Kritik an Brasiliens Superstar Neymars Egotour löst zu Hause Unmut aus
20.06.2018, 12:41 Uhr
Gegen die Schweiz suchte Neymar 28 Mal die Eins-zu-Eins-Situation.
(Foto: imago/Imaginechina)
Im Auftaktspiel gegen die Schweiz muss Brasiliens Superstar Neymar einiges einstecken. Doch anstatt mit dem Stürmer Mitleid zu haben, wird in der Heimat seine selbstsüchtige Leistung diskutiert. Dort sind die meisten von seinem Individualismus einfach nur genervt.
Fragt man einen Brasilianer, was "fominha" bedeutet, antwortet er: Einer, der dir den Ball nicht abgibt. Der aufs Tor schießt, obwohl alle besser stehen. Eben einer, der im Mannschaftssport Individualist ist. "Neymar, o fominha" - der Ballhungrige, liest, sieht und hört man seit Sonntag, seit dem 1:1 gegen die Schweiz, immer mehr in Brasiliens Medien. Im Auftaktspiel der Selecao bei der Fußball-WM in Russland war der Star von Paris St. Germain bei 10 der 19 Fouls der Eidgenossen das Opfer, verbrachte den Tag danach komplett mit den Physiotherapeuten, humpelte im Training nach nur wenigen Minuten vom Platz. Und bleibt bis zum Duell am Freitag in St. Petersburg mit Costa Rica (14.00 Uhr/ZDF, Sky und im n-tv.de Liveticker) das Frage- und Ausrufezeichen.
Doch statt lähmenden Entsetzens, wie nach seinem Wirbelbruch bei der Heim-WM 2014, weshalb er das Halbfinale mit dem 1:7-Debakel gegen Deutschland verpasste, macht sich am Zuckerhut eher Unmut breit. "Neymar entzieht sich der Philosophie Tites", klagt das Online-Portal "UOL". Die Tageszeitung Zero Hora kommentiert gar: "Brasiliens Star schadet dem Team mit seinen übertriebenen Dribblings."

Im Spiel gegen die Schweiz war Neymar bei 10 von 19 Fouls der Leittragende.
(Foto: imago/Sven Simon)
Doppelt so viele Eins-zu-eins-Situationen
Im September vergangenen Jahres, als der Stürmer gerade für unbegreifliche 222 Millionen Euro zu Paris St. Germain gewechselt war, stellte Barcelonas Präsident Josep Maria Bartomeu nüchtern klar: "Natürlich ist es besser, talentierte Spieler im Team zu haben. Für Barca ergibt sich aber nun die Möglichkeit, mit dem Dreigestirn Messi-Suarez-Neymar zu brechen und auf ein mannschaftsdienlicheres Spiel zu setzen."
Wie es auch Selecao-Coach Tite nach langen Jahren der "Neymardependencia", der Abhängigkeit von einem durch Werbefilmchen, Haarstyling und Promi-Liebschaft mit dem nationalen Fernsehsternchen Bruna Marquezine aufgebautem "Produkt", fordert. Ohne Neymar gewann die Selecao 2018 den schweren Test bei WM-Gastgeber Russland (3:0) und die Revanche gegen Deutschland (1:0), mit Toren von ihm gegen Kroatien (2:0) und Österreich (3:0).
Gegen die Schweiz suchte Neymar 28 Mal die Eins-zu-Eins-Situation, mehr als doppelt so viel wie die Nummer zwei in der Statistik, Willian. Die Konzentration der Verteidigung auf ihn schafft theoretisch Lücken, praktisch bleiben aber er, sein Körper und damit auch der Ball zu oft an den gegnerischen Beinen hängen.
Kann die Verletzung ihn stoppen?
Vor der WM äußerte bereits Altstar Careca Unwillen. "Ich denke, er sollte kollektiver spielen, weil das es dann auch ihm leichter macht, eine bessere Leistung zu zeigen. Er wird gejagt und muss deshalb die Verantwortung abgeben", sagte der zweimalige WM-Teilnehmer. Aber Neymar verteidigt sich: "Sie treten mich, ich spiele Fußball. Sie provozieren mich, aber das kann ich auch, auf meine Art und Weise, mit dem Ball", äußert der PSG-Superstar eher uneinsichtig.
Ob ihn jetzt die Verletzung, als Folge der Operation des gebrochenen rechten Fußes oder nach dem Pressschlag auf den Knöchel des schon lädierten rechten Beines, anders als viele seiner Gegenspieler stoppen kann, werden die nächsten Tage zeigen.
Quelle: ntv.de, Heiner Gerhardts, sid