"Collinas Erben" geißeln Ellenbogen Modeste droht Sperre, Wagner fies und fair
30.01.2017, 11:35 Uhr

Da feixt er: Anthony Modeste feiert sein Tor am Böllenfalltor - kurz nachdem er nicht vom Platz geflogen ist.
(Foto: imago/Revierfoto)
In Darmstadt teilt der Torjäger des 1. FC Köln ungestraft aus. Wird er nachträglich gesperrt? Ein Hoffenheimer sieht Rot und zeigt sich vorbildlich fair, in Bremen stellt ein Spieler des FC Bayern den Schiedsrichter vor eine komplizierte Aufgabe.
Torsten Frings ließ keinen Zweifel daran, wie er die Sache sieht. "Für mich eine ganz klare Rote Karte", sagte der Trainer des SV Darmstadt 98. "Das war kein Losreißen, sondern ein rechter Schwinger." Jörg Schmadtke, Sportdirektor des Darmstädter Gegners 1. FC Köln, mochte da gar nicht widersprechen, sondern räumte im "Sky"-Interview freimütig ein: "Das sieht schon sehr merkwürdig aus. Das ist nicht gut." Dominique Heintz hingegen, Innenverteidiger der Domstädter, nahm seinen Mitspieler in Schutz: "Darmstadt wollte, dass Toni vom Platz fliegt. Sie haben ihn ständig provoziert." Und Marco Höger meinte sogar: "Das ist kein Ballett, was wir hier spielen."
Sie alle sprachen über eine Szene aus der 38. Minute, die beinahe ebenso viel Gesprächsstoff lieferte wie die Tatsache, dass der Effzeh an diesem 18. Spieltag mit dem 6:1 bei den Lilien zu seinem höchsten Sieg in der Fußball-Bundesliga seit mehr als 51 Jahren kam: Torjäger Anthony Modeste hatte bei einem Angriff seiner Mannschaft den Darmstädter Kapitän Aytac Sulu reichlich rabiat aus dem Weg geräumt, als er ihn im Laufduell mit dem Arm im Gesicht traf. Die Frage war und ist: Geschah das nur versehentlich aus der normalen Laufbewegung heraus? Oder doch mit voller, unsportlicher Absicht?
"Collinas Erben" - das ist Deutschlands erster Schiedsrichter-Podcast, gegründet und betrieben von Klaas Reese und Alex Feuerherdt. Er beschäftigt sich mit den Fußballregeln, den Entscheidungen der Unparteiischen sowie mit den Hintergründen und Untiefen der Schiedsrichterei. "Collinas Erben" schreiben jeden Montag auf ntv.de über die Schiedsrichterleistungen des Bundesligaspieltags. Unser Autor Alex Feuerherdt ist seit 1985 Schiedsrichter und leitete Spiele bis zur Oberliga. Er ist verantwortlich für die Aus- und Fortbildung in Köln, Schiedsrichterbeobachter im Bereich des DFB und arbeitet als Lektor und freier Publizist.
Modestes Gegenspieler Sulu hatte sich sieben Minuten vor der Pause jedenfalls nichts zuschulden kommen lassen, er wollte den Franzosen lediglich ein bisschen abdrängen. Der setzte seinen Arm daraufhin dennoch deutlich zu vehement ein - was nicht bloß wie der Versuch wirkte, einen lästigen Gegner mit fairen Mitteln auf Distanz zu halten, und auch nicht nach einem Versehen oder einer Ungeschicklichkeit aussah, sondern vielmehr nach einer Tätlichkeit roch. Schiedsrichter Robert Kampka ließ gleichwohl weiterspielen und pfiff erst eine Sekunde später - für die Kölner, wohlgemerkt, nämlich wegen eines Fouls an ihrem Spieler Christian Clemens.
Modeste, der bereits verwarnt war, kam also um eine weitere Karte herum. Eine nachträgliche Sperre ist damit allerdings noch nicht vom Tisch. Der Kontrollausschuss des DFB erwägt, ein Ermittlungsverfahren gegen den Kölner einzuleiten. Doch zunächst wird der Unparteiische befragt werden, ob er die Szene überhaupt gesehen und beurteilt hat. Falls ja, ist die Ermittlung beendet, bevor sie überhaupt begonnen hat. Dann gilt die Tatsachenentscheidung des Schiedsrichters. Diese kann nicht angefochten werden, weil Entscheidungen des Referees im Zusammenhang mit dem Spiel laut Regelwerk endgültig sind - selbst wenn sie sich im Nachhinein als falsch herausstellen. Die Wahrheit soll nämlich prinzipiell auf dem Platz liegen und nicht erst später von den Sportgerichten festgestellt werden.
Tatsachenentscheidung oder Ermittlungsverfahren?
Anders sieht es dagegen aus, wenn der Schiedsrichter eine Tätlichkeit nicht gesehen hat. Sollte Robert Kampka also gegenüber dem Kontrollausschuss aussagen, dass ihm Modestes Einsatz gegen Sulu entgangen ist und er ihn deshalb nicht bewerten konnte, wäre der Weg frei für nachträgliche Ermittlungen. Ganz unwahrscheinlich erscheint das nicht: Der Referee befand sich zwar in der fraglichen Situation recht nahe am Geschehen, doch es sah so aus, dass er sich ganz auf den Ball konzentrierte, den Modeste kurz vor seiner Begegnung mit Sulu abgespielt hatte. Möglich also, dass er den Armeinsatz gar nicht beobachtet hat.
Auf der anderen Seite hatte Terrence Boyd ebenfalls Glück, nicht vom Platz gestellt worden zu sein. Der Darmstädter Angreifer war Frederik Sörensen in der 55. Minute mit Macht aufs Schienbein gestiegen, als sich der Ball schon längst nicht mehr in Spielnähe befand. Der Referee beließ es hier jedoch bei einer Gelben Karte - und war damit zu großzügig. Für ein ähnliches Vergehen gegen Stefan Ilsanker wurde der Hoffenheimer Sandro Wagner beim Spiel seiner Elf in Leipzig (1:2) von Schiedsrichter Wolfgang Stark völlig zu Recht des Feldes verwiesen. Erwähnung verdient dabei aber vor allem, wie sich der frühere Darmstädter anschließend verhielt.
Entgegen der in der Bundesliga leider üblichen Gepflogenheiten verzichtete Wagner nicht nur auf jeglichen Protest, er half seinem malträtierten Gegenspieler sogar vom Boden auf, bat ihn nachdrücklich um Verzeihung, nahm ihn in den Arm und ging daraufhin auch noch zum Unparteiischen, um Abbitte zu leisten. Nach dem Spiel sagte der 29-Jährige überdies dem "Kicker": "Es tut mir wahnsinnig leid. Wichtig ist, dass er sich nicht verletzt hat und ich das wie ein Sportsmann geregelt habe. Ich wollte den Zweikampf oben gewinnen, habe ihn dann unten erwischt, das sieht echt fies aus. Ich habe mich selber erschrocken. Tut mir auch leid für die Mannschaft." Eine bemerkenswert reflektierte, selbstkritische und faire Reaktion.
Referee in Bremen mit Ruhe und Augenmaß
In Bremen tat sich der FC Bayern derweil unerwartet schwer mit den zähen Gastgebern, die dem spielerisch überlegenen Rekordmeister gelegentlich auch mit einer Portion Härte begegneten. Keine einfache Aufgabe für Schiedsrichter Sascha Stegemann, der jedoch bei der Zweikampfbeurteilung ein gutes Augenmaß bewies und mit seiner besonnenen und ruhigen Spielleitung dafür sorgte, dass die Partie nicht aus dem Ruder lief. Zweimal hätten die Münchner gerne einen Elfmeter gehabt, beide Male blieb die Pfeife des Unparteiischen aus Niederkassel jedoch stumm. Völlig vertretbar war dies in der 54. Minute, als Robert Lewandowski zwischen Milos Veljkovic und Robert Bauer zu Fall kam, ohne dass ein eindeutiger Regelverstoß vorlag.
Zehn Minuten später wäre jedoch ein Strafstoß durchaus angemessen gewesen: Bei einem Konter der Bayern erreichte Niklas Moisander den Pass von Lewandowski in den Bremer Strafraum vor Arjen Robben, ließ sich dann jedoch erst vom Niederländer abkochen und danach gegen ihn das Bein stehen. Der Schütze des Münchner Führungstreffers nahm diesen Kontakt wie so oft gerne an und fiel leichter als unbedingt nötig, was den gut postierten und niemals kleinlich leitenden Referee dazu bewogen haben mag, auf Weiterspielen zu entscheiden. Es gibt jedoch auch gute Gründe, Moisanders ungeschickten Einsatz als ursächlich für Robbens Sturz zu betrachten. Aber das sagt sich nach dem Studium diverser Zeitlupen zweifellos erheblich leichter als nach dem einmaligen Betrachten der Szene im Realtempo.
Unzweifelhaft richtig lag Stegemann mit seinem Freistoßpfiff kurz vor der Pause, aus dem das 2:0 für die Gäste resultierte, und mit seiner Entscheidung, kurz nach dem Wechsel das vermeintliche 3:0 für den FC Bayern zu annullieren, weil sich der Torschütze Franck Ribéry beim Zuspiel von Thomas Müller ganz knapp im Abseits befand. Bei solchen Zentimeterentscheidungen braucht man als Schiedsrichter respektive Assistent oft auch ein bisschen Glück. Wie schwierig das ist, lässt zumindest ansatzweise ein virtueller Test der nordamerikanischen Schiedsrichter-Vereinigung PRO erahnen, in dem der Nutzer Abseitssituationen beurteilen muss. Allerdings nur auf dem Bildschirm - und vor allem ohne Zehntausende von Zuschauern im Stadion.
Quelle: ntv.de