"Collinas Erben" wünschen Genesung Drees gibt auf, Lewandowski jubelt geschickt
28.09.2015, 09:48 Uhr

Nicht ganz erlaubt, aber auch nicht gelbwürdig, der Unterziehshirt-Jubel von Robert Lewandowski nach seinem 100. Tor in der Bundesliga.
(Foto: dpa)
In Hamburg muss der Schiedsrichter runter, was aber kein Problem ist. Bayerns Stürmer Robert Lewandowski feiert in Mainz sein Jubiläumstor auf eine Weise, die eigentlich nicht erlaubt ist, aber auch keine Gelbe Karte nach sich zieht.
Am 8. April 1978 - und damit fast 15 Jahre nach ihrer Gründung – erlebte die Bundesliga noch einmal eine Premiere: Erstmals musste ein Schiedsrichter die Leitung einer Partie verletzungsbedingt vorzeitig abgeben. Klaus Ohmsen aus Hamburg hatte sich in der Partie zwischen dem VfB Stuttgart und Fortuna Düsseldorf einen Armbruch zugezogen und konnte daraufhin nicht mehr weiterpfeifen. Dass Linienrichter Hans-Werner Leyding nun Ohmsens Tätigkeit übernehmen würde, stand gemäß den Richtlinien sofort fest. Aber wer sollte an Leydings Stelle jetzt vor 65.000 Zuschauern die Fahne im Neckarstadion schwingen?
Der im Publikum weilende Werner Lange, Unparteiischer seit 23 Jahren, bot seine Dienste an. Doch dem offiziellen DFB-Beobachter schien das zu riskant, denn Lange war Mitglied des VfB Stuttgart. Also wurde über den Stadionlautsprecher ein anderer ausgebildeter Referee gesucht. "Wenige Minuten später stand Kurt Senghaas mit geliehenen Schuhen (zu groß), geliehener Hose (zu lang) und geliehenem Torwarttrikot (zu weit) vor Leyding", schildert die Zeitschrift "11 Freunde", wie es schließlich weiterging.
"Collinas Erben" - das ist Deutschlands erster Schiedsrichter-Podcast, gegründet und betrieben von Klaas Reese und Alex Feuerherdt. Er beschäftigt sich mit den Fußballregeln, den Entscheidungen der Unparteiischen sowie mit den Hintergründen und Untiefen der Schiedsrichterei. "Collinas Erben" schreiben jeden Montag auf ntv.de über die Schiedsrichterleistungen des Bundesligaspieltags. Unser Autor Alex Feuerherdt ist seit 1985 Schiedsrichter und leitete Spiele bis zur Oberliga. Er ist verantwortlich für die Aus- und Fortbildung in Köln, Schiedsrichterbeobachter im Bereich des DFB und arbeitet als Lektor und freier Publizist.
"Die Mannschaften waren einverstanden, Leyding befahl Senghaas jedoch, das Trikot umzudrehen, mit der Nummer 1 nach innen." Eine solch skurrile Geschichte ist in der Bundesliga nicht mehr denkbar, seit es dort den Vierten Offiziellen gibt. Dieser springt ein, wenn ein Schiedsrichter oder Assistent nicht mehr weitermachen kann. Ist es der Unparteiische selbst, der sich verletzt, dann übernimmt derjenige aus dem Gespann die Spielleitung, der am höchstklassigsten pfeift. Das kann der Vierte Offizielle sein, aber auch einer der Assistenten. Im Helferteam des Schiedsrichters ist immer wenigstens ein Mitglied zumindest zur Leitung von Zweitligaspielen berechtigt, um im Falle des Falles als qualifizierter Ersatz bereitzustehen.
Am Samstagabend gab Referee Jochen Drees in der Partie zwischen dem Hamburger SV und dem FC Schalke 04 nach 53 Minuten wegen einer Oberschenkelverletzung auf. Er wechselte daraufhin mit dem Vierten Offiziellen Marco Fritz die Plätze, der die Begegnung problemlos zu Ende führte. Warum die beiden ihre Headsets inklusive Verkabelung nicht einfach behalten konnten, sondern tauschen mussten (was mehrere Minuten dauerte), ist schnell erklärt: Während der Kommunikationskanal vom Schiedsrichter zu seinen Helfern dauerhaft geöffnet ist, muss sich der Vierte Offizielle mit einem Knopf – "Buzzer" genannt – zuschalten, um sich Gehör zu verschaffen. Grund dafür ist, dass der Referee und die beiden Assistenten an der Linie nicht durch die ständige Kommunikation des "Vierten Mannes" mit den Trainern und Offiziellen abgelenkt werden sollen.
Strafbar, aber nicht gelbwürdig
In Mainz erzielte Bayern-Stürmer Robert Lewandowski unterdessen sein hundertstes Bundesligator. Dieses Jubiläum feierte er, indem er sein Trikot etwas lüftete und ein Unterziehshirt präsentierte, auf dem groß die Zahl 100 prangte. Mancher Beobachter fragte sich daraufhin, ob das nicht eigentlich unter den übertriebenen Torjubel fällt, der mit einer Verwarnung zu sanktionieren ist. Doch dass Schiedsrichter Bastian Dankert die Gelbe Karte stecken ließ, war völlig richtig.
Denn zum einen gibt es den Karton nur, wenn sich ein Spieler sein Leibchen entweder über den Kopf stülpt oder sogar ganz auszieht. Zum anderen heißt es in der Regel 4 (Ausrüstung der Spieler) zwar: "Spieler dürfen keine Unterwäsche mit politischen, religiösen oder persönlichen Slogans, Botschaften oder Bildern oder Werbeaufschriften mit Ausnahme des Herstellerlogos zur Schau stellen." Doch wer dagegen verstößt, bekommt keine Gelbe Karte, sondern wird lediglich "vom Ausrichter des betreffenden Wettbewerbs mit einer Strafe belegt". Theoretisch könnte Lewandowski also eine Geldbuße drohen – wenn der DFB denn wirklich Anstoß an seiner harmlosen Jubelchoreografie nehmen sollte.
Foul nach Torschuss: Strafbar oder nicht?
Bei den Spielen des VfB Stuttgart gegen Borussia Mönchengladbach sowie zwischen dem VfL Wolfsburg und Hannover 96 trugen sich derweil recht ähnlich gelagerte Strafraumszenen zu, die von den Schiedsrichtern gleichwohl mit unterschiedlicher Konsequenz beurteilt wurden. In beiden Fällen wurde ein Spieler unmittelbar nach einem (erfolglosen) Torschuss im Strafraum gefoult. Doch während Schiedsrichter Günter Perl den Stuttgartern wegen des Einsteigens von Havard Nordtveit gegen Daniel Didavi einen Strafstoß zusprach, blieb die Pfeife von Deniz Aytekin nach der Grätsche des Hannoveraners Christian Schulz in die Beine von Daniel Caligiuri stumm.
Vor allem die Fernsehreporter bei Liveübertragungen sind nach solchen Szenen oft unsicher: Wenn einer ungehindert aufs Tor geschossen hat und erst danach unfair abgeräumt wird, ist das dann überhaupt noch ein "richtiges" Foul? Die Antwort ist eindeutig: Ja, es handelt sich um ein Vergehen, das zu ahnden ist - auch dann, wenn der Abschluss bereits erfolgt ist. Denn laut Regel 12 (Verbotenes Spiel und unsportliches Betragen) lauten die Bedingungen für ein Foulspiel lediglich: Es muss von einem Spieler auf dem Spielfeld während des laufenden Spiels begangen werden. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, gibt es außerhalb des Strafraums einen direkten Freistoß – und im Strafraum einen Strafstoß. Das ist alles.
Mit ganz anderen Problemen waren unlängst zwei Vereine in der ersten Kreisklasse in Nordthüringen konfrontiert: Bei der Partie zwischen dem SV Diamantene Aue Ringleben und der SG Seehausen im Kyffhäuserkreis liefen plötzlich zwei Wildschweine über den Sportplatz. Diese waren auf der Flucht vor einer in unmittelbarer Nähe stattfindenden Drückjagd. Der Schiedsrichter unterbrach die Partie, kurz darauf fielen Schüsse – zur Gefahrenabwehr, wie es offiziell hieß. Auf einem benachbarten Acker habe ein verletztes Tier zur Strecke gebracht werden müssen, um Schlimmeres zu verhindern. Die Begegnung konnte schließlich jedoch zu Ende gebracht werden. Sie endete mit einem harmonischen1:1. Am Spielbericht hat der Referee allerdings, so munkelt man, etwas länger gesessen als sonst.
Quelle: ntv.de