DFB-Team vor WM-Auftakt Wie viel taktische Flexibilität braucht Löw?
17.06.2018, 12:34 Uhr
Die Auswahl an guten Spielern ist groß für Löw.
(Foto: imago/Sven Simon)
Fußball-Bundestrainer Joachim Löw gibt sich in Sachen Taktik kompromisslos, sortiert deswegen sogar den jungen Leroy Sané aus. Doch die ersten WM-Spiele der Favoriten Frankreich und Argentinien zeigen, dass Löw weiterdenken sollte.
Die Fußball-Weltmeisterschaft hat in den ersten Tagen eindrucksvoll verdeutlicht, dass gerade den Trainern ausgewiesener Titelkandidaten ein wenig der Mut fehlt. Da setzen Frankreich oder Argentinien auf minimale Kreativität im Mittelfeld und unpassende Spielerrollen, obwohl sie erwartungsgemäß auf mauernde Teams trafen. Gerade das sollte Bundestrainer Joachim Löw noch einmal den Denkanstoß geben, dass er eventuell einen Plan B oder C benötigt.
Zuletzt erweckte Löw jedoch den Eindruck, dass er sich auf ein System festgelegt hätte und dieses bis zum Ende durchziehen möchte. Dieser taktischen Kompromisslosigkeit fiel wohl auch Leroy Sané zum Opfer, der schlichtweg nicht ins System passt. Jenes System ist nämlich vor allem darauf zugeschnitten, dass die Angriffe über Toni Kroos und damit über die halblinke Seite vorbereitet werden. Der Ball soll zwischen die Linien des Gegners gelangen. Gewandte Akteure wie Mesut Özil und Marco Reus, die sich clever zwischen Abwehr und Mittelfeld bewegen können, sollen dort die Zuspiele erhalten und Torschüsse kreieren.
Doch was passiert, wenn die gegnerische Mannschaft beispielsweise Kroos doppelt oder mit aggressivem Pressing den Spielaufbau der Deutschen direkt unter Druck setzt? Wie könnte Löw darauf reagieren? Der Bundestrainer lieferte in der jüngeren Vergangenheit zwei Ansätze, auf die er eventuell zurückgreifen sollte.
Rechte Seite beackern
Der erste Ansatz datiert zurück auf den Sommer 2017, als Deutschland den Confed Cup in Russland für sich entschied. Damals nahm Löw allenfalls eine aufpolierte B-Elf mit und probierte einiges aus. Etwa forcierte er auf der rechten Seite viele sogenannte Überladungen. Das bedeutet, der Flügel wurde bewusst mit mehreren Spielern auf engem Raum beackert, um den gegnerischen Defensivverbund zum Verschieben zu zwingen und die andere Seite zu öffnen. Anschließend kombinierte sich Deutschland nach links und nutzte mit schnellen Pässen den Freiraum.
Gerade Rechtsverteidiger Joshua Kimmich wie auch Mittelfeldspieler Leon Goretzka und Flügelläufer Julian Brandt waren an diesen Überladungen beteiligt und zeigten ihr spielerisches Potenzial. Doch im aktuellen System wäre dies auf der rechten Seite, wo aller Voraussicht nach Kimmich und Thomas Müller im Auftaktspiel gegen Mexiko agieren werden, nicht der Fall. Stattdessen gehen die Angriffe über die linke Seite, auf der jedoch mit Jonas Hector kein ausgewiesener Ballbesitzspezialist spielt. Ein Seitenwechsel in Form einer taktischen Umstellung könnte da Gold wert sein.
Dreierkette für Defensivpräsenz
Was Löw ebenfalls beim Confed Cup und auch in den darauffolgenden Monaten testete, war die Dreierabwehrkette. Die Aufstellung eines zusätzlichen zentralen Verteidigers hat natürlich Auswirkungen auf die gesamte Formation. Zuletzt nahm Löw dafür einen zentralen Mittelfeldspieler heraus und ließ im 5-2-3/3-4-3 spielen. Özil wurde deshalb sogar auf der Position neben Kroos getestet, was für den Arsenal-Profi gewiss keine gewohnte Rolle ist. Er könnte auch wie schon bei der WM 2014 auf den Flügel wechseln und dort einen verkappten Außenstürmer geben.
Wichtiger sind allerdings die grundsätzlichen Eigenschaften der genannten Formation. Denn mit dem zusätzlichen Verteidiger wird nicht nur Präsenz an der eigenen Abseitsgrenze geschaffen, wenn der Gegner einen Angriff fährt, es ergeben sich auch Möglichkeiten im Spielaufbau. Beispielsweise könnte Mats Hummels häufiger seine bekannten Vorstöße ins Mittelfeld starten. Dagegen spricht jedoch, dass Kroos es eigentlich vorzieht, sich selbst nach hinten fallen zu lassen. Stehen dort aber bereits drei Verteidiger, wird der Platz langsam eng und das Mittelfeld verwaist.
Negative Erfahrungen in der Vergangenheit
Doch genau darauf sollten derartige Formationswechsel abzielen: Die bekannten Bewegungsmuster werden bewusst vernachlässigt, um etwa einen Überraschungseffekt zu schaffen oder auf den Gegner und dessen Taktik zu reagieren. Diese Flexibilität braucht es normalerweise. Allerdings hatte Löw bei der WM vor vier Jahren mit einem strikten Konzept, das er während des Turniers allenfalls marginal anpasste, großen Erfolg.
Allein das kann ein Argument für den Bundestrainer sein, sich auf ein System festzulegen und dieses bis zum Ende zu verfolgen. Zumal er bei den Europameisterschaften 2012 und 2016 anpassungswilliger und experimentierfreudiger wirkte, aber bis zum Ausscheiden nicht den richtigen Kniff fand. Insofern bleibt es ein Drahtseilakt für Löw. Denn eventuell wird er durch Verletzungen oder Formkrisen zu Anpassungen gezwungen. Vielleicht läuft es schlichtweg nicht für die deutsche Mannschaft. Schon deshalb ist es gut, Plan B und C zu haben.
Quelle: ntv.de