
Pearce im WM-Halbfinale 1990 gegen Deutschland.
(Foto: picture alliance / Pressefoto Rudel)
In Deutschland kennen wir diesen Mann spätestens seit dem WM-Halbfinale 1990. Damals scheiterte Stuart Pearce legendär im Elfmeterschießen an Bodo Illgner. Heute feiert die englische Legende seinen 60. Geburtstag - und in wenigen Tagen könnten die Fans von Eintracht Frankfurt auf spezielle Weise Bekanntschaft mit ihm machen.
Es war eine dieser typischen Aktionen des Mannes, den sie in England nur "Psycho" nennen. Mit 53 Jahren wollte Stuart Pearce noch einmal zurück auf den Platz. Als Spieler. In der dreizehnten englischen Liga, die den schönen Namen "Gloucestershire Northern Senior League Division Two" trägt. Zu diesem Zeitpunkt hatte der AFC Longford alle seine neunzehn Partien der Saison verloren und wies das abenteuerliche Torverhältnis von 3:183 aus. Pearce, so hieß es, solle dem Team wieder auf die Beine helfen. Doch nach nur einem Spiel war schon wieder Schluss für den ehemaligen Nationalspieler. Das Ganze hatte sich als Werbegag herausgestellt - und irgendwie war die Sache nach hinten losgegangen. Und auch das war wieder einmal typisch für Pearce.
Trainer Bobby Gould erinnert sich genau an den Tag, an dem er sich dafür entschied, Stuart Pearce für Coventry zu verpflichten: "Ich bin an einem äußerst ungemütlichen Abend zu Yeovil gegangen, um Stuart Pearce für Wealdstone spielen zu sehen. Nach zehn Minuten attackierte er einen gegnerischen Spieler an der Außenlinie so ruppig, dass dieser auf dem Schoß meiner Frau landete. Da sagte ich zu ihr: 'Das reicht. Ich habe genug gesehen. Wir können nach Hause gehen.'" Am nächsten Morgen stielte Gould guten Gewissens den Transfer des späteren 78-fachen englischen Nationalspielers mit dem aussagekräftigen Spitznamen "Psycho" ein.
Am Tage seines letzten Spiels schaute Pearce zurück auf seine ereignisreiche Karriere und sagte: "Irgendwie ist immer der Wurm drin, wenn ich etwas tue". Pearce sprach diesen Satz noch im vollen Bewusstsein einer denkwürdigen Szene in der Nachspielzeit, die so typisch für seine gesamte Karriere war. Denn nur Minuten zuvor hätte Pearce tatsächlich und ausgerechnet mit einem Strafstoß seine Laufbahn und seine letzte Partie krönen sollen. 34.000 Zuschauer im Stadion starrten gebannt und voller Vorfreude auf den Elfmeterpunkt.
Dave Beasant, der Torhüter von Portsmouth, schien sich dieses besonderen Moments bewusst. Jeder im weiten Rund wusste: Der 43-jährige Keeper wird diesen Augenblick nicht kaputt machen wollen. Und tatsächlich wird Pearce später erzählen, dass Beasant ihm ins Ohr geflüstert habe: "Pass auf. Ich werde mich überhaupt nicht bewegen. Schieß das Ding in irgendeine Ecke und gut ist."
Selbst als Trainer klappt Elfmeterschießen nicht
Es wäre das 100. Tor von Stuart Pearce in seiner Karriere und der 109. Treffer von Manchester City in dieser Saison gewesen - Vereinsrekord. Doch für "Psycho" war dieser Moment wieder einmal eine Nummer zu groß. Pearce setzte den Ball unglaublicherweise über das Tor.
Hinterher meinte er halb lächelnd, halb verzweifelt: "Genau so war es immer. Es ist ein komisches Ende, aber typisch für mich. Als ich damals zu West Ham wechselte, brach ich mir zweimal das Bein. Und als wir 1990 im WM-Halbfinale standen und ich diese riesige Chance für unser Land hatte, versemmelte ich sie. Das bin halt ich!"
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Damals bei der Weltmeisterschaft in Italien ballerte er im Elfmeterschießen den deutschen Nationaltorhüter Bodo Illgner mit einem knallharten, aber völlig unplatzierten Schuss in die Mitte des Tores an. Das war unglücklich, wurde ihm in England allerdings nie besonders krummgenommen, weil Chris Waddle den entscheidenden Strafstoß in den Turiner Nachthimmel zimmerte. Doch seit diesem Abend haftete dem blonden Hünen Pearce und der englischen Nationalmannschaft das Stigma der Elfmeter-Versager an.
Und so musste der ehemalige, beinharte Linksverteidiger 17 Jahre später als Trainer der englischen U21 mit ansehen, wie seine Jungs am Gastgeberland Niederlande scheiterten. Im längsten Elfmeterschießen in einem offiziellen UEFA-Spiel lautete das Endergebnis 12:13. Pearce kommentierte die Niederlage süffisant trocken: "Immerhin haben wir die Entscheidung bis zum 32. Elfmeter hinausgezögert, das ist ja ein Schritt in die richtige Richtung."
Die Karotte am Ende des Tunnels
Das Thema Strafstöße sollte Pearce also auch nach seiner Spielerkarriere nicht loslassen. In seiner aktiven Zeit bei Manchester City bewies "Psycho" allerdings zuvor schon einmal, dass er gewillt war, die Sache mit den Elfmetern nicht mehr so bierernst zu nehmen. Als sein Mitspieler Robbie Fowler in einem Spiel um den Einzug in den UEFA-Cup den entscheidenden Strafstoß verschoss, nahm Pearce ihn in den Arm und sagte nur drei Worte: "Willkommen im Klub!"
Als der gebürtige Londoner viele Jahre später bei Manchester City als Co-Trainer keine feste Abfindungsvereinbarung in seinen Vertrag schreiben ließ, weil er den Job als eine Ehre ansah, meinte er nach seiner Entlassung mit hängenden Schultern nur: "Meine Frau denkt, ich sei ein Idiot". Das ist Pearce ganz bestimmt nicht. Er ist halt nur ein Typ, der im Leben immer wieder mal knapp daneben liegt. Ob er lustige Sachen sagt ("Ich kann die Karotte am Ende des Tunnels sehen") oder beim Torjubel ins Publikum springt: "Ich schaue immer nach einer Frau, aber am Ende lande ich dann doch immer auf dem gleichen alten Kerl." Der Mann, den sie alle nur "Psycho" rufen, ist vielleicht auch gerade deshalb eine englische Legende.
Heute feiert Stuart Pearce seinen 60. Geburtstag - und in ein paar Tagen trifft der Co-Trainer von West Ham United in der Europa League im Halbfinale auf Eintracht Frankfurt. Ob er dann allerdings bei einem möglichen Elfmeterschießen Einfluss auf seine Spieler nehmen wird, bleibt abzuwarten. Aber der Fußball schreibt ja bekanntlich die unglaublichsten Geschichten. Und die Story des Stuart Pearce ist definitiv noch lange nicht auserzählt.
Quelle: ntv.de