Redelings Nachspielzeit

Redelings über eine Sensation Als die Bundesliga noch spannend war

Ein kurioses Spiel 1978: BVB-Trainer Otto Rehhagel im Gespräch mit Gladbach-Spieler Berti Vogts - zur Halbzeit bereits 0:8.

Ein kurioses Spiel 1978: BVB-Trainer Otto Rehhagel im Gespräch mit Gladbach-Spieler Berti Vogts - zur Halbzeit bereits 0:8.

(Foto: imago sportfotodienst)

Packende Duelle um die Meisterschaft? Gibt es nur noch in Erzählungen. So wie im Jahr 1978. 12:0 schoss Gladbach damals den BVB aus dem Stadion - und holte dennoch nicht den Titel. Ein kurioser Tag in einer anderen Zeit.

Nächstes Jahr werden die ersten Kinder in Deutschland eingeschult, die seit ihrer Geburt keinen anderen Bundesligameister kennen als die Bayern. Vor genau vier Jahren begann die große Langeweile. Der FC Bayern München hatte damals eine wahre Fabelsaison gespielt. Nachdem Borussia Dortmund nur ein Jahr zuvor die Messlatte mit 81 Punkten aus 34 Spielen scheinbar uneinholbar höher gelegt hatte, brachen die Münchener nur zwölf Monate später mit 91 Punkten spielerisch alle Rekorde. Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge sagte nach dem beispiellosen Durchmarsch seines Klubs: "Der FC Bayern 2012/13 war ein Sommer-, ein Herbst-, ein Frühjahrs- und ein Wintermärchen - alles in einem." Bereits am 28. Spieltag stand der neue Deutsche Meister fest. Und so merkte der damals 68-jährige Bayern-Trainer Jupp Heynckes lächelnd an: "Bei solch kühlen Temperaturen bin ich noch nie Meister geworden, weder als Spieler noch als Trainer."

Wehmütig erinnern sich die Fans der Bundesliga in diesen Tagen an die packenden Duelle zwischen gleichwertigen Teams, die bis zum Schluss den Atem der Fußballanhänger stocken lassen. So wie vor fast 30 Jahren, als sich Borussia Mönchengladbach und der 1. FC Köln am 29. April 1978 ein hinreißend dramatisches Finale um die Deutsche Meisterschaft lieferten. Damals kam es schon vor dem spektakulären Showdown zu einem faszinierenden Endspurt der Borussia am 33. Spieltag. Mit 1:2 lagen die Fohlen bis zur 69. Minute in Hamburg zurück. Doch dann zündete der amtierende Deutsche Meister bis zur 83. Minute den Turbo und siegte nach überragenden 14 Minuten am Ende mit 6:2 im Volksparkstadion. Damit stand einem der begeisterndsten Finals der Bundesliga-Historie nichts mehr im Wege.

"Da müssten wir schon 0:12 verlieren"

"Ein Tor würde dem Spiel gut tun"

Ben Redelings ist "Chronist des Fußballwahnsinns" (Manni Breuckmann) und leidenschaftlicher Anhänger des VfL Bochum. Der Autor, Filmemacher und Komödiant lebt in Bochum und pflegt sein Schatzkästchen mit Anekdoten. Seine kulturellen Abende "Scudetto" sind legendär. Für n-tv.de schreibt er stets dienstags die spannendsten und lustigsten Geschichten auf. Sein Motto ist sein größter Bucherfolg: "Ein Tor würde dem Spiel gut tun".

Und um genau diesen letzten Spieltag, als Mönchengladbach Borussia Dortmund mit 12:0 abschoss und der 1. FC Köln einen 5:0-Kantersieg gegen St. Pauli holte, ranken sich viele Legenden. Die eine besagt, dass die Paulianer in der Halbzeit der Partie, beim Stand von 0:1, die FC-Spieler fragten, wie viele Tore sie denn nun noch bräuchten, um sicher Deutscher Meister zu werden, und man sich schließlich per Handschlag beim Gang hinaus auf den Rasen einigte. "Alles klar", sollen die Paulianer gerufen haben, "kriegen wir hin!" Ob das wirklich so war, hat allerdings nie jemand bestätigt.

Sicher ist hingegen, dass sich vor der Begegnung des BVB gegen Gladbach Dortmunds Präsident Heinz Funke in einem Fernsehinterview zu den Meisterschaftschancen der rheinischen Borussia äußerte und wortwörtlich meinte: "Ja, da müssten wir schon 0:12 verlieren." Ein überraschend exakter Tipp für einen Satz, den man angeblich mal so eben ins Blaue hinein gesagt haben wollte! BVB-Profi Lothar Huber erinnert sich jedenfalls noch gut, wie das an diesem Tag alles endete: "Nach dem 0:10 hat keiner mehr den Ball aus dem Tor geholt. Da lief der Schiedsrichter, den Ball unterm Arm, zur Mittellinie."

Rehhagel will Stürmer einwechseln - der weigert sich

Bis heute unerklärlich ...

Bis heute unerklärlich ...

Eine weitere schöne Legende ist unterdessen von verschiedenen Seiten bestätigt worden. Beim Stand von 7:0 für Borussia Mönchengladbach lief Trainer Otto Rehhagel an diesem 29. April 1978 aufgeregt zu der Bank seines BVB. Dort sagte er zu seinem Stürmer Siggi Held: "Siegfried, machen Sie sich warm. Sie kommen gleich." Doch Held machte angesichts der deprimierenden Geschehnisse auf dem Rasen keine Anstalten, irgendetwas zu tun. Nachdem Rehhagel einige Meter auf der Tartanbahn des Rheinstadions zurückgelegt hatte, steuerte er erneut auf seinen Spieler zu: "Hören Sie nicht? Sie sollen sich warm machen, Siegfried. Ich bring Sie gleich!" Held zupfte an seinen üppigen Augenbrauen, lehnte sich in Ruhe zurück und sah, wie die Tore acht und neun gegen seine Mannschaft fielen.

Otto Rehhagel war nun endgültig bedient. Fuchsteufelswild sprintete er mit Riesenschritten zur Bank und packte sich seinen tatenlosen Stürmer: "Sie wollen mich wohl verarschen, oder?!" Siegfried Held erhob sich langsam von seinem Platz, schaute Rehhagel ruhig ins Gesicht und sagte: "Trainer, mal ehrlich, soll ich die Scheiße etwa noch umbiegen, oder was?!" Später probierte es Rehhagel auch noch bei Willi Lippens. Doch der winkte nur müde lächelnd ab und zog sein Trikot über den Kopf.

BVB-Trainer Rehhagel sagte nach dem Spiel vollkommen ernüchtert: "Es kann im Fußball nicht immer nur die Sonne scheinen. Ab und zu kommen auch schon einmal Regengüsse, so wie heute." Raunen im Presseraum. Aus einer Ecke war deutlich die geflüsterte Antwort eines Journalisten zu verstehen: "Von Regen kann keine Rede sein. Das war wohl mehr Hagel, was heute auf Dortmund niederging!"

Harte Zeiten auch beim FC Bayern

Am Ende hatte das Ganze auch noch ein juristisches Nachspiel beim DFB. Manipulationsvermutungen machten die Runde, über die sich allerdings selbst die Mönchengladbacher lustig machten. Rainer Bonhof: "Beim 8:0 war doch der Chefankläger Kindermann schon am Frankfurter Kreuz. Das ist alles lächerlich!"

Übrigens: Gladbach fehlten damals zum Schluss ganze drei Tore, die man zu viel kassiert hatte. Ansonsten waren der 1. FC Köln und Borussia Mönchengladbach in allen Kategorien genau gleichauf. Was für ein faszinierendes Finale einer langen und intensiven Saison.

Dieses Jahr hat der FC Bayern München bereits drei Spieltage vor Schluss zehn Punkte Vorsprung auf den Zweiten, RB Leipzig. Auf die Dauer wird die Königsherrschaft des FCB so zu einem echten Problem für die Liga - die eigenen Fans der Bayern mit eingeschlossen. Denn nicht alle Anhänger der Roten haben schon die harten Zeiten (1991, 1992, 1993) mitgemacht - als man tatsächlich mal drei Jahre hintereinander nicht Deutscher Meister wurde!

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Quelle: ntv.de

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