Olympiasause mit Botschaft und Pfiffen Der Anfang vom Ende steht Rio gut
06.08.2016, 08:52 Uhr
Die Feier zur Eröffnung der Olympischen Spiele in Rio de Janeiro endete mit einem großen Feuerwerk.
(Foto: REUTERS)
Ganz viel Feuerwerk und Funktionärspathos, noch mehr Militär, ein wenig Eskapismus und der Weltsport als Weltretter: Zum Start der Olympischen Spiele feiert sich Rio de Janeiro angenehm unaufgeregt. Pfiffe bleiben nicht aus, gelten aber nicht Russland. Das IOC verpasst eine große Geste.
Die ganze Herrlichkeit, sie war ganz plötzlich vorbei. Dabei hatte die Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele in Rio de Janeiro eben erst begonnen. Doch nach einem recht wunderbaren Wirrwarr aus Geschichte, Tönen, Tänzern, Farben und Formen schwappten plötzlich Gradzahlen, Diagramme, Ozeanfluten und grelle Achtungszeichen durch den Stadioninnenraum. Als Warnung, dass der echten Welt, nicht der olympischen, der selbstverschuldete Kollaps droht.
Olympia als Vorkämpfer gegen den Klimawandel vor angeblich drei Milliarden TV-Zuschauern - das dürfte manch US-Präsidentschaftskandidaten mindestens eine Wutfalte auf die Stirn getrieben haben. Den dauerkriselnden Olympioniken von Präsident Thomas Bach wird dieses Image nach den Winterspielen im subtropischen Sotschi derweil mindestens so gut gefallen wie der Name von Bhutans Fahnenträger: Karma Karma. Es sind schwere Zeiten für Brasilien und den Weltsport, man nimmt was man kriegt. Keine Ironie.
Die Eröffnungsfeier der 31. Olympischen Spiele im weiträumig abgesperrten und zu Land und Luft massiv bewachtem Maracana bot Stadt, Nation und IOC vier Stunden lang eine angenehme Dosis Eskapismus. Ablenkung von Dopingschlagzeilen, enttäuschten Versprechen und Olympia-Apathie, die doch eigentlich Euphorie sein sollte. 2008 war der Olympiastart in Peking in ein gigantomanisches Perfektionsfestival ausgeartet, London vier Jahre später war dann einfach nur cool.
Historie, Nachdenklichkeit und Selbstironie
Rio feierte den Start in seine olympische Premiere, indem sich ins Maracana ganz unaufgeregt ein Meer aus brasilianischer Lebenslust ergoss, Reflektion der eigenen zerrissenen Historie, Nachdenklichkeit und Selbstironie inklusive. Frei von Kitsch, dafür mit den Gefahren des Klimawandels als beklemmendem Kontrapunkt vor dem Einmarsch der Athleten, der mit der Olympia-Heimat Griechenland begann.
IOC-Präsident Bach wurde von den Brasilianern im nicht ausverkauften Maracana freundlich begrüßt. Brasiliens umstrittener Interimspräsident Michel Temer versteckte sich und verzichtete darauf, eigens im Stadion vorgestellt zu werden. Die Pfiffe sollten sich die Brasilianer für die frühere Kolonialmacht Portugal aufheben, sie taten es. Als Temer später doch ans Mikrofon treten und die Spiele offiziell eröffnen musste, erstickte die Stadionregie sofort aufbrandende Pfiffe und Buhrufe mit lautem Feuerwerk.
Freundlicher wurde Russland in Rio empfangen. Als die Delegation hinter ihrer Fahrradrikscha und Volleyballer Sergei Tetiukhin einmarschierte, brandete sogar Jubel auf. Während mindestens 271 russische Athleten in Rio an den Start gehen werden, wird Whistleblowerin Julia Stepanowa fehlen. Ihr Start wäre eine Geste gewesen, ihr Bann schadet den Rio-Spielen mehr als alle anderen Hiobsbotschaften zusammen. Aber sie doch noch für die Spiele zuzulassen, hätte vom IOC nach zuvor abenteuerlichen Verrenkungen eine Größe verlangt, die es unter Thomas Bach nicht hat.
Nein, Pelé entzündete nicht die Flamme
Mittelgroß gefeiert wurde im Maracana das deutsche Team um den äußerst engagiert die Fahne tragenden Timo Boll, das gut anderthalb Stunden vor den Russen einmarschiert war. Oder Tongas Fahnenträger Pita Nikolas Aufatofua. Mehr Applaus als der Taekwondo-Kämpfer, der mit freiem, eingeölten Körper die Massen begeisterte, bekamen nur die wild ins Stadion tanzenden und zappelnden Brasilianer.

Flüchtlinge mehrere Länder laufen als eigene Mannschaft hinter der Olympischen Fahne ein.
(Foto: REUTERS)
Für die blieb bis kurz vor Schluss nur die Frage offen, die sich eigentlich nie gestellt hatte: Der große Pelé, wer sonst hätte schon das olympische Feuer bei den ersten Spielen in Brasilien entzünden sollen? Doch Pelé kam nicht. Seine schlechte Gesundheit ließ den historischen Akt von Brasiliens größtem Sportler beim größten Sportereignis der Welt im legendären Maracana nicht zu, so die offizielle Sprachregelung. Brasilianische Medien hatten freilich auch gemutmaßt, seine engen geschäftlichen Verbindungen mit einem falschen Kreditkartenunternehmen könnten ein ebenso großer Hinderungsgrund gewesen sein.
Stattdessen entzündete der Marathonläufer Vanderlei de Lima das olympische Feuer. Zwölf Jahre, nachdem er beim olympischen Marathon in Athen von einem Zuschauer um den Sieg gebracht worden war, erlebte er doch noch seinen goldenen Olympia-Moment. Es wird eine der Geschichten sein, die Rio überdauern.
Befremden bei den Brasilianern
Aber Rio, der "beste Platz der Welt hier und jetzt", wie Brasiliens NOK-Chef Carlos Arthur Nuzman in einer Rede voller Trotz und Stolz ins Maracana rief? Die fast penetrante Betonung olympischer Nachhaltigkeit bei der Eröffnungsfeier, die grünen Olympiaringe aus Bäumen, ein olympisches Feuer auf Sparflamme, das alles dürfte auf viele Brasilianer angesichts fast aller gebrochenen Umweltversprechen seltsam suspekt gewirkt haben. Fast so, wie in der immer am Verkehrsinfarkt jonglierenden Metropole von dahingleitenden Medien- und Funktionärsshuttles auf leeren Olympic Lanes überholt zu werden. Am Nachmittag vor der Eröffnungsfeier hatten sich tausende Cariocas dem Wunsch ihres Bürgermeister Eduardo Paes widersetzt und waren auf die Straße gegangen. Sie protestierten gegen Temer, aber auch gegen die Olympischen Spiele, schwere Zeiten eben.
Olympia in Rio, das galt bei der erstmaligen Vergabe der Spiele nach Südamerika im Jahr 2009 als Brasiliens finaler Schritt zur Weltmacht. Nun, nach einem Jahrzehnt wenig beglückender Großereignisse seit den Panamerica Spielen 2007, nach dem aktuellen Sturz in eine wirtschaftliche und politische Krise, dürften diese Olympischen Spiele vorerst Brasiliens Abschied aus dem weltweiten Rampenlicht einleiten.
Der Anfang vom Ende, er ist Brasilien geglückt. Zum Abschluss der Eröffnungsfeier durften natürlich die Samba-Schulen und tonnenweise Feuerwerk nicht fehlen. Der diffuse Dunst hing danach noch lange im Maracana.
Quelle: ntv.de