
Da ist das Dingen!
20 Jahre ist es mittlerweile her, dass Werder Bremen im Münchener Olympiastadion auf eindrucksvolle Weise gegen den direkten Konkurrenten, den FC Bayern, die Meisterschaft holen konnte. Der Triumph der Bremer war auch eine Genugtuung für Willi Lemke.
"Ich sehe nicht, was Uli Hoeneß sagt, weil ich den Fernseher immer abschalte, wenn er auf dem Bildschirm erscheint." Werder Aufsichtsrat Willi Lemke war vor dem entscheidenden 32. Spieltag am 08. Mai vor zwanzig Jahren ordentlich auf Krawall gebürstet. Seine alte Feindschaft zum Manager des FC Bayern München war damals auf dem Höhepunkt: "Es gibt keinen Menschen auf der Welt, der sich immer wieder so negativ über mich geäußert hat. Der braucht doch nicht zu glauben, dass ich mir seine Statements anhöre. Das Thema ist vorbei!"
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Drei Spieltage vor Schluss lag der SV Werder Bremen mit sechs Punkten und einem deutlich besseren Torverhältnis vor den Bayern - die eine Saison zum Vergessen gespielt hatten, wie auch Willi Lemke sehr wohlwollend und mit viel Schadenfreude damals zur Kenntnis nahm: "Die Bayern haben doch die Pappnasen auf. Die sind im Pokal bei einem Zweitlisten rausgeflogen. Die sind in der Champions League sehr früh ausgeschieden. Und in der Bundesliga hecheln sie uns hinterher und spielen doch nur noch in den Medien eine Rolle." Und obwohl der Rekordmeister Anfang Mai 2004 diese Situation selbst noch nicht wahrhaben wollte, traf der Bremer Aufsichtsrat mit seiner Beschreibung der sportlichen Lage der Bayern voll ins Schwarze. Denn die Meisterfrage war quasi bereits nach dem 29. Spieltag entschieden.
Bier auf, Fernseher an, ARD-Videotext Tafel 253
Obwohl Bremen damals zu Hause nur 0:0 gegen Hannover gespielt hatte, gelang es den Bayern nicht, näher an Werder heranzukommen. Im Gegenteil. Mit 2:0 verlor man beim BVB und hatte fünf Partien vor Schluss bereits acht Punkte Rückstand auf den Tabellenführer von der Weser. Dort spielte damals der Franzose Johan Micoud eine herausragende Saison und war der gefeierte Star der Mannschaft. Sein Teamkollege Ivica Banovic beschrieb ihn so: "Micoud will immer gewinnen. Wenn es dann nicht so läuft, wird er ein anderer Mensch. Aber das muss er wohl sein, um so genial zu sein."
In Bremen erinnerten sie sich in den Zeiten des Erfolgs an ihren alten Trainer Otto Rehhagel. Manager Klaus Allofs: "Der hat immer zu den Spielern gesagt: Jungs, wenn ihr Tabellenführer seid, gibt's nur eins: rauf aufs Sofa, Bier auf, Fernseher an, ARD-Videotext Tafel 253, die Tabelle angucken und den ganzen Abend anlassen - und dann nur noch genießen." Und das taten sie in Bremen tatsächlich - denn der würdige Nachfolger des großen Werder-Trainers Otto Rehhagel, Thomas Schaaf, bewies auch auf anderer Ebene den Otto-Style. So warnte er seine Mannschaft vor dem 32. Spieltag in München: "Sie werden versuchen, uns zu schwächen. Sie werden versuchen, uns Nervosität einzureden. Sie werden uns Dinge einreden, die nicht den Tatsachen entsprechen."
"Und dann auch noch gegen den Erzfeind Bayern"
Und obwohl die Bayern genau das versuchten ("Man tut so, als wäre man cool, als würde man das alles nicht überbewerten. In Wirklichkeit sieht das schon ganz anders aus. Wer möchte schon eine sicher geglaubte Meisterschaft verlieren. Und dann auch noch gegen den Erzfeind Bayern", Torwart Oliver Kahn), passierte präzise das Gegenteil: Werder Bremen spielte an diesem sonnigen Nachmittag des 08. Mai 2004 im Münchener Olympiastadion groß auf - und siegte am Ende nicht nur mit 3:1, sondern sicherte sich so auch ausgerechnet in München vorzeitig die Deutsche Meisterschaft.
Dass das gelingen konnte, war vor allem das Ergebnis einer imponierenden Serie von 23 Spielen ohne Niederlage in Folge. Dadurch konnte sich Werder nach der Winterpause von der Konkurrenz absetzen und war nicht mehr einzuholen. Als das kleine Wunder dieser Spielzeit 2003/04 geschafft war, brachen bei den Bremern alle Dämme. Legendär war besonders eine Szene. Im Entmüdungsbecken zog Torjäger Ailton vor laufenden Kameras blank und präsentierte sich der Fernsehnation in seiner vollen Pracht. Draußen auf der Tartanbahn des Olympiastadions hatte Ailton zuvor schon überschwänglich von seinen Plänen für den Rest des Tages erzählt: "Champagne, Wasser, Bier brasilian. Musse heute alles. Alle."
"Gute Physis habe ich von meinem Papa geerbt"
Hinterher war der Brasilianer nicht mehr zu halten - und dachte dennoch in einem stillen Moment des Triumphs an seine Eltern in der Heimat, die aufgrund der Flugangst seines Vaters nicht live im Stadion mit dabei sein konnten: "Meine gute Physis habe ich von meinem Papa geerbt. Er hat sein Leben lang als Bauer körperlich hart gearbeitet und noch immer eine wunderbare Gesundheit. Von meiner Mutter habe ich die Eleganz, diese leichte Art, mich zu bewegen. Durch sie habe ich Lust auf Schmuck und Gold und feine Kleidung bekommen. Meinem Papa ist das egal, er hat nur einen Anzug." Und ehe Ailton seine letzten Worte gesprochen hatte, war er auch schon wieder in der Masse der feiernden Bremer untergetaucht.
Ganz anders als der Manager und ehemalige Spieler der Bremer, Klaus Allofs. Er genoss den Meisterschaftssieg in München zwar ebenfalls sehr - aber nicht, wie er es noch als Spieler konnte, in vollen Zügen: "Jetzt muss ich bei allen Feierlichkeiten schon noch den Überblick bewahren. Ich kann schließlich schlecht kurz nach Schlusspfiff irgendwo in der Ecke liegen." Und auch Aufsichtsrat Willi Lemke dachte im Moment des großen Triumphs bereits wieder an die Zukunft des Fußballs. Weitsichtig formulierte er: "Wenn Klubs wie Werder und Lautern nicht ab und an auch mal Meister werden, gehen die Leute irgendwann nicht mehr zum Fußball. Und das wollen wir doch alle nicht."
Quelle: ntv.de