Collinas Erben

"Collinas Erben" heben die Fahne Warum Thomas Müller in die Röhre guckt

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Aber, aber, Herr Schiedsrichter: Thomas Müller und sein Kollege Mario Götze beschweren sich beim Unparteiischen Markus Schmidt.

Aber, aber, Herr Schiedsrichter: Thomas Müller und sein Kollege Mario Götze beschweren sich beim Unparteiischen Markus Schmidt.

(Foto: imago/MIS)

Beim FC Bayern liegen die Schiedsrichter-Assistenten nicht so daneben, wie viele glauben. Andernorts wird's knifflig: Elfmeter oder nicht? Derweil sorgt eine deutsche Kollegin mit einem Blackout für das kürzeste Spiel in der Geschichte der Uefa.

Es lief die 41. Minute in der Münchner Arena, als Thomas Müller an diesem 28. Spieltag der Fußball-Bundesliga aus dem Gewühl heraus den Ball für seinen FC Bayern ins Tor von Eintracht Frankfurt schoss. Jubel bei den Bayern-Fans, die Stadionregie spielte die Tormusik ein, und die Kicker des ersatzgeschwächten Rekordmeisters waren erkennbar erleichtert, nach dem kräftezehrenden Pokalauftritt in Leverkusen unter der Woche noch vor der Pause den beruhigenden zweiten Treffer erzielt zu haben.

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Doch plötzlich meldete der Schiedsrichter-Assistent seine Bedenken an. Kai Voss, seit 15 Jahren bei Bundesligaspielen an der Seitenlinie im Einsatz und mit einer Erfahrung von fast 200 Spielen im Oberhaus ausgestattet, empfahl dem Unparteiischen Markus Schmidt, das Tor wegen einer Abseitsstellung des Schützen zu annullieren. Und der tat, wie ihm geheißen. Es blieb also beim 1:0, fürs Erste jedenfalls. Auf dem Platz und den Rängen, an den Fernsehern und in den Reporterkabinen herrschte Verwunderung.

Collinas Erben

"Collinas Erben" - das ist Deutschlands erster Schiedsrichter-Podcast, gegründet und betrieben von Klaas Reese und Alex Feuerherdt. Er beschäftigt sich mit den Fußballregeln, den Entscheidungen der Unparteiischen sowie mit den Hintergründen und Untiefen der Schiedsrichterei. "Collinas Erben" schreiben jeden Montag auf ntv.de über die Schiedsrichterleistungen des Bundesligaspieltags. Unser Autor Alex Feuerherdt ist seit 1985 Schiedsrichter und leitete Spiele bis zur Oberliga. Er ist verantwortlich für die Aus- und Fortbildung in Köln, Schiedsrichterbeobachter im Bereich des DFB und arbeitet als Lektor und freier Publizist.

Der Tenor lautete: Eine krasse, ja, unerklärliche Fehlentscheidung des Gespanns, schließlich habe Müller den Ball vom Frankfurter Makoto Hasebe zugespielt bekommen. Doch ganz so eindeutig war die Sache nicht. Denn Ausgangspunkt war ein Kopfball von Mario Götze, bei dem Müller tatsächlich im Abseits stand. Die Kugel sprang zunächst zwischen Hasebe und seinem Mitspieler Alexander Madlung unkontrolliert hin und her, bevor der Japaner sie mit dem Knie ungewollt zum Stürmer des FC Bayern beförderte. Assistent Kai Voss sah regeltechnisch in alledem lediglich ein unbeabsichtigtes Ablenken des von Götze kommenden Spielgeräts, durch das Müllers Abseitsstellung nicht aufgehoben wurde, und kein bewusstes - wenn auch missglücktes - Spielen des Balles, mit dem sich das Abseits erledigt hätte.

Für die eine wie für die andere Regelauslegung lassen sich Gründe anführen, für die zweite sicherlich ein paar mehr - zumindest hatten die Schiedsrichter zuletzt in vergleichbaren Fällen nicht auf Abseits entschieden. Doch in der Realgeschwindigkeit ist in solchen Situationen oft nur schwer auszumachen, ob nun ein unkontrolliertes Ablenken oder Abprallen des Balles vorliegt; oder ein absichtliches Spielen, bei dem es nicht darauf ankommt, dass der Ball zum Mitspieler gelangt, sondern nur darauf, dass er bewusst berührt wurde. Abwegig war die Einschätzung des erfahrenen Voss jedenfalls nicht, genauso wenig wie die, in der 15. Minute bei Robert Lewandowskis Führungstreffer für die Bayern die Fahne unten zu lassen. Zwar mag der polnische Stürmer hier hauchzart im Abseits gestanden haben - aber es ginge zu weit, dem Assistenten bei einer solchen Millimeterentscheidung einen Vorwurf zu machen.

Der Spieltag der Elfmeterszenen

Unbestreitbar richtig lag Voss‘ Kollege Wolfgang Walz in der 66. Minute beim zweiten Treffer des FC Bayern. Denn beim Torschuss von Götze, den Hasebe zu kurz abwehrte, befand sich Lewandowski nicht im Abseits. Sein Kopfballtreffer war deshalb regulär. Das Problem für den Assistenten bestand hier darin, dass Frankfurts Torhüter Kevin Trapp bei Götzes Schuss nicht der letzte, sondern der vorletzte Spieler der Eintracht war. Für einen Schiedsrichter-Assistenten ist das mit Blick auf die Abseitsbeurteilung ungewohnt, weil normalerweise der Keeper der "letzte Mann" ist. Befindet sich ausnahmsweise noch ein Verteidiger hinter ihm, muss der Helfer an der Seitenlinie blitzschnell umdenken. Eine Aufgabe, die Walz souverän löste – während etwa "Sky"-Reporter Marcel Reif trotz diverser Zeitlupen lange brauchte, ehe er begriff, dass kein Abseits vorlag.

Auffällig war an diesem 28. Spieltag die Häufung von Strafraumszenen, in denen ein Elfmeter gefordert - und teilweise auch gegeben - wurde. Guido Winkmann verhängte bei der Partie zwischen dem FSV Mainz 05 und Bayer 04 Leverkusen sogar zwei Strafstöße, beide für die Gastgeber und beide mit Recht, auch wenn der zweite nach einem Rempler von Tin Jedvaj gegen den Mainzer Jairo eine vergleichsweise harte Entscheidung war. In Köln deutete Schiedsrichter Peter Sippel beim Spiel gegen die TSG Hoffenheim ebenfalls zweimal auf den Punkt - einmal auf jeder Seite - und lag damit jeweils goldrichtig. Bei der Begegnung VfB Stuttgart gegen Werder Bremen reklamierten die Gäste gleich dreimal einen Elfmeter, doch die Pfeife des Unparteiischen Günter Perl blieb jeweils stumm. Zu Recht bei den beiden Zweikämpfen des Stuttgarters Georg Niedermeier gegen Franco di Santo (20. Minute) und Davie Selke (47. Minute), zu Unrecht, als Zlatko Junuzovic nach knapp einer Stunde erst gehalten und dann getreten wurde.

Deutsche Schiedsrichterin sorgt für Kuriosum

Abseits der Bundesliga sorgte die amtierende deutsche "Schiedsrichterin des Jahres", Marija Kurtes, unter der Woche beim Qualifikationsspiel zur U19-Europameisterschaft der Frauen zwischen England und Norwegen für ein echtes Kuriosum. In der vierten Minute der Nachspielzeit gab die Unparteiische beim Stand von 2:1 für Norwegen einen Elfmeter für England, den Leah Williamson auch souverän verwandelte. Doch eine Mitspielerin von ihr war unerlaubterweise bereits vor dem Schuss in den Strafraum eingedrungen. Kurtes gab den Treffer deshalb nicht und hätte nun eigentlich eine Wiederholung des Strafstoßes anordnen müssen. Das nämlich ist die von den Regeln vorgesehene Entscheidung, wenn ein Elfmeter verwandelt wird, der Schütze oder ein Mitspieler jedoch bei der Ausführung gegen die Regeln verstoßen hat.

Doch stattdessen entschied die Schiedsrichterin auf indirekten Freistoß für Norwegen – was nur dann korrekt gewesen wäre, wenn die norwegische Torhüterin den Ball gehalten hätte oder die Kugel an Pfosten oder Latte geschossen worden wäre. Offenbar ein kompletter Blackout der 28-jährigen Unparteiischen aus Düsseldorf. Auch ihre Assistentinnen und die Vierte Offizielle intervenierten nicht entscheidend, obwohl das Gespann über Headsets miteinander in Kontakt stand. Die Engländerinnen wunderten sich zwar über die Entscheidung, protestierten aber nur zaghaft. Es blieb beim 2:1 für Norwegen, wenig später folgte der Schlusspfiff.

Die Uefa ordnete nach diesem gravierenden Regelverstoß an, das Spiel zu wiederholen - aber nicht vollständig, wie es beim DFB üblich ist, sondern lediglich vom Moment der Elfmeterausführung an. So kam es zur wohl kürzesten Partie in der Geschichte des europäischen Verbandes, denn nur wenige Sekunden nach dem Strafstoß, den Leah Williamson erneut - und diesmal ohne Beanstandung - verwandelte, war schon wieder Schluss. Auf dem Platz standen, wie es das Reglement vorsah, dieselben 22 Spielerinnen wie zum Zeitpunkt der kapitalen Fehlentscheidung von Kurtes. Nur die Schiedsrichterin war eine andere - denn die Uefa hatte die deutsche Unparteiische nach Hause geschickt.

Quelle: ntv.de

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