
Die Ultras fordern die Trikots der Spieler.
(Foto: IMAGO/camera4+)
Es ist die bittere Realität für Hertha BSC: Die Fußball-Macht in Berlin gehört dem 1. FC Union. Zu viel für die Ultras, die die Trikots der gedemütigten Profis einfordern. Während die Stimmung intern brodelt, drückt ausgerechnet der Rivale dem Klub die Daumen im Abstiegskampf.
"Den Spaß suche ich noch. Den habe ich bisher heute nicht gefunden", sagte Felix Magath nach der Derby-Klatsche. Während der Hertha-Trainer dies noch relativ gefasst am Sky-Mikrofon sagte, mussten seine Spieler bereits zum Rapport. Bei den Ultras in der Ostkurve, die längst nicht so entspannt waren wie der Coach. 1:4 hatte der 1. FC Union Berlin das Stadtderby im Berliner Olympiastadion gewonnen, eine Demütigung für den akut abstiegsbedrohten Rivalen.
Hertha BSC: Lotka - Pekarik, Boyata, Kempf, Eitschberger (46. Dardai) - Gechter - Darida (46. Mittelstädt), Tousart, Ascacibar (75. Ekkelenkamp) - Jovetic (21. Belfodil), Maolida (74. Serdar). - Trainer: Magath
Union Berlin: Rönnow - Baumgartl, Knoche, Heintz (72. Ryerson) - Trimmel, Khedira, Gießelmann (72. Oczipka) - Haraguchi (61. Schäfer), Prömel - Becker (82. Michel), Awoniyi (82. Voglsammer). - Trainer: Fischer
Schiedsrichter: Sven Jablonski (Bremen)
Tore: 0:1 Haraguchi (31.), 1:1 Baumgartl (49., Eigentor), 1:2 Prömel (53.), 1:3 Becker (74.), 1:4 Michel (85.)
Es war nach dem Hinspiel und dem Pokal-Aus bereits das dritte Derby dieser Saison, das die Herthaner verloren. Zu viel für die Ultras, die den Spielern die Vereinsehre aberkannten. Sie sollten ihre Trikots ausziehen, was einige auch taten. "Es ist schwer zu erklären, was mit den Fans besprochen wurde, sage ich lieber nicht. Es war einfach eine Geste, das Trikot auszuziehen. Ich habe auch nur gehört, dass wir das Trikot ausziehen und vorne hinlegen sollen. Nach dem Spiel ist natürlich klar, dass die Fans sauer sind. Deswegen habe ich es auch gemacht", sagte Maximilian Mittelstädt. "Ob Demütigung oder nicht", er habe "einfach den Konflikt vermeiden" wollen. Nach der letzten Derby-Pleite hatten etwa 80 Ultras das Trainingsgelände gestürmt und gedroht: "Ihr kriegt nochmal die Ansage, aber ihr wisst, dass es auch davon noch eine Steigerungsform gibt." Und: "Wir wissen, wo ihr seid."
Nun lagen die Trikots also vor der Kurve auf der blauen Tartanbahn. Zwischen Bierbechern und Papierschnipseln. Eine Szene, die Hertha weiter entzweite. Die Forderung der Ultras empfanden viele andere Fans als daneben, was sich an den Reaktionen auf Twitter zeigt. Auch Geschäftsführer Sport, Fredi Bobic, war verärgert - auch über seine Spieler: "Ich hätte es nicht gemacht. Ich ziehe das Trikot trotzdem mit Stolz an. Ich verstehe den Unmut, aber wir sind auch Sportler." Eine Szene, die der Kapitän übrigens gar nicht mitbekam: Während sich seine Teamkollegen bloßstellen lassen mussten, verließ Dedryck Boyata das Stadion in Richtung Kabine.
Nur Lotka bietet eine Show
Die Auflösungserscheinungen hielten also auch nach Abpfiff an. Schon während des Spiels war von einem funktionierenden Team nicht viel zu sehen gewesen. Der Wille war den Spielern nicht abzusprechen, das macht auch die Statistik deutlich: Mehr Ballbesitz, mehr Sprints, sogar die leicht bessere Zweikampfquote - allerdings verloren sie die entscheidenden. Phasenweise wirkte es so, als hätten sie noch nie zusammengespielt, es fehlte an Abläufen, an klarer Spielaufteilung, an Unterstützung für den Mitspieler, an positiver Körpersprache, offensiv mächtig an Tempo. Und das lag nicht nur daran, dass Magath in der Startaufstellung mit dem Debütanten Julian Eitschberger in der Defensive überraschte und auch den 18-jährigen Linus Gechter von Beginn an aufbot. Dass Stürmer Stevan Jovetic bereits in der 21. Minute verletzt ausgewechselt wurde, war Pech. Es kam der weitgehend unsichtbare Ishak Belfodil.
Die Show bot zu Beginn der Partie ein anderer: Torhüter Marcel Lotka. Die nominelle Nummer drei, die den verletzten Stammtorhüter Alexander Schwolow vertrat, trieb die Union-Offensive zunächst mit seinen sensationellen Reflexen zur Verzweiflung. Ob Timo Baumgartl (4.), Niko Gießelmann (13.), Taiwo Awoniyi (17.) oder Sheraldo Becker (29.) vor ihm auftauchten, er ließ den Ball nicht ins Tor. Wie sehr Lotka den emotionalen Leader gab, zeigte sich auch in einem Nahkampf mit Grischa Prömel, der vom aufgebrachten Keeper zu Boden gerempelt wurde, der dafür Gelb sah.
Seine Reflexe hielten bis zur 31. Minute an, ehe Ex-Herthaner Genki Haraguchi das 1:0 erzielte. Bezeichnend für das Spiel war auch, dass noch einmal Hoffnung aufkam, obwohl die Hertha wenig dazu beitrug. Ein Eigentor von Timo Baumgartl (49.) machte Pröml dann nur vier Minuten später wieder wett. Von da an ging es dahin, Becker (74.) und der eingewechselte Sven Michel (85.) trafen bis zur 1:4-Klatsche.
"Wünschen uns, dass Hertha in der Liga bleibt"
Als Tabellen-17. - punktgleich mit dem 16. Arminia Bielefeld und nur ein Punkt hinter dem VfB Stuttgart - wird die Abstiegsangst für Hertha BSC immer realer. Auch bei den Unionern, die ab sofort dem Rivalen die Daumen drücken werden. "Trotzdem wünschen wir uns, dass Hertha in der Liga bleibt. Das war ein Fußballfest heute, das braucht die Stadt. Ich kann nur für mich sprechen, so ein Derby macht etwas aus einer Stadt, ich mag das sehr", sagte Kapitän Christopher Trimmel. Und Baumgartl stimmte mit ein - mit einer Einschränkung zugunsten seines langjährigen Ex-Klubs: "Wir wünschen uns alle, dass Hertha in der Liga bleibt, solche Derbys machen am meisten Spaß. Ich habe mit dem VfB Stuttgart aber noch einen weiteren Verein, dem ich die Daumen drücke. Es soll die bessere Mannschaft drinbleiben."
Für die Unioner geht es dagegen noch um Europa. Der aktuelle Tabellenplatz sieben könnte für die Qualifikation ausreichen, da mit RB Leipzig und dem SC Freiburg zwei Klubs oben drinstehen, die sich auch noch mittels Pokalsieg qualifizieren könnten. Es gab großes Lob von Magath: "Wir haben heute gegen eine bessere Mannschaft gespielt, die bessere Mannschaft war hoch engagiert. Sie haben von Beginn an gezeigt, dass sie gut sind."
Sein eigenes Team wollte er aber noch nicht aufgeben: "Ich sehe das jetzt nicht so schwarz. Die Gegner, die wir in den nächsten Spielen haben, sind nicht ganz auf dem Niveau von Union Berlin, deswegen werden sich uns Chancen eröffnen." Es geht für Hertha in den kommenden Wochen gegen die direkte Abstiegskonkurrenz: FC Augsburg, VfB Stuttgart, Arminia Bielefeld. Während Bobic hörbar dünnhäutig reagierte - "Wir können uns ja nicht abmelden" -, sagte Lotka mutig: "Hertha wird nicht absteigen. Sowas wie heute darf uns nicht passieren." Das dürften ihnen auch die Ultras mehr als deutlich klargemacht haben.
Quelle: ntv.de