Fußball-WM 2018

Wie titelreif ist die DFB-Elf? Drei Alphatiere für ein Halleluja

Anführer sind immer gut. Gut, wenn man gleich drei davon hat (v.l.): Lahm, Schweinsteiger und Khedira.

Anführer sind immer gut. Gut, wenn man gleich drei davon hat (v.l.): Lahm, Schweinsteiger und Khedira.

(Foto: REUTERS)

Gegen Argentinien kann die "Generation Halbfinale", wie sich die Fußball-Nationalelf keineswegs selbst nennt, im WM-Endspiel den großen Coup landen. Es spricht viel dafür, dass das gelingt. Aber Garantien gibt es keine.

Die Wahrscheinlichkeit tendiert zwar gegen Null, dass jemand in der deutschen Nationalelf die Argentinier für Sparringspartner hält. Auch nicht nach dem Triumph gegen die Gastgeber aus Brasilien. Aber weil es sich bei der Partie am Sonntag im Maracanã folgerichtig um das Endspiel der Weltmeisterschaft handelt, hat Thomas Müller es sicherheitshalber heute noch einmal gesagt, bevor er und alle anderen das Campo Bahia verließen, um gen Rio de Janeiro aufzubrechen. "Ich gehe nicht davon aus, dass wir zur Pause 5:0 führen werden - auch wenn das schön wäre." Und sein Kapitän Philipp Lahm präzisierte das eine Spur staatstragender: "Wir sind einen Schritt vor dem Ziel. Einen Schritt davor, den großen Traum wahrzumachen."

Das mag stimmen, einfach aber wird es nicht. Das vermutet auch Teammanager Oliver Bierhoff: "Ich glaube nicht, dass die Argentinier uns so viel Platz lassen werden wie die Brasilianer." Zumal beim Gegner ein gewisser Lionel Messi mitspielt. Der schlich zwar in São Paulo beim Halbfinale gegen die Niederländer bis auf wenige lichte Momente über den Rasen. Er ist aber immer noch einer der besseren Fußballer auf diesem Planeten und halt einer, der mit einer Aktion, mit einem Geistesblitz, ein Spiel entscheiden kann. Des Bundestrainers Assistent Hansi Flick hatte verkündet: "Wir haben natürlich auch alle verfolgt, wie die Holländer Messi in Schach gehalten haben. Wir haben mit Sicherheit auch einen Plan, den werde ich aber nicht verraten."

Wir sind gespannt. Ebenfalls mit einem defensiven 3-5-2-Bollwerk van Gaalscher Prägung, in dem ständig zwei Spieler auf Messi aufpassen? Klingt eher nicht nach Joachim Löw. Bis es soweit ist, und wir es ganz genau wissen, schauen wir uns die deutsche Mannschaft einmal genauer an und ziehen eine Bilanz, vorläufig. Denn das dicke Ende kommt ja noch, so oder so. Oder wie Thomas Müller es formulierte: "Wir werden alles in die Waagschale werfen. Egal ob fußballerisch, mental oder kämpferisch."

Schlussmann und Libero in Personalunion: Manuel Neuer.

Schlussmann und Libero in Personalunion: Manuel Neuer.

(Foto: imago/Ulmer/Teamfoto)

DER TORWART. Müssen wir noch was zu Manuel Neuer sagen? Der Torhüter des FC Bayern hat sich spätestens bei diesem Turnier als einer der Weltbesten seiner Zunft erwiesen. Mal gibt er, gerne auch weit vor dem Strafraum den Libero, wie im zähen Achtelfinale gegen Algerien; mal rettet er seiner Mannschaft mit spektakulären Paraden den Sieg, wie beim Viertelfinalsieg gegen Frankreich. Wer aber wirklich wissen will, wie dieser Manuel Neuer tickt, der sollte sich daran erinnern, wie sauer er war, als er im epischen Halbfinale gegen Brasilien in letzter Minute ein Tor kassierte - beim Stand von 7:0 für Deutschland. "Selbst wenn er im Training ein Tor kassiert, dreht er durch", wusste der eingewechselte Julian Draxler zu berichten. Die "Süddeutsche Zeitung" nannte Neuer "ein total nettes Monster" - weil er mit seinem Ehrgeiz nicht aggressiv hausieren geht wie einst Oliver Kahn. Also: Neuer steht am Sonntag im Tor. Da gibt es keine zwei Meinungen.

DIE ABWEHR: Erinnern Sie sich noch an die Zeiten, als der Bundestrainer seine Viererkette mit vier Innenverteidigern bestückte? Ist noch gar nicht so lange her, in der Vorrunde war das. Und es wird nicht daran gelegen haben, das Jérome Boateng, Per Mertesacker, Mats Hummels und Benedikt Höwedes übereinandergestapelt einen 7,68 Meter hohen Turm ergeben hätten, dass diese Zeiten schon wieder vorbei sind. Sondern daran, dass sich Löw vor dem Viertelfinale dazu durchrang, Philipp Lahm wieder als rechten Außenverteidiger einzusetzen. Gegen Algerien spielte noch einmal Shkodran Mustafi, für den seitdem die WM vorbei ist, weil er sich verletzt hat. Seit der Partie gegen Frankreich steht die Abwehrreihe mit Lahm und Höwedes auf den Außenbahnen sowie Boateng und Hummels in der Mitte. Daran wird sich auch im Finale nichts ändern. Das ist aus drei Gründen gut. Der wichtigste ist, dass Kapitän Lahm rechts hinten als Retter und Antreiber Weltklasse besitzt und dort somit viel wertvoller für seine Mannschaft ist als im defensiven Mittelfeld, zumindest bei diesem Turnier.

Nun endgültig gesetzt im Nationalteam: Mats Hummels.

Nun endgültig gesetzt im Nationalteam: Mats Hummels.

(Foto: imago/ITAR-TASS)

Fast ebenso wichtig ist, das Hummels im Sturm den inoffiziellen Titel des Abwehrchefs erobert hat: Souverän im Zweikampf, kopfballstark und stets bereit, mit einem klugen Pass das Angriffsspiel einzuleiten. Und wer hat nochmal das Tor im Viertelfinale erzielt? Kurzum: Hummels ist gut für die Stabilität der Mannschaft, was wiederum schlecht für Mertesacker ist. Aber falls Hummels ausfällt, steht er bereit, das hat man in der zweiten Halbzeit gegen Brasilien gesehen. Und zu guter Letzt spielt Boateng nun - endlich, wird er sagen - auf seiner Lieblingsposition, so, wie er es auch beim FC Bayern zu tun pflegt. Bleibt Benedikt Höwedes. Er ist der Überraschungsstammspieler, nachdem vor der WM noch fraglich war, ob er überhaupt mit nach Brasilien darf. Aber der Schalker hat sich in dieses Turnier hineingebissen - und als verlässliche Stütze überzeugt. Er selbst sagt: "Den Schwachpunkt muss mir mal jemand erklären. Ich bin kein Roberto Carlos, der großartige Flanken schlägt, aber defensiv erfülle ich immer meine Aufgabe, das hat mir auch der Bundestrainer immer bestätigt." Am Sonntag nun bekommt er es mit diesem Messi zu tun.

DAS MITTELFELD: Galt vor dem Turnier als Problemzone, weil über allem die Frage stand, wie fit Sami Khedira und Bastian Schweinsteiger sind. Am Anfang haben sich die beiden Rekonvaleszenten noch eine Stelle im defensiven Mittelfeld geteilt, erst im Viertelfinale standen beide in der Startelf. Und seit dem Kantersieg gegen Brasilien steht fest: Sie halten nicht nur durch, sondern sie haben die Sache auch im Griff. Gemeinsam traten die beiden Alphatiere, die neben Käpt'n Lahm das Sagen haben, erstmals ab der 70. Minute im Achtelfinale auf, als Khedira beim Stand von 0:0 für den verletzten Mustafi in die Partie kam und Lahm auf seine alte Position ans rechte Ende der Viererkette rückte.

Einer der besten Spieler des Turniers: Toni Kroos.

Einer der besten Spieler des Turniers: Toni Kroos.

(Foto: imago/Fotoarena International)

Wenn im Nachhinein einen Schlüsselmoment auf dem Weg zum Titelgewinn gesucht werden sollte, bietet sich dieser an. Seitdem stimmt die Balance zwischen stabiler Defensive und kreativer Offensive. Daran hält Toni Kroos einen gehörigen Anteil, der stetig wächst. Im jetzt schon legendären Halbfinale zeigte er seine wohl beste Leistung in der Nationalmannschaft. Der Münchner ist auf gutem Weg, mit seiner unglaublichen Passsicherheit zum besten Spieler des Turniers zu werden. Er lenkt das Spiel seines Teams, mit den Kollegen Schweinsteiger und Khedira kann er im Maracanã zum entscheidenden Faktor werden.

DER ANGRIFF: Damit Miroslav Klose nicht mutterseelenallein in dieser Rubrik steht, haben wir Thomas Müller und Mesut Özil einfach auch noch hier einsortiert. Müller ist und bleibt Müller, ob er nun als Sturmspitze oder auf der rechten Außenbahn agiert. Er ist der Mann für die Überraschungen, abgesehen davon, dass er bis zur letzten Minute rennt wie ein Besessener. Nun ja, und Tore schießt er auch, fünf sind es bisher, dreimal servierte er für einen Kollegen. Einziges Rätsel in dieser Mannschaft ist Özil, dem der Bundestrainer ewige Treue geschworen zu haben scheint. Er spielt mit, geht aber nicht vorneweg.

Immerhin bietet er Anlass für einen bis Mittwochabend völlig absurd erscheinenden Satz: "Özil vergab gegen Brasilien die Chance zum 8:0." Unfassbar, oder? Wer möchte, darf sich diesen Satz ausdrucken und übers Bett hängen. Für ihn steht André Schürrle als Ersatz bereit, bleibt aber wohl auch im Finale das, was er in der Nationalmannschaft nun einmal ist: der ideale Einwechselspieler. In den immerhin 160 Minuten, die der Flügelspieler des FC Chelsea bisher im Einsatz war, erzielte er drei Tore und bereitete zwei weitere vor. Das kann gegen eine starke argentinische Defensive noch wichtig werden. Im Moment scheint es so, als habe er Mario Götze als ersten Anwärter auf eine Einwechslung verdrängt. Aber ob das wirklich so ist, weiß natürlich nur der Bundestrainer.

DIE ERSATZBANK: Es ist zwar nicht wahrscheinlich, dass irgendjemand dort gerne sitzt. Aber niemand mosert. Und das ist viel wert. Zugegeben: Die Brasilien-Touristen Kevin Großkreutz, Erik Durm, Matthias Ginter sowie die Torhüter Roman Weidenfeller und Ron-Robert Zieler trifft das weniger. Sie dürften sich, mit Ausnahme der beiden Dortmunder vielleicht, nicht viel mehr ausgerechnet haben. Julian Draxler und Christoph Kramer dürften froh sein, wenigstens ein paar Minuten gespielt zu haben. Aber Lukas Podolski dürfte auf mehr gehofft haben. Doch seine schwache Halbzeit im letzten Gruppenspiel gegen die USA war eine schwache Halbzeit zu viel.

Der größte Härtefall ist Per Mertesacker, der erst im Viertelfinale vom Abwehrchef zum Bankdrücker degradiert wurde. Und dass, nachdem er neulich anlässlich seines 100. Länderspiels erzählt hatte, wie schwer es ihm gefallen war, bei der Europameisterschaft 2012 nur Ersatzspieler zu sein. Aber von Groll keine Spur. "Jeder ist bereit im Team, der Teamspirit wächst weiter." Mertesacker steht dafür, dass das keine Floskel ist. Auch wenn das nicht heißt, dass sie das Endspiel gewinnt: Diese Mannschaft ist reif für den Titel. Aber das ist spätestens seit Mittwoch ja nichts Neues mehr.

Quelle: ntv.de

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