trainer, der nicht entlassen wurde

Der FC Bayern erklomm so einige Berge. Bis 2020, als sich beide Teams in der Königsklasse wiedersehen, gewinnt der Klub sechs Meisterschaften und gewinnt dreimal den DFB-Pokal. Guardiola verlässt den Verein im Sommer 2016, mit Ausnahme des noch für eine Saison eingesprungenen Jupp Heynckes ist er bis heute der letzte Trainer, der seinen Vertrag beim FC Bayern erfüllt.

Auf ihn folgen Carlo Ancelotti, besagter Heynckes, Niko Kovač und Hansi Flick. Herausforderer auf nationaler Ebene gibt es für den FC Bayern in dieser Zeit nicht mehr. Das verlorene CL-Finale 2013 bleibt der Höhepunkt der Dortmunder Reise unter Erfolgstrainer Jürgen Klopp. Der VfL Wolfsburg schlägt den FC Bayern im Jahr 2015 souverän mit 4:1 in der Liga und wird im selben Jahr Pokalsieger. Fußballdeutschland erkennt in dem Klub aus der Autostadt endlich einen neuen Herausforderer. Doch der verabschiedet sich nach dem Abgang von Kevin De Bruyne zügig aus der Spitzengruppe der Bundesliga.

Lampards Elf kommt unter die Räder

Der FC Chelsea gewinnt unter Mourinho (2015) und Antonio Conte (2017) in der deutlich stärkeren Konkurrenz der Premier League immerhin zwei Liga-Titel. 2019 holt das Team mit Tabak-Aficionado Maurizio Sarri an der Seitenlinie ein zweites Mal die Europa League. Und doch geben längst andere Teams in der englischen Elite-Liga den Ton an: Manchester City (angeführt vom ehemaligen Chelsea-Talent Kevin De Bruyne) und der FC Liverpool (angeführt vom ehemaligen Chelsea-Talent Mohamed Salah).

Die mittlerweile von Ex-Spieler Frank Lampard trainierte Mannschaft kommt im Achtelfinale der Champions League 2020 mit 3:0 und 4:1 deutlich unter die Räder. Zwischen den beiden Partien liegen aufgrund der Corona-Pandemie, die die Welt lahmlegt, Monate. Im Anschluss demütigen die Bayern unter anderem auch den FC Barcelona und gewinnen im Finale gegen PSG ein sechstes Mal den Henkelpott.

Chelsea überrascht sich erneut zum Sieg

Die einstigen Rivalen von 2012 scheinen endgültig nicht mehr auf dem gleichen Niveau unterwegs zu sein. In der Premier League wird der FC Chelsea zwar Vierter, jedoch mit krachenden 33 Punkten Rückstand auf Meister Liverpool. Und doch gewinnen die Blues nur ein Jahr später völlig überraschend ebenfalls die Champions League, auch wenn die Partie nicht ganz so grotesk einseitig ist wie das Endspiel von 2012. Nach dem Bayern-Triumph in Lissabon schlägt der FC Chelsea in Porto Manchester City. Es ist das erste Mal in der Geschichte der Champions League, dass das Endspiel zwei Jahre hintereinander im selben Land stattfindet.

Im Nachgang des Titels für die Blues kommt es vor allem aufgrund des Verkaufs an neue Eigentümer im Verein zu enormen Turbulenzen. Trotz gigantischer Investitionen fällt Chelsea in Rekordgeschwindigkeit aus der gehobenen Gesellschaft des europäischen Fußballs. Relativ überraschend wird Erfolgstrainer Thomas Tuchel entlassen - und heuert 2023 beim FC Bayern an. Dort stellt er fest, dass auch die Münchener nach ihrem letzten CL-Triumph eine Menge Themen zu moderieren hatten.

Ärgert Bayern Chelsea selbst in der Conference League?

Hansi Flick verließ zuvor den Klub nach dem Gewinn des "Sextuples", um Nationaltrainer zu werden. Es wird eine neue Führungsriege um Hasan Salihamidžić und Oliver Kahn aufgebaut, Julian Nagelsmann als langfristiger Trainer des FC Bayern verpflichtet, Julian Nagelsmann nach nur anderthalb Jahren wieder freigestellt, mit Christoph Freund und Max Eberl eine noch neuere Führungsriege aufgebaut und Thomas Tuchel nach knapp einem Jahr schließlich schon wieder verabschiedet. Der Unterschied: Trotz all des Theaters neben dem Platz hält beim FC Bayern die nationale weiße Weste zumindest so lang, bis Bayer Leverkusen 2023/24 eine Bundesliga-Saison ohne Niederlage spielt.

Und auch wenn beide Teams momentan Welten voneinander entfernt zu sein scheinen, müssen die internationalen Wettbewerbe der diesjährigen Saison nicht ohne Querverweise zwischen den beiden ungleichen Rivalen von 2012 auskommen. Schließlich baut der FC Bayern für die Mission, das "Drama dahoam" endlich vergessen zu machen, in allererste Linie auf Jamal Musiala, der - wie auch Neuzugang Michael Olise - beim FC Chelsea ausgebildet wurde. Und die Blues müssen in der Nations League aufpassen, dass sie nicht über formstarke Heidenheimer stolpern, deren Top-Spieler seit 2018 für den FC Bayern kickt: Paul Wanner.

Quelle: ntv.de

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