Neuer Radsportfeind Nr. 1 Stürze, Drama, Motor-Doping?
09.08.2016, 19:09 Uhr
Motor-Doping? Ein heikles Thema im Profi-Radsport.
(Foto: dpa)
Die Straßenradrennen werden zum Drama, lebensgefährliche Stürze überschatten die olympischen Wettbewerbe. Dem Weltverband kommt das womöglich nicht unrecht. So gerät ein anderes Reizthema in den Hintergrund.
Im Rahmen, in der Felge, unter der Trinkflasche, in einem Rennrad, Mountainbike, Bahnrad: Hilfsmotoren könnten an vielen Orten versteckt sein. In Rio de Janeiro findet man sie auch nach den härtesten Straßenrennen der Olympia-Geschichte bislang nur im Kopf. Dem von Mark Barfield. Als Technischer Manager des Weltverbandes UCI ist er bei den olympischen Wettbewerben verantwortlich für die Zielfahndung nach den winzigen Antriebseinheiten mit dem riesigem Aufregerpotenzial.
Der Radsport ist der Zombie des Weltsports, keine Disziplin wurde in den vergangenen Jahren so oft für tot erklärt. Doch ein Fall von Motor-Doping bei den Olympischen Spielen wäre selbst für in diesem skandalgestählten Sport ein Sündenfall neuer Dimension. Das Thema hat profanem Doping den Rang als Radsportfeind Nr. 1 abgelaufen, manche Experten befürchten: Es könnte der Tod des Radsports sein.
UCI-Motorexperte Mark Barfield glaubt: "Es gibt ein sehr reales Potenzial für technologischen Betrug. Aber ich glaube nicht, dass es in unserem Sport auf höchstem Niveau praktiziert wird." Technologischer Betrug? Barfield legt wie UCI-Pressesprecher Louis Chenaille großen Wert darauf, den Begriff Motor-Doping zu vermeiden. "Es ist etwas anderes als Doping", betonen beide in Rio getreu der offiziellen UCI-Sprachregelung. Anders? "Eine andere Form des Betrugs." Auch wer dieser Spitzfindigkeit nicht folgen mag, versteht: Nach all den Skandalen der vergangenen Jahrzehnte will sich die UCI zumindest in dieser Debatte den Begriff Doping ersparen.
Verkappte E-Bikes im Profi-Bereich?
Sprengkraft birgt das Thema auch so. E-Bikes sind seit Jahren der größte Wachstumssektor in der Radindustrie, sehr positiv nennt Barfield diese Entwicklung. Sie mache die Sportart mehr Leuten zugänglich, Älteren, Unfitten – und auch Betrügern? Verkappte E-Bikes im Profi-Bereich, allein der Verdacht rüttelt an den Grundfesten des Radsports, obwohl die Brisanz und öffentliche Aufregung der vergangenen Monate in umgekehrt proportionalem Verhältnis zu den bisher Überführten steht.

Trotz mehr als 6000 Kontrollen in diesem Jahr wurde nur die Belgierin Femke van den Driessche als Motor-Doperin enttarnt.
(Foto: dpa)
Seit 18 Monaten ist Barfield im Amt, seit 18 Monaten steht das Thema "an der Spitze meiner Prioritätenliste". Aber obwohl die Diskussionen um Hilfsmotoren im Radsport im Jahr 2010 erstmals hochkochten, ist Motor-Doping für Barfield und sein Team vor allem eins: ein Phantom. Auch in Rio.
Trotz mehr als 6000 Kontrollen allein in diesem Jahr wurde bislang nur die Belgierin Femke van den Driessche als Motordoperin enttarnt. Im Januar fanden die UCI-Kontrolleure bei der Radcross-WM in einem ihrer Räder einen Hilfsmotor. Sein "Entdecker" Luc Geysen bekannte später in der ARD: "Ich habe nie geglaubt, dass es das gibt. Bis ich einen gefunden habe." Der Radsport-Weltverband griff hart durch: Van den Driessche wurde für sechs Jahre gesperrt, sie ist inzwischen von ihrem Sport zurückgetreten.
Geblieben ist der Verdacht, er fuhr auch in Rio mit. Wer sah, wie viele Fahrer nach den Rennen völlig entkräftet von ihren Rädern stiegen, der fragte sich unweigerlich, ob so ein extrem anspruchsvolles Streckenprofil die UCI-Kontrolleure zum besonders genauen Hinschauen veranlasst hat - weil ein Motor dort besonders helfen würde. Nein, sagt Mark Barfield: "Unabhängig von der Art der Strecke – angesichts der Bedeutung des Rennens wären wir ohnehin hier gewesen." Wir, das sind in Rio Barfield, ein internationaler Kommissär, ein nationaler Kommissär – und zwei Tablets, die mit einer speziellen Magnetwellentechnik ausgestattet sind. Spezielle Wärmebildkameras für Kontrollen während der Rennen, so wie bei der Tour de France, gibt es in Rio nicht.
4000 Kontrollen bei der Tour de France
Wo, wann und wie viele Tests es in Rio geben wird? Barfield schaut zu Pressemann Chenaille und schweigt wortreich: "Wir werden über alle Wettbewerbe hinweg umfassend testen. Aber wir publizieren nie die Anzahl der Tests im Voraus." Die Motor-Doper, die es laut UCI ja gar nicht gibt, sollen nicht schon vorher gewarnt sein. Der Testumfang werde aber dem bei der Tour entsprechen, dort waren es auf den 21 Etappen rund 4000 Kontrollen.
Auf die Frage, ob drei Leute und zwei Tablets für alle Radsport-Wettbewerbe in Rio reichen, hat Barfield zwei Antworten. Erstens: Ein Test dauere nur "20 bis 30 Sekunden", das soll heißen: "Wir schaffen einiges." Zweitens: Nicht in allen Wettbewerben wird in Rio gleichermaßen getestet. Abschreckung ja, aber nur dort, wo sie auch sinnvoll ist: "Wir müssen glaubwürdig dabei sein, wo wir testen. Beim BMX zum Beispiel ist der Beitrag eines Motors praktisch vernachlässigbar wegen der Explosivität des Sports." Entscheidend sei, wie ein Motor zur Leistungssteigerung beitragen könne, und "es ist mein Job, das zu verstehen".
Dass ein Motor helfen kann, daran lässt Barfield keinen Zweifel. Bis zu 250 Watt über bis zu zwei Stunden könne die der UCI bekannte Betrugstechnik beisteuern. Auch ohne trainingswissenschaftliche Kenntnisse im Radsport sollte jeder verstehen: "Das ist ein sehr signifikanter Beitrag." Kann ein Motor, überspitzt formuliert, einen Durchschnittsradler zum Olympiasieger machen? Das, sagt Barfield, fände er "überhaupt nicht lustig". Aber im Spitzenbereich den Unterschied ausmachen zwischen Sieg und Niederlage, das könnte so ein Motor schon. Auch bei Olympia.
Quelle: ntv.de