"Collinas Erben" loben Gespanne Der VAR ist besser als sein Ruf
25.10.2021, 07:12 Uhr

Tobias Welz schaut sich das noch einmal an und bleibt im Spiel Wolfsburg gegen Freiburg bei seiner Entscheidung.
(Foto: picture alliance/dpa)
Häufiger als sonst schalten sich an diesem Spieltag der Fußball-Bundesliga die Video-Assistenten ein. Doch das tun sie durchweg zu Recht - und sogar einmal zu wenig. Insgesamt ist ihre Zwischenbilanz positiv.
Vor einigen Tagen bot die sportliche Leitung der Unparteiischen im bezahlten deutschen Fußball einen Online-Workshop für Medienvertreter an. Zwei Stunden lang ging es auch und nicht zuletzt um die Video-Assistenten, mit denen Schiedsrichter-Chef Lutz Michael Fröhlich und VAR-Projektleiter Jochen Drees in dieser Saison bislang zufrieden sind. In den ersten sieben Spieltagen habe es 28 Eingriffe aus Köln gegeben, 27 davon seien berechtigt gewesen, resümierte Drees. In einem Fall habe der VAR zwar zu Unrecht interveniert, die finale Entscheidung des Referees sei aber trotzdem nicht falsch gewesen. Zweimal habe der Video-Assistent nicht eingegriffen, obwohl er es hätte tun sollen.
Diese Zwischenbilanz mag mit der Gefühlswelt mancher Fans nicht übereinstimmen, aber wer glaubt, die sportliche Leitung beschönige die Wirklichkeit, sei daran erinnert, dass deren Statistiken in der Vergangenheit auch schon mal wesentlich weniger positiv ausfielen. Der VAR kommt in der fünften Saison zum Einsatz, und man merkt die gewachsene Erfahrung in der Anwendung deutlich. Die Berechenbarkeit von Eingriffen und Nicht-Eingriffen sowie die Eingriffsqualität haben sich klar verbessert, Jochen Drees setzt zudem oft gewissermaßen auf Pärchenbildung, indem er gut funktionierende Kombinationen aus Schiedsrichter und VAR beibehält. Bei internationalen Turnieren gehören Video-Assistenten aus der Bundesliga zu denjenigen mit den meisten Einsätzen.
Am 8. Spieltag gab es nur einen einzigen - zweifellos berechtigten - Eingriff aus der Videozentrale, nach einem zunächst ungeahndeten strafbaren Handspiel in der Partie zwischen Borussia Dortmund und dem 1. FSV Mainz 05. Gleich sechsmal dagegen intervenierten die Video-Assistenten am vergangenen Wochenende. Damit erhöhte sich die Zahl der Eingriffe in dieser Saison auf 35, das sind im Schnitt knapp vier pro Spieltag, einer mehr als in der Vorsaison. Doch ein Schnellcheck zeigt, dass die Interventionen ihre Berechtigung haben.
Musiala foult, Forsberg nicht im Abseits
FC Bayern München - TSG 1899 Hoffenheim (4:0): Serge Gnabry trifft nach acht Minuten für die Bayern, doch seinem Torschuss ist ein klares Foulspiel des Vorlagengebers Jamal Musiala vorausgegangen: Der Münchner hat Florian Grillitsch bei der Balleroberung zweimal unfair im Beinbereich getroffen und so dessen Ballverlust verursacht. Weil Schiedsrichter Matthias Jöllenbeck diese Regelwidrigkeit verborgen geblieben ist, schaltet sich VAR Robert Schröder zu Recht ein. Es kommt zum On-Field-Review, danach annulliert der Referee den Treffer.
RB Leipzig - SpVgg Greuther Fürth (4:1): Kurz nach der Pause gleicht Yussuf Poulsen für die Gastgeber zum 1:1 aus, doch Schiedsrichter Christian Dingert verweigert dem Treffer zunächst die Anerkennung: Emil Forsberg soll sich bei Poulsens Torschuss im Abseits befunden und die Sicht des Gästetorwarts Marius Funk auf den Ball entscheidend beeinträchtigt haben. Video-Assistent Pascal Müller findet bei der Überprüfung jedoch schnell heraus, dass keine Abseitsstellung von Forsberg vorlag. Dingert gibt das Tor daraufhin doch noch.
Ebenso korrekt ist es, dass Müller bei beiden Strafstößen nicht interveniert: Kurz vor der Pause kommt der Leipziger Nordi Mukiele nur deshalb zum Kopfball, weil er Jamie Leweling anspringt und zu Boden drückt. Und nach 52 Minuten ringt der Fürther Marco Meyerhöfer seinen Gegenspieler Poulsen im Strafraum nieder. Beide Elfmeter sind zumindest vertretbar, die Überprüfungen gehen zudem schnell vonstatten, auch beim vermeintlichen Abseitstor.
Casteels gegen Kübler: Unfall oder Fahrlässigkeit?
VfL Wolfsburg - SC Freiburg (0:2): Als der Freiburger Philipp Lienhart in der 27. Minute nach einer Freistoßhereingabe ins Wolfsburger Tor trifft und Schiedsrichter Tobias Welz, dem Fahnenzeichen seines Assistenten folgend, auf Abseits erkennt, scheinen die Fernsehbilder die Richtigkeit der Entscheidung auf den ersten Blick zu belegen. Doch VAR Sascha Stegemann findet heraus, dass die linke Ferse von Kevin Mbabu der Wolfsburger Torlinie im Moment der Freistoßausführung deutlich näher war als Lienharts rechte Schulter. Daher erklärt Referee Tobias Welz den Treffer schließlich richtigerweise für gültig.
Drei Minuten später klärt der Wolfsburger Renato Steffen im eigenen Strafraum den Ball in einer brenzligen Situation gegen Lukas Kübler. Dadurch räumt sein Torhüter Koen Casteels, der sich ebenfalls in Richtung des Balles bewegt hat und nun nicht mehr rechtzeitig abbremsen kann, in einer Rutschbewegung den Freiburger mit den Knien regelrecht ab. Der Unparteiische lässt weiterspielen, doch sein Video-Assistent empfiehlt ihm ein Review. Am Ende bleibt Welz aber bei seiner Entscheidung, keinen Strafstoß zu geben.
In der Regelpraxis ist es zwar so, dass unglückliche Aktionen wie ein Kreuzen oder ein Zusammenprall abseits des Balles als Unfall bewertet und nicht geahndet werden. Aber hier war der Ball zunächst noch in Spielnähe, als sich Casteels und Kübler auf ihn zubewegten, wobei der Wolfsburger Keeper ein größeres Risiko einging und auch der aktivere Part war. Sein Einsteigen als fahrlässig zu bewerten - auch wenn er im Rutschen die Beine noch anzog - und mit einem Strafstoß zu ahnden, hätte deshalb deutlich näher gelegen. Dass der VAR intervenierte, war also korrekt.
Tätlichkeit von Rexhbecaj?
Hertha BSC - Borussia Mönchengladbach (1:0): Auch in dieser Begegnung schaltet sich der Video-Assistent zu Recht ein, und das schon nach acht Minuten. Denn wenn es überhaupt einen Kontakt von Maximilian Mittelstädts Fuß an der Ferse oder Achillessehne des Gladbachers Joseph Scally gegeben haben sollte, ist er derart minimal gewesen, dass er gewiss nicht den Ausschlag dafür gegeben hat, dass Scally im Berliner Strafraum zu Boden gegangen ist. Nach dem Review auf Empfehlung von VAR Robert Kampka nimmt Schiedsrichter Benjamin Cortus seine Strafstoßentscheidung folgerichtig auch zurück.
VfL Bochum - Eintracht Frankfurt (2:0): Nach zehn Minuten blockt der Bochumer Sebastian Polter den Ball im eigenen Strafraum mit dem rechten Arm ab, wobei er seine Trefferfläche unnatürlich vergrößert hat. Schiedsrichter Marco Fritz hat das eindeutig strafbare Handspiel nicht wahrgenommen, deshalb schickt ihn Video-Assistent Markus Schmidt in die Review Area. Danach gibt es einen völlig berechtigten Strafstoß für die Gäste, den Gonçalo Paciência jedoch verschießt - der Bochumer Torwart Manuel Riemann kann den Ball fast schon mühelos festhalten.
Ein weiterer Eingriff des VAR wäre zumindest nachvollziehbar: Als der Bochumer Elvis Rexhbecaj in einer emotional aufgeladenen Situation nach 39 Minuten gegen Rafael Borré erst den Ball spielt und sich dann entschließt, noch einmal auszuholen und mit dem linken Fuß gegen den Oberschenkel seines Gegners zu treten, spricht viel für eine Bewertung als Tätlichkeit. Es kommt dann auch zu einer Rudelbildung, doch der Referee lässt Rexhbecaj gänzlich ungeschoren davonkommen. Womöglich ist dem VAR die Intensität des Tritts zu gering, um ein Review zu empfehlen, doch an Rexhbecaj liegt das eher nicht. Selbst wenn die Zeitlupe die Dinge oft etwas dramatischer erscheinen lässt: Es ist schwierig zu vermitteln, warum es hier keine Rote Karte gibt.
Damit haben die Video-Assistenten an diesem Wochenende sechsmal zu Recht eingegriffen und dabei geholfen, fünf klare Fehlentscheidungen zu vermeiden. Einmal entschied sich der Referee überraschend gegen die Änderung seiner Entscheidung, einmal griff der VAR nicht ein, wo es ratsam gewesen wäre. Wie bei den Schiedsrichtern ist es auch bei den Video-Assistenten so, dass sie vor allem dann ein Thema sind, wenn sie etwas Umstrittenes tun oder Fehler begehen. Dabei wäre es so sinnvoll, den Blick einmal darauf zu richten, wie viele falsche Entscheidungen sie tatsächlich verhindern. Das mag man als selbstverständlich empfinden, aber es ist dennoch der Rede wert.
Quelle: ntv.de