"Collinas Erben" klären auf Warum Thurams Frechheit unbestraft bleibt
06.03.2023, 06:31 Uhr

Benjamin Brand erklärt Marcus Thuram, warum es doch keinen Elfmeter gab.
(Foto: dpa)
Am 23. Spieltag fallen zwei Gladbacher durch Unsportlichkeiten negativ auf: Marcus Thuram versucht einen Elfmeter zu schinden, Ramy Bensebaini fliegt wegen hämischen Beifalls vom Platz. Das Spitzenspiel hat unterdessen auch einen Spitzenschiedsrichter.
Gäbe es den Video-Assistenten nicht, dann hätte Marcus Thuram, Stürmer in Diensten von Borussia Mönchengladbach, im Spiel seines Teams gegen den SC Freiburg (0:0) nach 65 Minuten mit seinem dreisten Versuch, einen Strafstoß zu schinden, Erfolg gehabt. Der französische Nationalspieler war mit dem Ball am Fuß in den Strafraum der Gäste eingedrungen und hatte einen Haken um Nicolas Höfler geschlagen, bevor er schließlich ohne Not zu Boden ging. Schiedsrichter Benjamin Brand entschied gleichwohl auf Strafstoß, und tatsächlich konnte man in der Realgeschwindigkeit den Eindruck haben, dass Höfler den Gladbacher durch ein Beinstellen oder einen Tritt zu Fall gebracht hatte.
Die Wiederholungen zeigten dann aber deutlich, was tatsächlich geschehen war: Es gab keinerlei Kontakt gegen Thuram. Höfler hatte sein rechtes Bein zwar in die Richtung seines Gegenspielers gestreckt, den Fuß aber rechtzeitig abgestellt und nichts Verbotenes getan. Thuram fiel aus eigenem Antrieb, ohne jede Berührung, und hielt sich anschließend theatralisch den linken Knöchel, den der Freiburger nicht einmal leicht gestreift hatte. Video-Assistent Benjamin Cortus empfahl Brand deshalb mit vollem Recht ein On-Field-Review, danach nahm der Referee den Elfmeterpfiff zurück und setzte das Spiel mit einem Schiedsrichterball fort.
Er entschied also auf "kein Foul", aber nicht auf "Schwalbe", ansonsten hätte es die Gelbe Karte für Thuram und einen indirekten Freistoß für den SC Freiburg gegeben. Was in diesem Moment das Wichtigste war, fasste Sascha Stegemann, am Samstag in der Partie 1. FSV Mainz 05 – TSG 1899 Hoffenheim (1:0) selbst als Unparteiischer im Einsatz, in der Sendung "Doppelpass" so zusammen: "Wir sind alle froh, dass es diesen Strafstoß nicht gegeben hat und das Spiel nicht durch diesen Strafstoß entschieden wurde." Es sei eine gute Gelegenheit, "auch mal zu sagen, dass der Video-Assistent seine Daseinsberechtigung hat, dass das ein sehr positives Beispiel dafür ist, wie es auch funktionieren kann, und dass die Jungs in Köln einen sehr guten Job gemacht haben".
"Eine Gelbe Karte hätte sehr gut hingepasst"
Doch warum entschloss sich Benjamin Brand nach dem Studium der Videobilder nicht dazu, Thuram wegen unsportlichen Verhaltens zu verwarnen? Stegemann erklärte – von Brand dazu autorisiert –, wie es dazu gekommen war: "Er hatte keine Zweifel, dass es ein Strafstoß ist. Er sieht das Bein des Freiburgers, das rausgeht, und nimmt einen klaren Kontakt am Schienbein wahr, der ursächlich war für den Fall." Brand sei daher überrascht gewesen, dass der VAR ihm zu einem On-Field-Review geraten habe. Am Monitor habe er sich "die Bilder noch mal angeguckt und sich dann aber mehr oder weniger ausschließlich auf die Frage konzentriert: Ist es ein Foul, ja oder nein?"
Dreimal habe der Schiedsrichter sich die Szene angesehen, dann sei er zu dem Ergebnis gekommen, "dass es keinen strafbaren Kontakt gab und dementsprechend kein Foul". Brand habe später aber auch gesagt: "Wenn ich es jetzt noch mal sehe, dann hätte da eine Gelbe Karte sehr gut hingepasst." Es war nicht das erste Mal, dass Thuram mit einer Schwalbe auffiel: Im WM-Finale gegen Argentinien im Dezember etwa hatte er ebenfalls versucht, den Schiedsrichter zu täuschen und einen Strafstoß zu schinden. Der Unparteiische fiel jedoch nicht darauf herein und verwarnte ihn. Selbst der Gladbacher Trainer Daniel Farke sieht ein Problem: "Wir haben Anfang der Saison in der Vorbereitung drüber gesprochen, weil ich das Gefühl hatte, dass Marcus tendenziell zu leicht fällt. Ich finde, das gehört sich nicht und ist auf Bundesliganiveau nicht üblich."
Uneinsichtigem Bensebaini droht mehr als ein Spiel Sperre
Thuram war nicht der Einzige, der in der Partie gegen die Freiburger durch unsportliches Verhalten auffiel – und wegen Meckerns in der 84. Minute doch noch verwarnt wurde. Sein Mitspieler Ramy Bensebaini kickte drei Minuten später nach einer Freistoßentscheidung, mit der er nicht einverstanden war, den Ball weg und quittierte die Gelbe Karte, die ihm Benjamin Brand dafür berechtigterweise zeigte, mit hämischem Applaus. Dafür gab es – ebenso völlig zu Recht – Gelb-Rot, doch Bensebaini mochte sein Fehlverhalten partout nicht einsehen: Bevor er in die Kabine entschwand, rief er dem Referee noch die französischen Worte "fils de pute" zu, auf Deutsch: "Hurensohn".
Das entging dem Schiedsrichterteam, doch die Kameras fingen es ein, weshalb nun der DFB-Kontrollausschuss ermittelt. Gut möglich, dass Bensebaini für mehr als ein Spiel gesperrt wird. Holger Badstuber etwa musste zwei Partien aussetzen, nachdem er im Oktober 2019 als Spieler des VfB Stuttgart mit Gelb-Rot des Feldes verwiesen worden war und daraufhin den Unparteiischen zugerufen hatte: "Ihr seid Muschis geworden!" Auch diese Beleidigung hatten die Referees nicht wahrgenommen, die Mikrofone am Spielfeldrand jedoch eingefangen.
Jablonski nutzt seinen Ermessensspielraum
Im Topspiel dieses Wochenendes zwischen Borussia Dortmund und RB Leipzig (2:1) am Freitagabend bot Schiedsrichter Sven Jablonski derweil eine Topleistung. Der 32-Jährige ließ die rasante und intensive Partie vorzüglich laufen und nutzte seinen Ermessensspielraum sinnvoll, nicht zuletzt bei den persönlichen Strafen. So ersparte er Christopher Nkunku nach einer Viertelstunde einen frühen Feldverweis, als der Leipziger den enteilenden Marco Reus durch einen Tritt von hinten mit den Stollen in die Wade auf schmerzhafte Weise stoppte. Der Ball war für Nkunku dabei nicht erreichbar, das war ein weiteres Argument für eine Rote Karte.
Doch weil der Kontakt nur kurz währte und nicht von allzu hoher Intensität war – Nkunku war nicht mit gestrecktem Bein vorgegangen und hatte auch nicht sein Gewicht auf den Fuß verlagert, um die Stollen in Reus‘ Wade zu bohren –, hatte Jablonski gemäß der geltenden Regelauslegung den nötigen Spielraum, um es bei einer Gelben Karte zu belassen. Wenn man die Szene isoliert betrachtet, überwiegen die Argumente für einen Ausschluss, im Spielkontext jedoch passte die Verwarnung, die auch gute Akzeptanz fand. Nach 23 Minuten leistete sich Nkunku ein weiteres Foul, diesmal gegen Marius Wolf, doch dabei traf er nur dessen Fußspitze, weshalb der Referee nachvollziehbar auf Gelb-Rot verzichtete.
Nur die Gelbe Karte für Leipzigs Keeper Blaswich fehlt
Von Jablonskis großzügiger Linie, die zum Spielcharakter passte, profitierten auch Nico Schlotterbeck – der nach seinem Foulspiel gegen Benjamin Henrichs in der 35. Minute ohne Gelbe Karte davonkam – und Henrichs, dessen rustikale Beinschere gegen Julian Ryerson nach 52 Minuten nur zu einer Verwarnung führte. Der Unparteiische entschied sich in Grenzfällen stets gegen eine mögliche härtere Sanktion und fuhr damit bestens. Korrekt war auch die Strafstoßentscheidung für den BVB in der 20. Minute, als der Leipziger Torwart Janis Blaswich im eigenen Strafraum mit dem Oberarm den Unterschenkel von Reus traf, woraufhin der Dortmunder Kapitän in aussichtsreicher Position den Ball nicht mehr aufs Tor bringen konnte und fiel. Einziger Schönheitsfehler: Es hätte eine Gelbe Karte für Blaswich geben müssen, denn der Schlussmann hatte durch sein Foul im Kampf um den Ball eine offensichtliche Torchance der Gastgeber vereitelt.
Mit einer couragierten Spielleitung, stimmigen Entscheidungen in allen spielrelevanten Situationen, einer klaren Linie und einem entscheidungsfreudigen Auftreten sicherte sich Sven Jablonski den Respekt der Spieler und der Bänke. Er war der passende Leiter dieser Begegnung und zeigte einmal mehr, dass er auch anspruchsvollen Aufgaben absolut gewachsen ist. Nach einem recht unruhigen Start ins Jahr können die Schiedsrichter nun auf einen weiteren Spieltag zurückblicken, der für sie insgesamt erfreulich verlief. Die Disziplinlosigkeit mancher Akteure haben sie nicht zu verantworten.
Quelle: ntv.de