Redelings Nachspielzeit

Eine Woche des Wahnsinns  Der FC Bayern eskalierte einst legendär

Uli Hoeneß erlebte die legendäre März-Woche 2001 aus nächster Nähe.

Uli Hoeneß erlebte die legendäre März-Woche 2001 aus nächster Nähe.

Vor genau 20 Jahren erlebte der FC Bayern München eine Woche des Wahnsinns. Nach einer kuriosen Niederlage am Wochenende bei Hansa Rostock ließ das 0:3-Debakel von Lyon die Lage eskalieren. Franz Beckenbauer war außer sich - und wies die Mannschaft legendär zurecht.

"Man muss sich das mal vorstellen: Man fliegt vom Platz, nachdem man ein Tor geschossen hat. Phänomenal!" Oliver Kahn hatte tatsächlich seinen Humor noch nicht verloren. Dabei war die Lage des FC Bayern Anfang März vor zwanzig Jahren alles andere als zum Lachen und der Münchener Torhüter war daran nicht ganz schuldlos - um es vorsichtig auszudrücken.

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Einen Tag vor Kahns launiger Aussage hatte der Keeper des FC Bayern in Rostock in der Nachspielzeit für eine der kuriosesten Aktionen der Liga-Geschichte gesorgt und damit seinen ansonsten so ruhigen Trainer Ottmar Hitzfeld richtig wütend gemacht. Weil die Münchener nach neunzig Minuten mit 2:3 bei Hansa Rostock hinten lagen, eilte der FCB-Torhüter in den Strafraum des Gegners. So weit, so gut. Doch was Oliver Kahn dann tat, hatte es so zuvor in der Bundesliga noch nie gegeben. Mit beiden Fäusten rammte er die Kugel in der Luft stehend und wie von Sinnen nach einem Eckball mit viel Anlauf ins Hansa-Tor. Wer es nicht selbst gesehen hat, der kann es immer noch nicht glauben.

Außer Trainer Hitzfeld lachten alle

Doch da die Aktion für jedermann im Stadion so offensichtlich war, hätte es eigentlich gar nicht einmal der aufgeregten Reaktionen am Spielfeldrand und auf dem Platz bedurft. Und so fackelte auch Schiedsrichter Dr. Markus Merk nicht lange und verwies den Bayern-Keeper, der zuvor schon verwarnt worden war, mit einer Gelb-Roten Karte vom Feld. In der Pressekonferenz am folgenden Tag sprach Oliver Kahn sichtlich gut gelaunt ("Ich lache mich tot. Seid doch froh, dass was passiert, worüber man lachen kann") einen weiteren legendären Satz, als er meinte: "Ein Torwart, dachte ich immer, darf die Hände im Sechzehnmeterraum benutzen!" Die versammelte Presse schlug sich begeistert auf die Schenkel. Doch ein Mann war alles andere als erfreut: Ottmar Hitzfeld.

Der Gentleman-Trainer der Bayern konnte Kahns unterhaltsamen Schilderungen der Szene nichts abgewinnen. Er monierte stattdessen, dass die irrwitzige Aktion des Torhüters nicht nur völlig unnötig gewesen sei, sondern womöglich sogar einen regulären Ausgleichstreffer der Bayern verhindert habe - da Kahns Mitspieler Sammy Kuffour und Paulo Sergio in aussichtsreicher Position zum Kopfball hätten hochsteigen können. Und da die Münchener in Rostock nicht nur die Tabellenführung verspielten, sondern zudem zum dritten Mal hintereinander ohne Sieg geblieben waren, hing der Haussegen bei den Bayern vor der anstehenden Champions-League-Partie auswärts bei Olympique Lyon tüchtig schief.

Ein Debakel und eine legendäre Wutrede

Zudem kursierten in München schon länger Gerüchte, dass Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge ihre Posten beim Rekordmeister aufgeben wollten. Die veränderten Rahmenbedingungen seit dem Bosman-Urteil einige Jahre zuvor hatten sich dramatisch verschärft. Die Konflikte mit den Spielern und ihren Beratern um immer mehr Geld und um immer weitreichendere Zugeständnisse gehörten mittlerweile zum Tagesgeschäft. Sehr zum Leidwesen der beiden Führungspersonen der Bayern.

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Manager Uli Hoeneß sah vor allem ein (neues) Problem bei den Spielern: "Sie sind satt. Weil sie wissen, dass sie ihr Geld sowieso kriegen. Und wir sind machtlos!" Etwas, das natürlich den beiden Alphatieren Hoeneß und Rummenigge ganz und gar nicht gefiel. Besonders nicht in Momenten des sportlichen Nicht-Erfolgs. Und so dachte Hoeneß öffentlich laut nach: "Ich habe so viel Geld, ich könnte von heute auf morgen aufhören. Doch ich bin immer heiß, freue mich jeden Tag auf die Arbeit. Aber diese Freude könnte mit einem Schlag weg sein." Die Rücktrittsdrohung war so nun erst einmal in der Welt. Und es sollte noch schlimmer kommen.

Denn nur drei Tage nach der schmerzhaften Niederlage in Rostock erlebte der FC Bayern München an einem Dienstagabend heute vor genau zwanzig Jahren eine der schwärzesten Stunden der Vereinsgeschichte. Das 0:3-Debakel bei Olympique Lyon ist aber nicht nur wegen des erschreckend schwachen Auftritts des Rekordmeisters in Frankreich in Erinnerung, sondern vor allem wegen der legendären Rede auf dem Bankett danach. Viele Fußballfans haben die Worte von Franz Beckenbauer, damals Präsident der Bayern, bis heute nicht vergessen. Werner Hansch sagte nach der Standpauke des Kaisers bewundernd: "Rhetorisch präzise wie ein Markenbohrer."

Beckenbauer bot "Nachhilfe" an

Ben Redelings

Ben Redelings ist ein leidenschaftlicher "Chronist des Fußballwahnsinns" (Manni Breuckmann) und Anhänger des ruhmreichen VfL Bochum. Der Autor, Filmemacher und Komödiant lebt im Ruhrgebiet und pflegt sein Schatzkästchen mit Anekdoten. Für ntv.de schreibt er dienstags und samstags die spannendsten und lustigsten Geschichten auf. Weitere Informationen zu Ben Redelings, seinen aktuellen Terminen und Projekten gibt es auf seiner Seite www.scudetto.de.

"Das war eine Blamage. Das hat nichts mit Fußball zu tun. Das ist eine andere Sportart, die wir spielen", erzürnte sich Beckenbauer vor der versammelten Mannschaft, Vereinsvertretern, Sponsoren und der Presse. Er verspottete die Spieler als "Altherrenfußballer" und "Uwe-Seeler-Traditionsmannschaft" und bot jedem einzelnen Akteur "Nachhilfe" an: "Dann werde ich ihm allerdings noch was ganz was anderes sagen." Und dann redete Franz Beckenbauer endgültig Tacheles "Wir sind jetzt in einer Situation, wo wir sicherlich noch einiges retten können. Ihr müsst euer Spiel komplett umstellen. Wenn ihr so weiterspielt wie jetzt, werden die ganzen Trophäen sicherlich nicht nach München gehen."

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Auch heute noch vermuten viele, dass der damalige Präsident des FC Bayern München an diesem Abend mit seiner unvergessenen Rede den Wendepunkt in einer Saison einleitete, die zuungunsten des Klubs zu kippen drohte. Die "satten" Spieler, wie sie Hoeneß genannt hatte, wollten auf einmal beweisen, dass sie in Wahrheit doch ganz anders waren, als sie vonseiten der Vereinsführung und Teilen der Fanszene gesehen wurden. Allen voran stemmte sich Kapitän Stefan Effenberg gegen das drohende Komplett-Waterloo.

Und wie wir heute wissen, war diese legendäre Woche des Wahnsinns Anfang März 2001 eine lehrreiche für den FC Bayern. Am Ende der Saison hatte man schließlich in allerletzter Sekunde dem FC Schalke 04 die sicher geglaubte Meisterschaft entrissen und war in Mailand gegen den FC Valencia Champions-League-Sieger geworden. An diesem denkwürdigen Abend im Giuseppe-Meazza-Stadion stach übrigens ein Mann ganz besonders heraus. Es war der Torhüter der Bayern. Oliver Kahn hatte zwar wieder einmal kein reguläres Tor geschossen, dafür aber drei Strafstöße im abschließenden Elfmeterschießen pariert. Und so lachten in dieser Nacht Ottmar Hitzfeld und sein Keeper gemeinsam um die Wette.

Quelle: ntv.de

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