WM-Zeitreise - 26. Juni 2006 Die miesesten Elfmeter der WM-Geschichte
26.06.2018, 09:40 Uhr
Schowkowskyj hält gegen die Schweizer alles - und so scheiden die Eidgenossen bei der WM 2006 früh aus.
Die Schweizer sorgten bei der WM 2006 im Achtelfinale für einen sehr speziellen Doppel-Rekord - und schieden aus. Das denkwürdige Spiel gegen die Ukraine war ansonsten äußerst trostlos. Wäre da nicht dieses spektakuläre Elfmeterschießen gewesen!
Das hatte es so noch nie gegeben! Als im Achtelfinale der WM 2006 die Schweiz und die Ukraine aufeinander trafen, stand es auch nach 120 Minuten immer noch 0:0. Die Zuschauer im Kölner Stadion hatten sich voller Verzweiflung ob der dramatisch langweiligen und schlechten Darbietungen der beiden Mannschaften die Zeit mit dem Singen von Karnevalsliedern vertrieben. Als auch dies nichts half, stimmte der größte Teil des Publikums zusammen den Klassiker "Ohne Holland fahren wir nach Berlin" an. Deutschland hatte sich am Vortag nach einem Sieg über Schweden fürs Viertelfinale qualifiziert, während die Niederlande nach einer Niederlage gegen Portugal die kurze Heimreise antreten mussten.
Und dann kam nach 120 elendig langen Minuten das Elfmeterschießen. Jetzt endlich würden Tore fallen, glaubten die Zuschauer. Doch erst einmal scheiterte für die Ukraine Schewtschenko am Schweizer Zuberbühler. In diesem Moment muss sich wohl Marco Streller gedacht haben: Seien wir mal nicht so! Und so schob er dem ukrainischen Keeper Schowkowskyj die Kugel locker in seine Arme. Leider machte im nächsten Versuch Milewskyj der Schweiz jedoch einen Strich durch die Rechnung - und verwandelte. Jetzt wäre doch endlich auch einmal die Schweiz am Zug gewesen, doch obwohl sich Barnetta wirklich viel Mühe gab, knallte der Ball nur an die Latte. Und nachdem auch Rebrow für die Ukraine traf, konnte sich Cabanas nicht dazu durchringen, die Extrawurst des Tages zu spielen. Er scheiterte ebenfalls an Schowkowskyj.
Und so standen zwei Dinge nach dem 3:0 durch Husjew fest: Noch nie zuvor hatte eine Mannschaft in der WM-Historie beim Elfmeterschießen es geschafft, keinen Treffer zu erzielen und noch nie zuvor war es einem Team bei einer Fußball-Weltmeisterschaft gelungen, bei all ihren Partien während der regulären Spielzeit kein Tor zu kassieren und dennoch auszuscheiden. Die Schweiz nahm diese Doppelpremiere am denkwürdigen und dennoch über weite Strecken so trostlosen Abend des 26. Juni 2006 als einzige Trophäe traurig mit nach Hause.
"Mir schwimmt das Herz weg"
Die Geschichte des Elfmeterschießens bei Fußball-Weltmeisterschaften ist übrigens noch gar nicht so alt, wie man vermuten könnte. Zum ersten Mal zum Einsatz kam die Entscheidung vom Elfmeterpunkt im legendären Halbfinale der WM 1982 zwischen Frankreich und Deutschland. Nach dem nervenaufreibenden Treiben meinte Paul Breitner hinterher so wunderbar mehrdeutig: "Wir hatten alle die Hosen voll, aber bei mir lief's ganz flüssig." Karl-Heinz Rummenigge, der verletzungsbedingt erst in der 96. Minute eingewechselt worden war, verwandelte seinen Strafstoß sicher, wie wohl er danach erzählte: "Als ich da so allein im Mittelkreis stand, kurz vor dem Schuss, dachte ich, mir schwimmt jeden Moment das Herz weg."
Nach dem berühmten Elfmeterschießen gegen England bei der WM 1990 in Italien - Franz Beckenbauer: "Wir haben im Training viele Elfmeter geübt, aber Bodo war eine Katastrophe. Unsere Chance lag darin, dass er angeschossen wird" - kam es im Finale zum wohl wichtigsten Elfmeter in der jüngeren Historie des deutschen Fußballs. Und dabei sollte sich zeigen, wie entscheidend auch vermeintlich kleine Details für den Erfolg vom Punkt sind. Kurz vor der Halbzeit des Endspiels 1990 gegen Argentinien war nämlich Lothar Matthäus' Schuh kaputt gegangen. Ein Schuh übrigens, den zwei Jahre zuvor Diego Maradona beim Abschiedsspiel von Michel Platini getragen hatte. Der kleine Argentinier hatte damals seine eigenen Treter vergessen. Nun stand er in der Elf des gegnerischen Teams und Matthäus fühlte sich überhaupt nicht wohl in den neuen Tretern. Nur deshalb überließ er Andreas Brehme den Vortritt beim entscheidenden Strafstoß. Lothar Matthäus' Begründung damals: "Mit neuen Schuhen geht man ja auch nicht gleich zum Opernball."
Wie dem auch sei: Andreas Brehme löste seine Aufgabe damals bekanntlich auf eine nahezu perfekte Art und Weise. Viel besser kann man einen Elfmeter nicht schießen. Bei Brehme haben die Schweizer also eher nicht zugeschaut. Dann vielleicht bei der US-Sängerin Diana Ross. Die sollte nämlich mit einem Treffer vom Elfmeterpunkt die Weltmeisterschaft 1994 in den USA offiziell eröffnen. Alles war genau geplant: Ross würde Anlauf nehmen, der Torhüter daneben springen, der Ball ins Netz krachen und daraufhin würde das gesamte Tor, wie von Geisterhand gesteuert, zusammenbrechen. Dumm nur: Der Plan ging nicht auf! Denn Ross schoss genau wie die Schweizer Fußballer am 26. Juni 2006 in Köln nicht präzise genug. Die Kugel landete neben dem Kasten. Doch der Keeper reagierte prompt und vorbildlich: In einer Verzweiflungstat sprang er an den Pfosten und brachte so das Tor zum Einstürzen. Die WM-Eröffnung war gerettet! Das konnte man nach diesem trostlosen und dennoch denkwürdigen Abend des Achtelfinalspiels bei der WM 2006 zwischen der Schweiz und der Ukraine wahrlich nicht behaupten.
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Quelle: ntv.de