"Collinas Erben" spielen gefährlich Lewandowski riskiert Kopf und Kragen
09.03.2015, 10:26 Uhr

Autsch: Robert Lewandowski schmerzt der Kopf.
(Foto: imago/Newspix)
In Hannover bekommt ein Bayern-Stürmer einen Tritt gegen den Kopf – und ist es selbst schuld. In Augsburg wird der Schiedsrichter derweil von einem Überfall der Gastgeber kalt erwischt. Und beim HSV haben sie mit einem Bremer Referee viel Glück.
Dirk Dufner war erregt. "Wenn man schon in der Situation ist, dass man den FC Bayern ärgern kann, dann sollte idealerweise der Schiedsrichter nicht noch zugunsten der Bayern eingreifen", zürnte der Sportdirektor von Hannover 96 nach dem Spiel gegen den Rekordmeister im Interview mit dem Bezahlsender "Sky". Vor allem mit zwei Entscheidungen des Unparteiischen Tobias Welz war er nicht einverstanden: Zum einen sei der Freistoß, den Xabi Alonso in der 28. Minute zum 1:1-Ausgleich verwandelte, unberechtigt gewesen. Zum anderen habe sich vor dem Strafstoß, den Thomas Müller nach 61 Minuten zum Führungstreffer für die Münchner nutzte, der vermeintlich gefoulte Bayern-Stürmer Robert Lewandowski "mit dem Kopf fast auf Grasnarbenhöhe" befunden. Und dafür "kannst du definitiv keinen Elfmeter pfeifen."
Tatsächlich durften sich die Bayern an diesem 24. Spieltag der Fußball-Bundesliga glücklich schätzen, den Erfolg bringenden Freistoß zugesprochen bekommen zu haben. Zwar war David Alaba von Joao Pereira kurz vor der Strafraumgrenze ein bisschen bedrängt worden. Aber sein Sturz war angesichts zweier weiterer Hannoveraner in unmittelbarer Nähe erkennbar vor allem dem Versuch geschuldet, trotz der zahlenmäßigen Überlegenheit des Gegners noch irgendwie Kapital aus der Situation zu schlagen.
"Collinas Erben" - das ist Deutschlands erster Schiedsrichter-Podcast, gegründet und betrieben von Klaas Reese und Alex Feuerherdt. Er beschäftigt sich mit den Fußballregeln, den Entscheidungen der Unparteiischen sowie mit den Hintergründen und Untiefen der Schiedsrichterei. "Collinas Erben" schreiben jeden Montag auf ntv.de über die Schiedsrichterleistungen des Bundesligaspieltags. Unser Autor Alex Feuerherdt ist seit 1985 Schiedsrichter und leitete Spiele bis zur Oberliga. Er ist verantwortlich für die Aus- und Fortbildung in Köln, Schiedsrichterbeobachter im Bereich des DFB und arbeitet als Lektor und freier Publizist.
Noch strittiger war der Elfmeterpfiff für die Gäste nach gut einer Stunde. Eine schöne Vorlage von Franck Ribéry wollte Robert Lewandowski aus fünf Metern mit der Stirn verwandeln, dabei musste er sich allerdings sehr weit herunterbeugen, um den Ball auf diese Weise zu spielen. Just in dem Moment, als der polnische Nationalspieler wenige Zentimeter über dem Boden zum Kopfball ansetzte, traf ihn der Fuß von Hannovers Verteidiger Marcelo im Gesicht. Tobias Welz zögerte kurz und entschied dann zum Entsetzen der Gastgeber auf Strafstoß für den FC Bayern. Regeltechnisch gesehen lagen hier eigentlich zwei Vergehen nacheinander vor: zunächst ein gefährliches Spiel von Lewandowski, anschließend ein verbotenes Spiel von Marcelo. Unter gefährlichem Spiel versteht man einen riskanten Körpereinsatz beim Spielen des Balles, bei dem sich ein Gegner in unmittelbarer Nähe befindet (aber nicht von diesem Spieler getroffen wird) und durch den jemand verletzt werden könnte - einschließlich des gefährlich Spielenden selbst -, wenn es zum Kontakt käme.
Das typische Beispiel dafür ist der Fallrückzieher auf Kopfhöhe, bei dem ein direkt daneben stehender Gegenspieler nicht eingreift, um keinen Schaden zu nehmen. Doch auch das Spielen des Balles mit dem Kopf im Parterre ist nicht gestattet, wenn ein Gegner ganz nahe dabei ist und klärend eingreifen könnte. Denn damit gefährdet sich der Spieler selbst, und auch das ist nach den Regeln ausdrücklich verboten. Wie zum Beweis bekam Lewandowski diese Gefährlichkeit prompt schmerzhaft zu spüren. Natürlich war der Einsatz von Marcelo ein Foul - allerdings hatte Lewandowski durch sein gefährliches Spiel als Erster gegen die Regeln verstoßen. Darauf kommt es hinsichtlich der Spielfortsetzung an. Und nicht auf die Frage, welches Vergehen schlimmer aussieht. Deshalb hätte es einen indirekten Freistoß für Hannover 96 geben müssen statt eines Elfmeters für den FC Bayern.
Ausgleichende Ungerechtigkeit in Augsburg
Mit Protesten war auch Schiedsrichter Manuel Gräfe in der Partie zwischen dem FC Augsburg und dem VfL Wolfsburg konfrontiert – und das schon nach neun Minuten. Da nämlich erlief der Augsburger Tobias Werner einen weiten Schlag aus der eigenen Abwehr und hätte freie Bahn zum Tor gehabt, wäre er nicht von Wolfsburgs Vierinha ganz knapp vor dem Strafraum zu Fall gebracht worden. Doch statt auf Freistoß zu entscheiden und Vierinha wegen der "Notbremse" vom Platz zu stellen, ließ Gräfe weiterspielen. Denn dem überfallartigen Angriff der Gastgeber konnte er nicht schnell genug folgen, und dadurch war er zu weit weg, um den Zweikampf zweifelsfrei beurteilen zu können. Auch sein Assistent hatte eine zu große Distanz, weil sich das Duell auf der gegenüberliegenden Strafraumseite abspielte. Auf Verdacht wird aber kein Schiedsrichtergespann eine so folgenreiche Entscheidung wie einen Platzverweis treffen.
Ausgleichende Ungerechtigkeit: Nach 81 Minuten erkannte der Referee den Ausgleichstreffer der Wolfsburger nicht an, weil der Torschütze Robin Knoche sich zuvor im Luftkampf unfair eingesetzt haben soll. Ein Foul war hier jedoch selbst bei strenger Regelauslegung nicht auszumachen. Vertretbar dagegen der spielentscheidende Elfmeter für Augsburg in der 62. Minute nach einem plumpen Schubser von Naldo gegen Rahman Baba. Der Wolfsburger Trainer Dieter Hecking mochte sich dann auch nicht über den Unparteiischen beschweren: "Er kann Vieirinha Rot geben, den Elfer für Augsburg kann man geben, er kann dann das Tor für uns geben", sagte er. "Am Ende hätten wir trotzdem verloren."
Gagelmann (zu) nachsichtig
Keinen Anlass zur Klage über den Schiedsrichter dürfte auch der Hamburger Valon Behrami gehabt haben. Im Spiel gegen den BVB hielt er sich nach nicht einmal drei Minuten den Dortmunder Henrikh Mkhitaryan derart unsanft mit dem Unterarm vom Leib, dass selbst ein Platzverweis nicht abwegig gewesen wäre. Peter Gagelmann beließ es jedoch bei einer Ermahnung. Was nach dem Betrachten der Zeitlupe fragwürdig und unverständlich wirken mag, erklärt sich zumindest teilweise, wenn man weiß, dass die Unparteiischen so früh in einer Partie nur dann einen Platzverweis aussprechen, wenn es wirklich gar keinen Ermessensspielraum mehr gibt. Denn gleich zu Beginn in einer strittigen Szene die härteste Sanktion überhaupt zu verhängen, kann die Gefahr einer Eskalation drastisch erhöhen.
Man musste in Behramis Vorgehen auch nicht zwingend einen tätlichen Schlag erkennen, sondern konnte es noch als übermotiviertes Stoßen einstufen. Eine Gelbe Karte - "dunkelgelb" sozusagen – hätte es aber in jedem Fall geben sollen. Die sah der Schweizer jedoch erst nach 32 Minuten wegen eines überharten Foulspiels an Sven Bender. In der 55. Minute streckte Behrami den Dortmunder Mittelfeldmann dann erneut mit einer Grätsche nieder und kam ein weiteres Mal ungeschoren davon, statt endlich - mit der Gelb-Roten Karte nämlich - vorzeitig in den Feierabend entlassen zu werden. Das erledigte fünf Minuten schließlich Joe Zinnbauer, indem er ihn auswechselte. Hamburgs Trainer wusste, dass Behramis Maß übervoll war.
Quelle: ntv.de