Collinas Erben

"Collinas Erben" mit taktischem Foul Klopp angefressen, Kinhöfer zu schnell

IMG_ALT
Erbost: BVB-Trainer Jürgen Klopp bei der Heimniederlage gegen den FC Bayern.

Erbost: BVB-Trainer Jürgen Klopp bei der Heimniederlage gegen den FC Bayern.

(Foto: imago/Horstmüller)

In Dortmund granteln sie nach der Niederlage gegen den FC Bayern gegen den Schiedsrichter – nicht ohne Grund. In Leverkusen hätte der "fairste Spieler der Liga" vom Platz fliegen müssen. In Hoffenheim ist der Unparteiische zu reaktionsschnell.

Jürgen Klopp war merklich angefressen. Gegen ungewohnt defensive Bayern hatte seine Mannschaft soeben mit 0:1 verloren, weil sie einfach kein Mittel gegen das Abwehrbollwerk der Münchner gefunden hatte, und das wurmte den Trainer des BVB. Doch er gab auch Schiedsrichter Knut Kircher eine Mitverantwortung für die Niederlage, weil dieser in der 87. Minute nicht auf Strafstoß für die Gastgeber entschieden hatte. Xabi Alonso war bei einem Tackling dem Dortmunder Stürmer Pierre-Emerick Aubameyang im Strafraum kurz auf den Fuß getreten und hatte ihn so zu Fall gebracht. Für Kircher war das im Gewühl schwer zu sehen, doch Klopp war sich "im Spiel schon sicher, dass das ein Elfer ist". Zumindest in der Sache hatte er Recht.

Collinas-Erben.jpg

Den Coach der Schwarz-Gelben störte aber noch etwas anderes, nämlich der allzu nachsichtige Umgang des Unparteiischen mit Vergehen, durch die aussichtsreiche Angriffe frühzeitig unterbunden wurden. So kam Xabi Alonso für sein Halten gegen Marco Reus nach einer Viertelstunde genauso mit einer Ermahnung davon wie der Dortmunder Sokratis nach seinem Einsteigen gegen den davoneilenden Robert Lewandowski in der 62. Minute. "Es gibt anscheinend ein Problem, was die Sichtweise zwischen Trainern und Schiedsrichtern bei taktischen Fouls betrifft", sagte Klopp nach dem Spiel. "Ein Schiedsrichter zeigt nur Gelb, wenn dadurch eine Torchance entsteht. Wir Trainer sind uns alle einig: Wir würden sofort Gelb geben."

Kircher zu großzügig

Collinas Erben

"Collinas Erben" - das ist Deutschlands erster Schiedsrichter-Podcast, gegründet und betrieben von Klaas Reese und Alex Feuerherdt. Er beschäftigt sich mit den Fußballregeln, den Entscheidungen der Unparteiischen sowie mit den Hintergründen und Untiefen der Schiedsrichterei. "Collinas Erben" schreiben jeden Montag auf ntv.de über die Schiedsrichterleistungen des Bundesligaspieltags. Unser Autor Alex Feuerherdt ist seit 1985 Schiedsrichter und leitete Spiele bis zur Oberliga. Er ist verantwortlich für die Aus- und Fortbildung in Köln, Schiedsrichterbeobachter im Bereich des DFB und arbeitet als Lektor und freier Publizist.

Die regeltechnische Wahrheit liegt hier ziemlich genau dazwischen. Die Referees sind gehalten, mehrere Kriterien bei der Antwort auf die Frage zu berücksichtigen, ob ein verwarnungswürdiges taktisches Foul vorliegt oder nicht: die Dynamik des Angriffs, die unmittelbare Spielrichtung, den Ort des Vergehens, den Raum, der sich dem ballführenden Spieler eröffnet hätte, sowie die Zahl und Position der gegnerischen Spieler. Vor allem bei Spielen konterstarker Mannschaften erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass es zu Situationen kommt, in denen der Gegner erfolgversprechende Angriffe bereits im Keim durch vermeintlich harmlose, aber effektive Vergehen zu ersticken versucht. Bereits nach dem letztjährigen DFB-Pokalfinale zwischen dem BVB und dem FC Bayern hatte Jürgen Klopp nicht zu Unrecht die diesbezüglich zu großzügige Linie des Schiedsrichters – damals war es Florian Meyer – kritisiert.

Am Samstag ahndete Knut Kircher erst in der 90. Minute ein taktisches Foul mit der Gelben Karte, als der Münchner Sebastian Rode einen Konter der Hausherren mit unfairen Mitteln stoppte. Bei Xabi Alonso dauerte es bis zur 75. Minute, eher er für einen ausdauernden Griff an das Trikot von Shinji Kagawa verwarnt wurde. Zu duldsam war der Unparteiische auch in der 18. Minute, als Jakub Blaszczykowski mit einer rustikalen Grätsche gegen Bastian Schweinsteiger einstieg. Im ehrenwerten Bemühen, nicht zu früh in die Brusttasche zu greifen (und so womöglich die Gefahr einer Kartenflut heraufzubeschwören), begünstigte Kircher diesmal eine überharte Gangart, die dann in rüde Fouls von Schweinsteiger, Aubameyang und Marcel Schmelzer mündete, bei denen sich Gelbe Karten selbst beim besten Willen nicht mehr umgehen ließen.

Elfmeter statt Vorteil und Tor

Glück gehabt: Für dieses tiefrotwürdige Foul sah Leverkusens Ömer Toprak nicht einmal Gelb.

Glück gehabt: Für dieses tiefrotwürdige Foul sah Leverkusens Ömer Toprak nicht einmal Gelb.

(Foto: imago/Eibner)

Unumgänglich war eigentlich auch ein Platzverweis für Ömer Toprak in der Partie zwischen Bayer 04 Leverkusen und dem Hamburger SV. Der Verteidiger der "Werkself" – nach Ansicht von Bayer-Sportdirektor Rudi Völler "der fairste Spieler der Liga" – war Ivo Ilicevic nach 13 Minuten bei einem Zweikampf an der Seitenlinie mit seinem gesamten Gewicht auf den Unterschenkel gestiegen, und das gleich zweimal. In der Realgeschwindigkeit und aus der Perspektive von Schiedsrichter Manuel Gräfe sah die Szene gleichwohl recht harmlos aus, es gab auch nicht einmal die Gelbe Karte. Erst die Zeitlupe aus Nahdistanz machte die ganze Hässlichkeit dieses gesundheitsgefährdenden Fouls deutlich. Eine nachträgliche Sperre muss Toprak dennoch nicht befürchten. Denn die wäre nur möglich, wenn der Referee die Szene gar nicht gesehen und somit auch nicht abschließend beurteilt hätte. So aber hat er eine endgültige, unanfechtbare Tatsachenentscheidung getroffen.

Gräfes Kollege Thorsten Kinhöfer dürfte sich derweil ein wenig über seine eigene Reaktionsschnelligkeit geärgert haben. Denn der Unparteiische aus Herne entschied in der 22. Minute des Spiels von 1899 Hoffenheim gegen Borussia Mönchengladbach sofort auf Elfmeter für die Gäste, als Fabian Johnson von David Abraham im Strafraum zu Fall gebracht wurde. Einen Wimpernschlag später schob Patrick Herrmann den Ball ins Hoffenheimer Tor – doch weil nach den Regeln jeder Pfiff das Spiel unterbricht, konnte der Schiedsrichter den Treffer nicht anerkennen. Hätte er nur einen winzigen Moment länger gewartet, dann wäre die Anwendung der Vorteilsbestimmung noch möglich gewesen. So blieb es Max Kruse überlassen, den Strafstoß zu verwandeln und damit doch noch den Ausgleich zu erzielen. Thorsten Kinhöfer wird gewiss nicht unfroh gewesen sein, dass sein Lapsus ohne Folgen blieb.

Manche fragten sich unterdessen, ob sich Abraham nicht einer "Notbremse" schuldig gemacht hatte, immerhin befand sich Johnson recht nahe am Hoffenheimer Tor und überdies in mittiger Position. Eine komplizierte Angelegenheit: Einerseits geschah das Foul unmittelbar vor jener Hereingabe von außen, die Herrmann schließlich über die Linie drückte. Das heißt: Im Augenblick der Regelwidrigkeit stand noch gar nicht fest, ob sich für Johnson eine eindeutige Einschussmöglichkeit ergeben würde. Andererseits ertönte der Pfiff von Kinhöfer erst, als die Flanke unterwegs war – und man sah, dass sie den Gladbacher ohne Abrahams Foul wohl erreicht hätte. Letztlich stellt sich also die Frage: Wurde tatsächlich eine klare Torchance verhindert oder nur die Entstehung einer klaren Torchance? Der Schiedsrichter entschied sich für Letzteres – und traf damit einen zumindest vertretbaren Entschluss.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen