Fußball-WM 2018

Starkes Stück aus der Wundertüte Löw lobt, Boateng zähmt - und Müller müllert

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(Foto: imago/Chai v.d. Laage)

Wenn jetzt einer sagt, er habe das geahnt, der lügt. Die deutsche Mannschaft startet mit einem wunderbaren Kantersieg gegen Portugal in die Fußball-Weltmeisterschaft und bietet Bundestrainer Löw die Chance, zu triumphieren.

Von Genugtuung wollte Joachim Löw nach getaner Arbeit nichts wissen. Und auch, dass er eine gewisse Zufriedenheit verspüre, mochte er nicht sagen. Was ja nicht unschlau ist. Schließlich stehen in nächster Zeit im besten Fall noch sechs Spiele an. Nur so viel: "Das war natürlich ein sehr guter Auftakt." Das blieb dann unwidersprochen. Mit 4:0 (3:0) hat die deutsche Nationalmannschaft am Montag in ihrem ersten Spiel bei der Fußball-Weltmeisterschaft in Brasilien gegen Portugal gewonnen. Und wer jetzt behauptet, er hätte geahnt, dass die DFB-Elf in Salvador da Bahia derart fulminant in dieses Turnier startet, sagt nicht die Wahrheit. Oder er hat sich vorher nicht getraut, es zu sagen.

Deutschland - Portugal 4:0 (3:0)

Tore: 1:0 Müller (12., Foulelfmeter), 2:0 Hummels (32.), 3:0 Müller (45.+1), 4:0 Müller (79.)

Deutschland: Neuer - Jérôme Boateng, Hummels (ab 73. Minute Mustafi), Mertesacker, Höwedes - Lahm - Khedira, Kroos - Özil (ab 63. Schürrle), Götze - Müller (ab 82. Podolski)

Portugal: Rui Patrício - Alves, Pepe, Pereira, Coentrao (ab 65. Andre Almeida) - Veloso (ab 46. Costa) - Mereiles, Moutinho - C. Ronaldo - Hugo Almeida (ab 28. Eder), Nani

Schiedsrichter: Milorad Mazic (Serbien) - Zuschauer: 51.081

Rote Karte: Pepe nach einer Tätlichkeit (37.)

Der Bundestrainer jedenfalls hätte nach der teils harschen Kritik an ihm und seinen Planspielen allen Grund gehabt, ein klein wenig zu triumphieren. Von einer Wundertüte war vor dem Start aus guten Gründen die Rede gewesen und davon, dass die Nationalelf zu viele Fragen offen lasse. Nach dem Sieg gegen Portugal lautet das Fazit: Es ist ganz schön was drin in dieser Tüte. Und wir reden hier nicht von illegalen Rauschmitteln, sondern von einem starken Stück Fußball. Der Bundestrainer hat, das darf er für sich beanspruchen, die richtigen Antworten gefunden. Zumindest für die erste Partie. Die deutschen Spieler in der Einzelkritik:

Manuel Neuer: Am Ehrentitel "Schulter der Nation" ist der 28 Jahre alte Münchner zu seinem Glück knapp vorbeigeschrammt, zum WM-Auftakt stand er in seinem 46. Länderspiel topfit zwischen den Pfosten und trotzte der Mittagshitze mit einem kanarienvogelgelben Trikot. Es war wie so oft: Viel zu tun hatte er nicht, seine Schulter konnte er schonen. Und wenn doch Gefahr im Verzug war, wehrte er ab, was abzuwehren war. So kennen wir ihn, das ist beileibe kein Wunder. Zweimal rettete er gegen Portugals am Ende doch arg entnervten Weltfußballer Cristiano Ronaldo und einmal gegen Hugo Almeida. Der musste zwar nach einer knappen halben Stunde verletzt raus, hat sich aber den Ehrentitel "Schnurrbart des Spiels" redlich verdient.

Jeróme Boateng: Feierte rechtzeitig vor dem Turnier sein Comeback als rechter Außenverteidiger. Ein Arbeitsplatz, den er überhaupt nicht mag. Schließlich spielt er beim FC Bayern in der Innenverteidigung. Aber für den 25 Jährigen gilt: Außen oder innen - Hauptsache WM. Die Frage war, ob es ihm in seinem 40. Länderspiel gelingt, besagtem Weltfußballer wie vor zwei Jahren bei der Europameisterschaft im Zaum zu halten. Die Antwort lautet: ja. Das ist zwar auch kein Wunder, aber eine gute Leistung. War wohl eine gute Idee des Bundestrainers, Boateng ans rechte Ende der Viererkette zu beordern. Auch wenn es nicht nur die 51.081 Zuschauer im Stadion Fonte Nova verwundert haben mag, dass Ronaldo auch richtig schlechte Spiele liefern kann. So hatte Boateng Zeit, sich mit längeren und langen Pässen am Aufbauspiel seines Teams zu beteiligen.

Per Mertesacker: Der 29 Jahre alte Verteidiger des FC Arsenal durfte sich in der 100. WM-Partie einer deutschen Mannschaft über eine Schnapszahl freuen: Es war sein 99. Länderspiel. Und es war ein gutes, auch wenn er an diesem Tag trotz seiner Kopfballstärke und der Tatsache, dass er meist dort steht, wo der Ball dann hinkommt, nur der zweitbeste deutsche Innenverteidiger war. Was nichts daran ändert, dass er den Ehrentitel als Abwehrchef selbstverständlich behalten darf.

Mats Hummels musste verletzt ausgewechselt werden.

Mats Hummels musste verletzt ausgewechselt werden.

(Foto: imago/Fotoarena International)

Mats Hummels: War bis zu seiner Verletzung mindestens der zweitbeste Spieler seines Teams. In seinem 31. Länderspiel zeigte der 25 Jahre alte Dortmunder, was in ihm steckt. Und um es vorwegzunehmen: Er wird wohl am Samstag im zweiten Gruppenspiel gegen Ghana auflaufen können. Löw berichtete nach dem Spiel: "Er hat einen Schlag auf den Oberschenkel bekommen, einen Pferdekuss. Ich gehe davon aus, dass es nichts Dramatisches ist." Bis dahin hatte er souverän fast jeden Zweikampf gewonnen und war maßgeblich daran beteiligt, dass seine Mannschaft ohne Gegentor blieb. Und er war maßgeblich daran beteiligt, dass es nach einer guten halben Stunde bereits 2:0 für die DFB-Elf stand. Nach einer Ecke von Toni Kroos wuchtete er nämlich höchstpersönlich den Ball in bester Sergio-Ramos-Manier mit dem Kopf ins Tor der Portugiesen. Wunderbar! Nach 73 Minuten war wie erwähnt Schluss. Für ihn kam der 22 Jahre alte Shkodran Mustafi zu seinem zweiten Länderspiel und einer kurzen Begegnung mit Ronaldo, der ihm einige seiner letztlich folgenlosen Übersteiger vorführte. Mustafi ist übrigens einer von sechs Innenverteidiger im Kader, übernahm aber den Platz rechts. Dortmunds Kevin Großkreutz hingegen scheint für Löw keine ernsthafte Option zu sein. Dafür rückte der Kollege Boateng in die Mitte. Endlich, mag er gedacht haben.

Benedikt Höwedes: Der 26 Jahre Schalker kommt eher aus den Untiefen der Wundertüte und feierte rechtzeitig vor dem Turnier sein Comeback als linker Außenverteidiger. Was er über seinen Arbeitsplatz in der Nationalelf denkt, ist nicht bekannt. Aber auch für ihn gilt, mehr noch als für den Kollegen Boateng: Außen oder innen - Hauptsache WM. Hat in seinem Verein zum bisher letzten Mal am 22. April am linken Ende der Viererkette gespielt - 2012. Insgesamt hat er das, wie der "Kicker" netterweise nachgeschlagen hat, nur acht Mal gemacht. In der DFB-Elf war es heute das dritte Mal. Aber offensichtlich hält der Bundestrainer mehr von ihm als vom Dortmunder Erik Durm, der wohl nur für den Fall der Fälle mit nach Brasilien geflogen ist. Und Höwedes? Wagte in seinem 22. Länderspiel einmal gar einen Hackentrick, machte auch sonst seine Sache ordentlich - auch wenn Nani, einer der besseren Portugiesen, mitunter einfach schneller war.

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Deutschland schlägt Portugal – beginnt jetzt ein neues Sommermärchen?

Philipp Lahm: Es heißt ja nicht zu Unrecht, dass der 30 Jahre alte Kapitän der Nationalelf und des FC Bayern auch an Tagen, an denen es nicht so gut für ihn läuft, nie wirklich schlecht ist. Sagen wir es so: Es war nicht sein bester Tag, er wirkte vor allem in der ersten Hälfte seines 107. Länderspiels als Solo-Sechser vor der Abwehr bisweilen überbeschäftigt und verlor ungewohnt oft den Ball. Nach der Pause war aber wieder alles in bester Ordnung, Lahm schnurrte unermüdlich über den Rasen und hatte die Sache im zentralen Mittelfelddreieck mit Sami Khedira und Toni Kroos im Griff.

Sami Khedira: Was der 27 Jahre alte Madrilene in seinem 47. Länderspiel sieben Monate nach seinem Kreuzbandriss für ein Laufpensum absolvierte, grenzt an ein mittleres Wunder. Nach der Pause schien es nur eine Frage der Zeit, wann Khedira nach zahlreichen kraftvollen Vorstößen in die Hälfte des Gegners entkräftet ausgewechselt wird. Aber nichts da, er hielt durch. Der Bundestrainer räumte hinterher ein: "Es war schon geplant, ihn nach 60 oder 70 Minuten zu ersetzen." Aber dann kam es anders. Weil Hummels gehen musste, blieb Khedira auf dem Platz. Viel passieren konnte aber eh nicht mehr. Um nicht zu sagen: Das Ding war gelaufen. Nur einmal glänzte er nicht: Als er nach acht Minuten aus 25 Metern nach einem mutmaßlich unfreiwilligen Zuspiel des portugiesischen Torhüters Rui Patricio das leere Tor nicht traf. Spätestens in dieser Partie aber haben alle gesehen, warum er der einzige Spieler im Löw'schen Kader ist, der nicht Lahm heißt und trotzdem den Stempel "unverzichtbar" auf der Stirn trägt.

Toni Kroos: Der 24 Jahre alte Münchner übernahm in seinem 45. Länderspiel ohne zu murren häufig die Aufgabe, dem angriffslustigen Kollegen Khedira den Rücken freizuhalten. Ansonsten sorgte er mit traumwandlerischer Sicherheit dafür, dass der Ball lief - und zwar so, wie er es wollte. Seinen Eckball nutzte Hummels zum 1:0. Und Kroos bereitete mit einem feinen Pass auf - natürlich - Müller zudem das dritte Tor seiner Mannschaft vor. Auch wenn er das vielleicht anders sieht: Weiter vorne ist er für das Spiel der DFB-Elf einfach wertvoller als auf der Position des Sechsers.

Mesut Özil: Sein Problem war, dass die meisten seiner Kollegen einen ausgezeichneten Tag erwischt hatten, was dazu führte, dass der 25 Jahre alte Mittelfeldspieler des FC Arsenal eher zu den schwächeren Akteuren einer starken Mannschaft gehörte. Er bemühte sich in seinem 56. Länderspiel, meist auf dem rechten Flügel, auch um den Ball, lief viel und hinterließ einen besseren, weniger apathischen Eindruck als zuletzt zum Beispiel im Testspiel gegen Kamerun. Aber davon, dass er in der Qualifikationsrunde zu dieser WM mit acht Treffern der erfolgreichste Torschütze der DFB-Elf war, ist momentan nicht viel zu sehen. Vielleicht hat er bei diesem Turnier noch eine Überraschung parat. Nach einer guten Stunde nahm Löw ihn aus dem Spiel, was Sami Khedira dazu veranlasste, quer über den Platz zu sprinten und seinen ehemaligen königlichen Vereinskollegen aufzumuntern. André Schürrle kam in die Partie und mit seinen 23 Jahren zu seinem 34. Länderspiel. Da war das Spiel gelaufen, aber es könnte Spiele bei dieser WM geben, bei denen dieser schnelle Schürrle noch mal richtig wichtig wird, wenn er von der Bank kommt. Wenn er zum Beispiel den Ball so schön und präzise zu Mario Götze passt wie kurz vor dem Ende der Partie.

Mario Götze: War die dickste Überraschung aus der Löw'schen Wundertüte. Viele hatten an seiner Stelle Schürrles André oder den ewigen Lukas Podolski erwartet. Aber nix da, Überraschung, der wuselige Supertechniker Götze durfte ran. Und der 22 Jahre alte Ex-Dortmunder wühlte sich unter Aufbietung all seiner Dribbelkünste in des Gegners Strafraum und holte in seinem 30. Länderspiel auch gleich den Elfmeter heraus, den der Kollege Müller dann zum Führungstreffer für die deutsche Mannschaft verwandelte. Nur mit dem Toreschießen hat er es momentan nicht so, da kann der Schürrle noch so schön passen. Aber das mit den Toren, das macht ja eh der Müller.

Thomas Müller: Nur so viel: Dieser Müller ist 24 Jahre alt, hat jetzt 50 Länderspiele absolviert und nach seinem dreifachen Torerfolg 20 Treffer auf seinem Konto. Und der Mann ist ein Phänomen. Deswegen haben wir ihm einen eigenen Text gegönnt. Für die letzten acht Minuten dieses bemerkenswerten Spiels kam für den besten Mann der Partie der 29 Jahre alte Lukas Podolski auf den Platz und zu seinem 115. Länderspiel. Auf seinem großen WM-Moment muss er noch warten. Aber es würde uns nicht wundern, wenn der noch kommt.

Quelle: ntv.de

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