Fußball-WM 2018

WM-Zeitreise - 20. Juni 1970 Als Sepp Maier seinen Kollegen bloßstellte

Geschafft, aber Dritter: die DFB-Elf bei der WM 1970.

Geschafft, aber Dritter: die DFB-Elf bei der WM 1970.

Deutschland wird gegen Uruguay Dritter bei der WM 1970 - und fährt glücklich nach Hause. Die Weltmeisterschaft der Superlative, der Jahrhundertspiele und der zahlreichen Anekdoten hat alles geboten, was sich Fußballfans erhoffen.

Nun war sie vorbei, eine WM der Superlative, der Jahrhundertspiele und der vielen Anekdoten. Als sich die deutsche Nationalmannschaft am 20. Juni 1970 mit allerletzter Kraft in den Schlusspfiff im Spiel um den dritten Platz gegen Uruguay rettete, hatte sie ein Turnier hinter sich gebracht, das Geschichte schrieb. Eine Weltmeisterschaft übrigens, die es fast fürs deutsche Team nicht gegeben hätte. Denn im entscheidenden Qualifikationsspiel gegen eine überraschend starke schottische Mannschaft sicherte erst ein herausragender rechter Außenstürmer mit dem großen Namen, Reinhard "Stan" Libuda, mit seinem 3:2 die Flugtickets nach Mexiko.

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Sein früherer Schalker Teamkollege, der gebürtige Wattenscheider Willi Schulz, schnalzt noch heute mit der Zunge, wenn er an dieses Spiel und den quirligen Jungen auf Rechtsaußen denkt: "Libuda hat alle schwindelig gespielt. Gegen Schottland hat der gegen den Tommy Gemmell gestanden. Der fuhr zurück auf die Insel und hat sich am nächsten Tag mit dem Rasenmäher einen Zeh abgeschnitten, weil er sich immer noch wie ein Kreisel drehte. Denkst du an Stan, ist der Zeh weg – ja, so war das damals."

Die WM der Anekdoten begann schon Wochen vorher in Deutschland, als die Nationalspieler für das Turnier üppig ausgestattet wurden. Die Firma Meyer aus Werther stiftete einen "Reisemantel: Farbe Hellbeige", Firma Benger-Ribana aus Bad Rappenau "2 Sportslips und 1 Badehose" und die Firma Hipp aus Tailfingen "2 Fritz-Walter-Freizeithemden" (!). Nachdem alles von netten Damen auf Wunsch (Siggi Held: "Dazu bin ich zu unbegabt") eingepackt wurde, waren alle zuerst sehr zufrieden - bis ein Koffer fehlte.

"Günter Netzer, Sie müssen leider Ihren Koffer abgeben!"

Für einen Nationalspieler war ein Gepäckstück zu wenig. Und so entschied DFB-Sekretär Hermann Joch: "Günter Netzer, Sie müssen leider Ihren Koffer abgeben!" Verschämt verließ der Gladbacher Fußballstar anschließend mit einem Pappkarton unterm Arm das Gebäude. Und ob man es glaubt oder nicht: Ausgerechnet Netzer hätte den Koffer ohnehin nicht gebraucht. Nach all den Jahren ist nicht mehr mit Gewissheit zu klären, ob Bundestrainer Schön Netzer zu Hause ließ, weil sich dieser öffentlich darüber beschwert hatte, dass Schön zu wenig mit ihm rede oder ob eine Verletzung ihn zum Verzicht zwang. Warum auch immer Netzer nicht mitfuhr: Das böse Omen hatte es schon vorher vorausgesagt.

Sepp Maier hatte eine kuriose Idee. Sie hat übrigens nichts mit dem Bild zu tun.

Sepp Maier hatte eine kuriose Idee. Sie hat übrigens nichts mit dem Bild zu tun.

(Foto: imago/WEREK)

Auch wenn Helmut Schön mit Günter Netzer nicht darüber diskutieren wollte, warum er lieber Wolfgang Overath statt ihn spielen ließ, so pflegte der Nationalmannschaftscoach mit anderen durchaus das lockere Gespräch – wie sich Overath in seinem Buch "Ja, mein Temperament" erinnert: "Uwe Seeler, Willi Schulz und der Bundestrainer ziehen sich des Öfteren im Trainingsquartier für ein Stündchen zurück und klatschen miteinander. Genau wie Hausfrauen, denen man das allerdings vorwirft. Wer neu ist, könnte vermuten, dass diese drei Weisen die Mannschaft fürs nächste Länderspiel aufstellen. Doch da lässt sich Helmut Schön nicht reinreden, auch wenn es hier und da schon mal anders zu lesen ist. Hocken Uwe, Willi und der Bundestrainer zusammen, hat ein Thema Vorrang: Die gemeinsamen Haarsorgen."

Auch untereinander kommunizieren die Spieler angeregt. Einmal war Torjäger Gerd Müller mächtig geladen. In der Kabine tobte er: "Ich hör' auf mit dem Fußball. Ich lass' mir das vom Franz nicht länger gefallen!" Irritiert fragte Uwe Seeler den Stürmer: "Wieso denn, Gerd? Der Franz hat doch überhaupt nichts gesagt!" Müller: "Nee, gesagt nichts. Aber wie der immer schaut, der Franz. Wie der immer schaut!"

Torwart Allal war noch in der Kabine

Vielleicht war der Bayern-Stürmer beim Spiel gegen Marokko auch nur wieder einmal von irgendetwas irritiert, als der Anpfiff zur zweiten Halbzeit erfolgte. Denn als der Schiedsrichter die Partie nach dem Wechsel eröffnete, standen nur zehn Marokkaner auf dem Platz - Torwart Allal war noch in der Kabine. Doch die deutsche Mannschaft konnte diese missliche Lage nicht nutzen. "Leider haben es nur wir Abwehrspieler gemerkt", sagte Klaus Fichtel hinterher etwas ernüchtert.

Am 20. Juni stellte Helmut Schön noch einmal die elf besten Spieler auf, die ihm zur Verfügung standen. Beim mühsamen 1:0-Sieg gegen Uruguay nahm er nur im Tor eine Änderung vor, die für Aufregung sorgte. Der etatmäßige Torhüter Sepp Maier war tüchtig sauer. Der Bayern-Keeper packte sich deshalb seine Kamera und positionierte sich direkt hinterm Kasten seines Torwart-Kollegen Wolter. Von dort filmte er in aller Ruhe die Fehler seines Mannschaftskameraden, um sie dem Bundestrainer später genüsslich unter die Nase zu reiben.

Lange hielt sich übrigens das Gerücht, Nationalspieler Willi Schulz vom Hamburger SV habe seine Schuhe für das Spiel gegen Uruguay im Hotel vergessen gehabt und konnte darum nicht antreten - doch das stimmte nicht. Gemeinsam mit dem Bundestrainer hatte Schulz nur entschieden, dass seine letzte Partie mit dem Adler auf der Brust das Halbfinale gegen Italien sein sollte. Das unsterbliche Jahrhundertspiel als Schlusspunkt einer erfolgreichen Karriere im Nationalmannschaftstrikot. Eine gute Entscheidung. Denn viel besser kann eine DFB-Laufbahn in der Tat nicht enden.

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Quelle: ntv.de

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