"Collinas Erben" ordnen ein Bayer hadert mit Regeln, St. Pauli mit Schiri
11.04.2022, 06:57 Uhr

Diaby trifft den Ball im Fallen doppelt, der Elfmeter zählt nicht.
(Foto: IMAGO/eu-images)
Nach zuletzt schwierigen Tagen treffen die Schiedsrichter in den beiden höchsten deutschen Fußballligen am Wochenende einige bemerkenswerte Entscheidungen - vor allem in Bochum, Nürnberg und Berlin. Der FC St. Pauli dagegen hadert mit dem Unparteiischen, und das ist verständlich.
In den Tagen vor dem 29. Spieltag der Fußball-Bundesliga hatten die Schiedsrichter einiges an Kritik einzustecken. Christian Dingert etwa wurde vom Sportgericht des DFB scharf dafür gerügt, zum Auswechselchaos im Spiel des SC Freiburg gegen den FC Bayern München entscheidend beigetragen zu haben: Er sei seinen Pflichten "in mehrfacher Hinsicht schuldhaft nicht nachgekommen", es gebe ein "gravierendes Fehlverhalten des Schiedsrichterteams in seinem originären Verantwortungsbereich", hieß es in dem am Freitag ergangenen Urteil zum Einspruch der Breisgauer.
Im Nachholspiel zwischen dem FC Augsburg und dem 1. FSV Mainz 05 unter der Woche wiederum traf Matthias Jöllenbeck zugunsten der Gastgeber eine Elfmeterentscheidung, die er kurz nach dem Schlusspfiff im Interview des Senders Sky in beachtlicher Offenheit selbst als klaren Fehler bezeichnete. Der Video-Assistent hatte jedoch nicht eingegriffen.
An diesem Wochenende dagegen waren die Entscheidungen der Unparteiischen oft bemerkenswert gut, auch in Spielsituationen, die nur selten vorkommen und zudem eine regeltechnische Herausforderung sind. So wie die Ausführung des - vertretbaren - Strafstoßes, den Referee Felix Zwayer in der Partie zwischen dem VfL Bochum und Bayer 04 Leverkusen (0:0) nach 64 Minuten den Gästen zusprach. Moussa Diaby glitt beim Schuss aus und schoss sich den Ball dadurch mit seinem linken Fuß gegen den rechten. Die Kugel flog ins Tor, und schon aufgrund ihrer merkwürdigen Flugbahn dürfte Zwayer klar gewesen sein: Da stimmte etwas nicht, das war nicht regelkonform.
Zu Recht entschied er - sofort, ohne Konsultation des VAR - auf indirekten Freistoß für den Gegner, also die Bochumer. Das ist die vorgesehene Spielfortsetzung, wenn der Elfmeterschütze den Ball nach der Ausführung ein weiteres Mal berührt, ohne dass vorher ein anderer Spieler am Ball war. Ob zwischen dem ersten und dem zweiten Kontakt nur Augenblicke liegen oder mehrere Sekunden, ist dabei unerheblich. Der Strafstoß war eine getreue Kopie des entscheidenden Schusses von Florian Kainz im Elfmeterschießen des DFB-Pokal-Achtelfinalspiels zwischen dem 1. FC Köln und dem Hamburger SV im Januar. Auch damals hatte der Schiedsrichter den kuriosen Verstoß bei der Ausführung bemerkt und den Elfmeter richtigerweise als vergeben bewertet.
Tor statt Elfmeter - und dadurch Gelb statt Rot
Auch in der Zweiten Liga kam es bei der Begegnung 1. FC Nürnberg - SV Darmstadt 98 (3:1) zu einer regeltechnischen Rarität. Nach 58 Minuten schoss der Darmstädter Phillip Tietz im Strafraum auf das Tor der Gastgeber, und dort verhinderte der Nürnberger Pascal Köpke mit einer Glanzparade, dass der Ball einschlägt. Das Problem dabei war nur: Er ist - anders als sein Vater Andreas Köpke, langjähriger Nationalkeeper und Bundestorwarttrainer - kein Torhüter, sondern Stürmer, und deshalb handelte es sich um ein strafbares Handspiel zur Torverhinderung. Doch der Ball gelangte zum Darmstädter Luca Pfeiffer, der ihn zum 1:1 im Gehäuse der Franken unterbrachte.
Bei Vergehen, die einen Feldverweis nach sich ziehen, soll der Schiedsrichter zwar nur im Ausnahmefall die Vorteilsbestimmung anwenden. Eine solche Ausnahme war hier aber gegeben, weil eine Torerzielung möglich und wahrscheinlich war. Schiedsrichter Timo Gerach pfiff deshalb nach dem Handspiel auch nicht, sondern wartete intuitiv ab, ob sich ein Vorteil ergeben würde, und gab schließlich den Treffer. Zudem verwarnte er Köpke - und auch das war korrekt. Denn die Fußballregeln sehen einen "Strafrabatt" vor, wenn der Versuch, mit einem strafbaren Handspiel ein Tor zu verhindern, erfolglos bleibt: Statt der Roten Karte gibt es dann nur die Gelbe, weil das unsportliche Vorhaben nicht zum Ziel geführt hat.
Nicht nur wegen dieser korrekten Entscheidungen in einer selten vorkommenden und schon deshalb nicht einfach zu lösenden Situation zeigte der Referee eine starke Leistung. Das trug ihm Anerkennung selbst vonseiten des Trainers der unterlegenen Mannschaft ein: Der Darmstädter Coach Torsten Lieberknecht, für die Unparteiischen aufgrund seiner Emotionalität nicht immer einfach im Umgang, lobte Gerach und dessen Team auf der Pressekonferenz nach dem Spiel ausdrücklich. "Die Schiedsrichter fand ich heute auch sehr aufmerksam", sagte er. Den Vierten Offiziellen Tom Bauer hob Lieberknecht sogar besonders hervor: "Er hat sehr beruhigend auf viele Dinge eingewirkt."
Auch Sven Jablonski überzeugte als Leiter des intensiven und emotionalen Berliner Stadtduells zwischen Hertha BSC und dem 1. FC Union (1:4) am Samstagabend. Mit der frühen Gelben Karte gegen den Hertha-Torwart Marcel Lotka, der sich mit einem Rempler gegen die Brust von Grischa Prömel für dessen unmittelbar vorangegangenes Foulspiel revanchiert hatte, setzte der Unparteiische aus Bremen ein deutliches und wegweisendes Zeichen. Auch ansonsten gefiel Jablonski durch eine klare Linie, eine souveräne Spielkontrolle und ein sicheres Auftreten.
Der FC St. Pauli beklagt sich zu Recht
Unmut über den Unparteiischen herrschte hingegen beim FC St. Pauli nach dem Spitzenspiel in der Zweiten Liga gegen den SV Werder Bremen (1:1). Das lag daran, dass Referee Florian Badstübner nach 58 Minuten ein Handspiel des Bremers Felix Agu in der Entstehung des Ausgleichstreffers der Gäste nicht geahndet hatte. Agu hatte den Ball beim Versuch, auf der Außenbahn an seinem Gegenspieler Marcel Beifus vorbeizuziehen, mit dem rechten Arm durch die Beine des Hamburgers befördert. Auf diese Weise versetzte er Beifus, nach drei weiteren Stationen stand es 1:1, dabei blieb es auch.
Nach Rücksprache mit VAR Sören Storks war es zwar zum On-Field-Review gekommen, doch dabei hatte Badstübner nur wenige Sekunden am Monitor verbracht, bevor er entschied: Es bleibt bei der Anerkennung des Tores. Der Schiedsrichter bewertete Agus Handspiel mithin als nicht strafbar, vermutlich deshalb, weil er die Armhaltung des Bremers beim Handspiel als Teil einer natürlichen Bewegung zur Wahrung des Gleichgewichts ansah und für ihn keine Absicht im regeltechnischen Sinne vorlag. Allerdings ging Agus abgespreizter Arm deutlich zum Ball, und das bei einer Gewichtsverlagerung aus eigenem Antrieb. VAR Storks hatte deshalb gute Gründe, Badstübner zum Review zu raten.
Abgesehen von jenen, die es mit Werder hielten, gab es auch eher wenige, die das Handspiel wie der Unparteiische als nicht ahndungswürdig erachteten. Sicherlich nicht zuletzt deshalb, weil der Vorteil, den Agu sich dadurch verschaffte, so offensichtlich war - doch das ist zumindest regeltechnisch kein Kriterium. Ungeachtet dessen sprach hier aufgrund des Bewegungsablaufs und der Armhaltung, über die der in Ballbesitz befindliche Bremers entscheiden konnte, deutlich mehr für ein strafbares Handspiel. Badstübners Entscheidung sorgte für viele Diskussionen und einige Kritik - doch dabei sollte nicht in Vergessenheit geraten, dass es für die Unparteiischen ansonsten ein wirklich gutes Wochenende war.
Quelle: ntv.de