Felix glänzt auch neben der Bahn Diese Feministin zeigt es Nike - und der Welt

Allyson Felix gewinnt Bronze - und so viel mehr.

Allyson Felix gewinnt Bronze - und so viel mehr.

(Foto: imago images/UPI Photo)

Allyson Felix ist nicht die Erste, die bei diesem 400-Meter-Finale über die Ziellinie läuft. Sie gewinnt nicht ihre siebte olympische Goldmedaille. Doch die US-Amerikanerin gewinnt neben Bronze so viel mehr: den Kampf gegen alle Widerstände, den Kampf für Millionen Frauen.

In diesem Finale spricht alles gegen Allyson Felix. Im Finale über 400 Meter ist die US-Amerikanerin mit 35 Jahren die Älteste. In den Vorrunden ist nur eine der acht Frauen, die es in das Finale geschafft haben, langsamer gelaufen als die Frau aus Kalifornien. Neben ihrer Teamkollegin Quanera Hayes ist sie die einzige Mutter, ihre Kinder wurden beide im Jahr 2018 geboren. Und Felix trägt keinen der viel gehypten Superschuhe, die gar als ein Grund für die Fabel-Weltrekorde über 400 Meter Hürden bei den Frauen und Männern angeführt werden.

Doch am Ende ist es Felix, die hinter der hochfavorisierten Shaunee Miller-Uibo von den Bahamas und Marileidy Paulino aus der Dominikanischen Republik Bronze gewinnt. Die 35-Jährige hat sich auf den letzten 20 Metern in einem engen Zweikampf gegen die Jamaikanerin Stephenie Ann McPherson um 15 Hundertstel durchgesetzt. Gegen alle Widerstände, mit all ihrem Willen, ihrem Glauben an sich selbst, ihrem Stolz - in ihren eigenen Spikes. Saysh heißt die Firma, die sie gemeinsam mit ihrem Bruder Wes gegründet hat. Nicht, weil beide glaubten, es besser zu können als Nike und Co., sondern weil diese Schuhe ein Statement sind. Ihre eigene Art des Protests, des Kampfes - gegen Nike.

Denn der Sportartikelhersteller, dessen Kleidung Felix in Tokio trägt, tragen muss, weil Nike eben die Kleidung der USA stellt, hat es sich mit der Sprinterin verscherzt. Lange Jahre ist die Firma ein Sponsor von Felix, zusammen entwickeln sie sogar einen Laufschuh aus dem 3D-Drucker, das Ergebnis hält bei den Olympischen Spielen 2016 in Rio Einzug auf der Tartanbahn. Felix holt in ihnen Silber im Einzel sowie Gold in der 4x400- sowie 4x100-Meter-Staffel. Doch dann wird sie zwei Jahre später Mutter. Felix ist da 33 Jahre alt, sie hat alles, wirklich alles gewonnen. Sechsmal olympisches Gold, 13 WM-Titel und vieles mehr. Die Geburt ihrer Tochter Camryn soll nicht das Karriereende sein.

Ein Überlebenskampf für Mutter und Tochter

Es ist die härteste Zeit ihres Lebens. Eine, die alles in ein Davor und ein Danach teilt. Sie erleidet eine Schwangerschaftsvergiftung, Camryn muss in der 32. Schwangerschaftswoche per Notkaiserschnitt auf die Welt gebracht werden. Mutter und Tochter kämpfen um ihre Leben. Camryn wiegt nur 1,7 Kilogramm, ist auf der Frühgeborenen-Station an Maschinen angeschlossen. Felix selbst liegt ebenfalls vier Wochen im Krankenhaus. Die junge Mutter erzählt anschließend, dass sie die Schreie anderer Frauen nicht vergessen kann, dass sie damals nicht weiß, ob sie je zurückkehrt. Beide überleben, doch nicht nur dieses Drama lässt die Athletin wachsen.

Es ist auch das, was Nike zuvor gewagt hatte. Als Felix mitteilt, schwanger zu sein, bietet ihr das Unternehmen einen neuen Vertrag an - mit 70 Prozent weniger Gehalt. Zudem solle sie möglichst schnell wieder international erfolgreich sein - trotz Mutterschaft und des dramatischen Überlebenskampfes. Die Zusammenarbeit endet, Felix verschafft ihrem Ärger Luft. Sie soll bei einer Nike-Kampagne für die Fußball-Weltmeisterschaft der Frauen 2019 mitwirken. Nicht mit Felix: "Ich kann hier nicht sitzen und nichts sagen, wenn ich gefragt werde, Teil dieser Kampagne zu sein, die kleinen Mädchen erzählt, sie können alles. Und ich werde nicht dabei unterstützt, mein eigenes Kind zu haben."

Im Mai 2019 konkretisiert sie ihre Kritik in einem Artikel für die "New York Times": "Wenn wir Kinder bekommen, dann riskieren wir Gehaltseinbußen von unseren Sponsoren während der Schwangerschaft und danach. Es ist ein Beispiel in einer Sportindustrie, die immer noch meistens von Männern und für Männer gemacht wird." Es ist nicht mehr nur der Kampf für sich selbst, sondern der für Frauenrechte. Mutterschutz? Kommt für Nike nicht infrage. "Wenn ich, als eine ihrer am meisten vermarkteten Athletinnen, dies nicht bekomme, wer dann?" Als auch die amerikanische Mittelstreckenläuferin Alysia Montano die Missstände öffentlich macht - und sogar mit deutlichem Schwangerschaftsbauch noch Wettkämpfe bestreitet - ändert Nike seine Regeln.

"Du bist so viel mehr als genug"

Da hat sich Felix bereits abgewendet. Geht sie nicht offiziell für die USA an den Start, trägt sie Trikots und Hosen von Athleta. Diese zum Konzern GAP gehörende Marke hat sich den Frauen verschrieben. Athletas Grundsatz: Bilder der Frauen, mit denen die Firma wirbt, werden nicht bearbeitet. Sie zeigen Körper wie sie sind. Auch die Super-Turnerin Simone Biles ist von Nike zu Athleta gewechselt. Es geht um Selbstbewusstsein, Selbstbestimmung, darum andere Frauen zu empowern. Zu zeigen, dass es völlig okay, ausreichend und gut ist, wie man ist.

Wenige Stunden vor dem Finale schreibt Felix einen langen Eintrag bei Instagram: "Ich teile diese Nachricht nicht für mich. Ich schreibe sie für alle anderen Sportler, die sich über ihre Medaillenanzahl definieren. Ich schreibe dies für alle Frauen, die ihren Wert danach definieren, ob sie verheiratet sind oder Kinder haben. Ich schreibe es für alle, die denken, dass die Menschen, zu denen man im Fernsehen aufschaut, anders sind als man selbst. Ich habe Angst, genau wie du, aber du bist so viel mehr als genug. Nimm also die Last der Erwartungen ab, die alle anderen an dich stellen. Weiß, dass auf der anderen Seite deiner Angst die Freiheit liegt. Geh da raus und sei mutig mit deinem Leben, denn du bist deiner Träume würdig."

Allyson Felix ist ein Vorbild für so viele. Sie hat mehr Medaillen gewonnen als jede andere Läuferin. In Tokio bestreitet sie ihre fünften Olympischen Spiele. Die Strecken sind über die Jahre länger geworden, von den 200 Metern wechselt sie über die Jahre zunehmend zu den 400 Metern, der Strecke, bei der es nicht mehr ganz so um Explosivität geht, sondern um Ausdauer und Stehvermögen, Durchhaltewillen und das Überwinden von inneren Widerständen. Felix ist mit 1,68 Meter nicht die größte, ihr raumgreifender Laufschritt aber sorgt stets für Verzückung. Elegant, fast schwebend, wie keine andere.

Medaillen? Längst nicht mehr so wichtig

Es ist der Schritt, der sie in Tokio zu Bronze trägt. Einem Sieg für Felix. Sie unterliegt in diesem Lauf mit 49,46 Sekunden zwar wie 2016 Miller-Uibo (48,36) - und diesmal deutlich mit 1,1 Sekunden und nicht wie vor fünf Jahren um sieben Hundertstel - aber unter völlig anderen Voraussetzungen. Felix ist nicht gegen Miller-Uibo angetreten, sie hat für sich selbst gekämpft und für viele andere Frauen. Sie hat Bronze gewonnen - nicht Gold oder Silber verloren. "Ich habe das Gefühl, dass ich mich von allen anderen Spielen weit entfernt habe. Dieses Mal ist es einfach anders", sagte Felix laut ESPN nach dem Rennen.

Gold gewinnt sie in Tokio dann trotzdem noch - in der 4x400-Meter-Staffel. Wie bisher immer bei ihren vorherigen vier Olympischen Spielen. Die USA dominieren diesen Wettbewerb, es ist Gold Nummer sieben für Felix. Mit elf Olympia-Medaillen ist sie die erfolgreichste Leichtathletin aller Zeiten, mit dem Staffel-Gold sogar an ihrem großen Landsmann Carl Lewis vorbeigezogen.

Es wird für Felix nur noch zweitrangig sein: "Manchmal klingt es wie ein Klischee, aber es geht wirklich um mehr als nur darum, dass ich da draußen laufe. Es geht mir nicht so sehr darum, noch mehr Medaillen zu gewinnen. Das Wichtigste für mich war, zurückzukommen."

Zurückzukommen, gegen alle Widerstände. In ihren eigenen Schuhen. Nur für sich selbst. Für ihre Tochter Camryn. Und für Millionen Frauen.

Quelle: ntv.de

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