Bartlose Revolution bei WM Irans Frauen finden die Freiheit in Russland
18.06.2018, 15:23 Uhr
Unverhüllter Jubel: Irans Frauen haben bei der WM mehr zu feiern, als den Sieg ihres Teams.
(Foto: imago/Sven Simon)
Marokko verliert bei der Fußball-WM gegen den Iran, die Sieger jubeln hoch politisch. Auf den Rängen in Russland leben iranische Frauen ihre Leidenschaft. Die unverhüllte Freude über die schönste Nebensache der Welt kommt in der Heimat einer Revolution gleich.
Auch in Kasan werden sie wieder ins Stadion gehen. Ohne angeklebten Bart, bemaltes Gesicht und dicke Wollmütze auf dem Kopf. Am Mittwochabend dürfen Irans Frauen bei der WM eine Freiheit genießen, die sie in ihrer Heimat nicht haben: Fußball live in der Arena sehen. "Es ist so wunderbar", sagte eine Aktivistin nach dem 1:0-Auftaktsieg gegen Marokko in St. Petersburg: "Fußball ist nicht nur für Männer."

Sozialer Appell: "Unterstützt iranische Frauen, dass sie in Stadien gehen können".
(Foto: imago/PA Images)
Sara will die 34-Jährige genannt werden, ihren richtigen Namen verschweigt sie aus Angst vor Repressalien daheim im Iran. Sie ist nicht die Einzige, die in Russland die ungewohnte Freiheit nutzt, um gegen das seit fast 40 Jahren geltende Stadionverbot in ihrer Heimat zu protestieren.
Im Krestowski-Stadion in St. Petersburg waren mehrere Plakate zu sehen, die ein "Ende des Banns" und Unterstützung für "iranische Frauen, damit sie Stadien besuchen", forderten. Der Weltverband Fifa, der grundsätzlich politische Parolen in den WM-Arenen verbietet, ließ sie zu - weil es "ein sozialer Appell" sei.
Klebebart im Stadion, das "Freiheit" heißt
In Teheran dagegen muss Zahra Khoshnavaz zu besonderen Tricks greifen, wenn sie ein Fußballspiel ihres Lieblingsklubs Persepolis sehen will. Sie klebt sich einen Vollbart an, bemalt sich das Gesicht in Vereinsfarben, zieht ein Trikot über, hängt sich eine Fahne um und setzt eine dicke Wollmütze auf. Nur als Mann verkleidet kommt sie mit ihren Freundinnen an den Eingangskontrollen vorbei - ins Stadion, das ausgerechnet "Azadi", Freiheit, heißt. Stolz postet sie Fotos auf Twitter und Instagram.
"Als ich den grünen Rasen sah, musste ich weinen", sagt sie der ARD: "Erst wenn man drin ist, weiß man, was man Jahre lang verpasst hat." Nach dem Erdbeben im vergangenen Dezember in Teheran habe sie sich gefragt: "Warum sollte ich bei einem Erdbeben sterben, ohne meine Träume zu verwirklichen? Warum sollte ich nicht in ein Stadion gehen dürfen?"
"Schutz" vor "vulgären Männern"
Seit der Islamischen Revolution 1979 ist es Frauen im Iran verboten, Fußballstadien zu betreten. Offiziell will der einflussreiche Klerus sie damit vor den vulgären Äußerungen und Gesängen der Männer zu schützen. Versuche aus der Politik, ihnen etwa auf "Familientribünen" den Zugang zu erlauben, wurden abgeschmettert.
Fifa-Präsident Gianni Infantino vermied bei seinem Besuch im März in Teheran öffentliche Kritik am Iran, als 35 Frauen festgenommen wurden, die ins Stadion wollten. Er habe das Thema "im privaten Gespräch" mit Präsident Hassan Rohani angebracht und die Zusage erhalten, dass ein Ende des Verbots geplant sei.
In Russland trifft Sara auf viel Zustimmung, auch von iranischen Männern. Sie ließen sich mit den Protestplakaten fotografieren. Aber auch im Iran gibt es Unterstützung. Ali Daei, 149-maliger Nationalspieler und ehemaliger Bundesligaprofi, sagte der ARD: "Ich hoffe, dass die Frauen eines Tages ins Stadion dürfen. Wir werden mehr Zuschauer haben. Die Frauen werden sich freuen, und die Männer werden versuchen, sich besser zu benehmen."
Quelle: ntv.de, Thomas Lipinski, sid