
Das "Monster" kann seicht, aber auch furchteinflößend sein.
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Glitzerndes Meer, Leben auf einem Schiff, fernab des Trubels: Die Surferinnen und Surfer tragen ihren Olympischen Wettbewerb satte 15.700 Kilometer entfernt von Paris aus. Doch es ist nicht alles so idyllisch, wie es scheint. Die Wellen sind lebensgefährlich, die Umweltschützer vor dem Beginn empört.
Der Blick aus dem Fenster verspricht Idylle. Die Sonne scheint, das Wasser glitzert. Die Turnerinnen Sarah Voss und Pauline Schäfer teilten ihren Blick aus dem Olympischen Dorf in Paris. Das Team Deutschland hat ein Haus direkt am Fluss ergattert, auf der Dachterrasse lässt sich der Trubel auf der anderen Seite im Dorf ausblenden. Das ist aber nichts gegen das Paradies, das zwei Athleten aus dem deutschen Team exklusiv haben: Tim Elter und Camilla Kemp leben während der Olympischen Spiele 15.700 Kilometer von Paris entfernt auf einem Schiff.
Die beiden treten im Surfen für Deutschland an. Und das findet in Teahupo'o auf Tahiti im Überseegebiet Französisch-Polynesien statt. Es ist der exklusivste Austragungsort der Spiele. Surfen feierte erst vor drei Jahren bei den Corona-Spielen von Tokio seine Premiere. Auf Tahiti gibt es nur zwei Wettbewerbe, sowohl bei den Frauen als auch bei den Männern werden Gold, Silber und Bronze auf dem Shortboard vergeben.
Die "Aranui 5", auf der Elter, Kemp und ihre Konkurrenten untergebracht sind, ist einmalig bei Olympischen Spielen. Das Schiff liegt etwa acht Kilometer nordwestlich von Teahupo'o vor Anker, verfügt über einen Tattoo-Salon, acht Gästedecks, ein Spa und einen Fitnessraum. Laut der Website hat das Schiff Platz für etwa 230 Passagiere. Eine zwölftägige Pazifikreise kostet normalerweise zwischen 3000 und 8000 Euro. Während Olympia liegt es fest - die Surfwettbewerbe finden vom 27. bis 31. Juli statt.
Geopolitische Entscheidung?
Der Weg zu den Spielen in Teahupo'o ist lang - von der Distanz zu Frankreich gesehen und von den Problemen, die die Vergabe des Wettbewerbs nach Tahiti mit sich brachte. Fünf Orte unter französischer Gerichtsbarkeit hatten sich beworben: Biarritz, Lacanau, Les Landes, La Torche und Teahupo'o. Mit Ausnahme von Teahupo'o liegen alle Standorte auf dem französischen Festland. "Als Französisch-Polynesien sich für die Organisation der Surfwettbewerbe bewarb, waren wir direkt von der Qualität dieses Ortes, dieser mythischen Welle, begeistert", schwärmte Tony Estanguet, der Chef des Organisationskomitees der Spiele, im polynesischen Fernsehen.
Die Geopolitik dürfte eine Rolle bei der Entscheidung gespielt haben. Für mehrere Länder war Tahiti über Jahrhunderte ein Ziel von Expeditionen, der von Frankreich beauftragte Seefahrer Louis Antoine de Bougainville erreichte Tahiti dann erstmals 1768 und beanspruchte die Insel für Frankreich. Auch die legendäre Expedition der "Bounty" führte nach Tahiti, nach der Abreise kam es zur Meuterei. Mitte des 19. Jahrhunderts erklärte Frankreich die Insel zur Kolonie, sie liegt strategisch günstig für Militärbasen. Ihr Reichtum an Perlen war von besonderem Interesse, da diese in Europa und Asien begehrt waren. Frankreich machte sich in den zahlreichen Überseegebieten der Sklaverei an Einheimischen schuldig. Erst 1977 erhielt Französisch-Polynesien eine Teilautonomie, seit 2003 ist es ein Überseegebiet Frankreichs. Vollständig unabhängig ist die Inselgruppe noch immer nicht, seit 2013 gehört sie zur Liste der nicht selbstverwalteten Gebiete der Vereinten Nationen.
Für die Entscheidung der Olympia-Macher wurden Bedenken über die sensible Umwelt und der Athletensicherheit beiseitegeschoben. Die meisten Teilnehmer, heißt es, kämen ohnehin aus Nordamerika oder Ozeanien, hätten es in den Südpazifik also nicht so weit.
"Kann todesgefährlich sein"
In Teahupo'o findet jährlich ein Wettkampf der World Surf League statt, der Ort ist ein Paradies für Surfer, hat so traumhafte wie gefährliche Wellen. "Es kann eine wunderschöne Erfahrung sein. Es kann aber auch todesgefährlich sein", sagt Kemp. "Es ist die kräftigste Welle, die ich je gesurft bin. Massen von Wasser ziehen einen nach unten." Kemp gibt zu, sie habe "teilweise Angst" vor dem Ungetüm. Bei einem Trainingssturz aufs Riff verhinderte ihr Helm Böses. Auch Elter hat Respekt und verdeutlicht, was bei Kemps Sturz hätte passieren können: "Wenn man stürzt, ist die Chance recht hoch, dass man aufs Riff geschleudert wird, sich Schnitte holt, im schlimmsten Fall Brüche oder sogar den Tod."
Denn der Schein des friedlichen Wassers aus dem Tiktok-Video von Elter trügt. Es gibt an der Küste Tahitis ein "Monster". Die Welle wird als Athleten verschlingendes Ungeheuer bezeichnet. Sie forderte vor einigen Jahren sogar schon ein Menschenleben - und gilt doch als Traumziel eines jeden Surfers. 16 Jahre lang durften Frauen in Teahupo'o nicht an Surfwettbewerben teilnehmen. Begründet wurde das mit der Gefahr wegen der rasierklingenscharfen Korallen. Erst seit 2021 sind sie zurück im Südpazifik, dank der Lobbyarbeit von Szenestars wie Carissa Moore oder Tatiana Weston-Webb.
Ärger bei den Einheimischen
So begeistert Estanguet von der Bewerbung Teahupo'o schwärmte, so unzufrieden war die Bevölkerung mit dem Zuschlag. Niemand habe nach der Meinung der Einheimischen gefragt, sagte Astrid Drollet, Generalsekretärin der Umweltschutzorganisation Vai ara o Theahup'o dem Deutschlandfunk. "Wir waren zu diesem Zeitpunkt weder dafür noch dagegen, weil uns niemand über die Vor- und Nachteile aufgeklärt hat. Zu Hause wurde die lokale Bevölkerung nicht in den Prozess mit eingebunden."
Ein Unding für die Einwohner, die ihre Natur über alles schätzen und ihre Lebensweise schützen wollen. Unberührtes Land, kristallklares Wasser - das ist wichtiger als der Ruhm, den die Olympischen Spiele mit sich bringen könnten. "Es war zu viel für uns, eine große Veränderung. Und das gerade mal für etwa eine Woche von Wettbewerben", sagte Peva Levy, der ebenfalls Vai Ara o Teahupo'o angehört, der AP.
An der Küste im Südpazifik ticken die Uhren anders als im 15.700 Kilometer entfernten Paris. Obwohl es einer der berühmtesten Surfspots der Welt ist, gibt es keinen einzigen Surfshop und nur eine Snackbar in Teahupo'o. Im Bistro gibt es Fisch, der am Morgen gefangen wurde. Plötzlich soll das große Olympia in diese Welt einfallen? Das Schiff für die Athleten ist eine Lösung, dazu sind die allermeisten der weiteren Unterkünfte - etwa für Kampfrichter oder Medienleute - in Privathäusern der Einheimischen.
Geplanter Turm im Korallenriff sorgt für Empörung
Doch die Sorgen hören nicht auf der Insel auf, sie betreffen auch das Wasser. "Die Lagune ist unser Kühlschrank", sagte der 22-jährige Mormon Maitei der AP. "Wir bekommen daraus unser Essen." Und auch die - von den Surfern so begehrte - Form der Wellen könnte beeinträchtigt werden, wenn das Riff rissig und die Gestalt verlieren würde, auf die sich das Formen der Wellen stützt. "Wenn Risse entstehen und es auseinanderbricht, wird es hier keine Wellen mehr geben, es wird für uns zu Ende sein", so Maitei.
Umso größer war die Aufregung, als für die Spiele plötzlich der bestehende Turm für die Wertungsrichter an der Küste nicht mehr ausreichen sollte. Er war Anfang der 2000er-Jahre aus Holz gebaut worden, wird seitdem bei allen Wettbewerben genutzt. Mit einem Mal aber sollte einer aus Aluminium her - und dessen Bodenverankerung mitten in die Korallen gebohrt werden. Umweltschützer waren entsetzt, fürchteten die Zerstörung der Korallenriffe. Im Oktober 2023 gab es einen Protest von mehr als 400 Einheimischen und Surfer, weltweit unterzeichneten mehr als 250.000 Menschen eine Petition.
Im Dezember bestätigten sich Befürchtungen, als ein Lastkahn auf dem Weg zur Baustelle auf dem Riff Abschnitte von Korallen zerstörte. Ein Video von den Schäden verbreitete sich in den sozialen Medien und löste einen Aufschrei der Empörung aus. Beim Bau des neuen Turms gab es schließlich Kompromisse, er ist kleiner und leichter als ursprünglich geplant.
Zu den Olympischen Spielen scheint nun alles im Reinen. Und bei manchen Einheimischen hat sich auch der wirtschaftliche Vorteil im Denken durchgesetzt. Hausbesitzer wie Gregory Parker können als Vermieter Geld machen, so wie während des jährlichen Stopps der Surf-Tour, wo er notfalls auch selbst aus seinem Haus auszieht, wie er der AP sagte. "Es ist nicht schwer für zwei Wochen", sagt er. "Und angesichts all des Geldes, das ich verdiene, ist es die Sache wert."
Dass die Olympischen Spiele auf Tahiti etwas ganz Besonderes sind - nicht nur wegen des "Monsters" - haben die Sportlerinnen und Sportler bei ihrer Ankunft in Teahupo'o erlebt. Von Einheimischen wurden sie nach traditioneller Zeremonie empfangen und eingeladen, die lokale Kultur und das Erbe der Insel zu feiern. Das haben die Surferinnen und Surfer bei den Olympischen Spielen allen anderen Teilnehmenden voraus.
Quelle: ntv.de