"Das sah schon nach Fußball aus" DFB-Team bricht Granit-Griechen

Mesut Özil freut sich über Marco Reus' Treffer zum 4:1.

Mesut Özil freut sich über Marco Reus' Treffer zum 4:1.

(Foto: dpa)

Joachim Löw glänzt als Umbaumeister, das DFB-Team mit beeindruckender Nervenstärke, Debütant Marco Reus als Traumtorschütze, Sami Khedira als Genickbrecher und die hochgelobte griechische Abwehr am Ende durch ihre Nichtexistenz. Der phasenweise berauschende Viertelfinaltriumph des DFB-Teams weckt Erinnerungen an die WM 2006.

Kapitän Philipp Lahm eröffnet den Torreigen.

Kapitän Philipp Lahm eröffnet den Torreigen.

(Foto: dpa)

Es war nicht München sondern Danzig, nicht das WM-Eröffnungsspiel 2006 sondern das EM-Viertelfinale 2012, nicht die 6. Minute sondern die 39., nicht Costa Rica sondern Griechenland. Aber es war die Strafraumkante, der rechte Fuß von Philipp Lahm, ein Schlenzer, das 1:0 - und . Für das DFB-Team, das gegen die "Granit-Griechen" mit seiner besten Offensivleistung ins EM-Halbfinale gestürmt ist und damit seit 2006 bei Großturnieren immer in der Vorschlussrunde stand.

Seit dem Mittag waren singende und feiernde Fanhorden durch Danzig gezogen, deutsche und griechische. Die Altstadt brodelte vor Vorfreude auf das Viertelfinalduell. Nach der Partie in der Bernsteinarena sang nur noch der deutsche Anhang - und Joachim Löw ein Loblied auf sein Team. "Das war schon eine Klasseleistung der Mannschaft, viermal in Folge im Halbfinale zu stehen. Wir können  schon stolz sein auf die Mannschaft", ersparte sich der Bundestrainer übermäßige Zurückhaltung.

Löw genoss es, wie seine Elf ihre Favoritenrolle mit dem Weltrekord von 15 Pflichtspielsiegen in Folge untermauert hatte. Wie es die meist neunköpfige Abwehrmauer des griechischen Teams letztlich spielerisch zertrümmert hatte, das im gesamten Spiel nur 40 Ballkontakte in der gegnerischen Hälfte hatte - so viele wie DFB-Linksverteidiger Philipp Lahm alleine. Und Löw genoss es, dass er personell wieder richtig gelegen hatte.

Umstellungen "voll aufgegangen"

"Joachim Löw hat frische Kräfte in der Offensive gebracht. Das ist voll aufgegangen", zeigte sich Griechenlands portugiesischer Trainer Fernando Santos beeindruckt von den Umstellungen. Löw begründete den Komplettumbau seiner Offensive so: "Das war der Tag der Veränderungen heute. Ich dachte, ich müsste nach drei Siegen etwas verändern." Also hatte er Miroslav Klose, Marco Reus und Andre Schürrle in die Startelf rotiert - und das durchaus überraschend.

Joachim Löw macht mal wieder alles richtig. Das muss sein Kollege Fernando Santos anerkennen.

Joachim Löw macht mal wieder alles richtig. Das muss sein Kollege Fernando Santos anerkennen.

(Foto: dpa)

Denn unter der Woche hatte Löw noch damit kokettiert, dass seine bisherigen Personalentscheidungen - Mats Hummels für Per Mertesacker, Mario Gomez für Klose, Lars Bender als Jerome-Boateng-Ersatz - zwar allesamt Glücksgriffe gewesen seien. Aber Glück sei auch endlich. In Danzig wurde seine Wechselsträhne eindrucksvoll verlängert. Sichtlich verärgert war Löw nur über den Maulwurf, der .

Schürrle zeigte trotz seines Ballverlustes vor dem 1:1 eine ansprechende Leistung, Klose und Reus trugen sich in die Torschützenliste ein. Vor allem aber wirkte das deutsche Angriffsspiel mit Klose als bevorzugter Anspielstation von Mesut Özil und der dribbelstarken Flügelzange wesentlich variabler als bei den drei Siegen in der Vorrunde. "Das sah schon sehr nach Fußball aus", fand Klose und untertrieb maßlos. Das Viertelfinale gegen Griechenland, , war ein deutscher Sturmlauf in die Zukunft.

Quartalsschütze Lahm muss ran

Das erste, so wichtige Tor gegen die griechischen Maurermeister musste trotzdem ein Abwehrspieler erzielen, Philipp Lahm, Linksverteidiger, Kapitän und Quartalstorschütze in Personalunion. Mit seinem 1:0 in der 39. Minute, als er den griechischen Keeper Michalis Sifakis von der Strafraumgrenze mit einem Schlenzer überwand, setzte er eine beeindruckende Serie fort: die, im Nationalteam alle zwei Jahre einmal zu treffen, und zwar 2004, 2006, 2008, 2010 - und 2012.

Man kann es aber auch sehen wie Bundestrainer Löw: "Philipp Lahm ist der Mann für die wichtigen Tore bei großen Turnieren." Doppelt ärgerlich war das Führungstor seines Kapitäns dennoch. Erstens, weil es trotz fünf furioser, aber fruchtloser Anfangsminuten und vier aussichtsreichen Chancen für Özil und Reus (3x) zwischen der 23. und 30. Minute zu spät fiel. Und zweitens, weil es auch in der 39. Minute nicht der erhoffte erste Riss im griechischen Beton war.

Stattdessen musste Löw nach dem Spiel über die Griechen sagen, was er schon vor der Partie gesagt hatte: "Das ist eine kuriose Mannschaft." Denn es sei klar gewesen, dass "die Griechen  aus dem Nichts heraus etwas machen würden" - und sie machten es auch gegen das DFB-Team, in der 54. Minute, den Ausgleich durch Giorgos Samaras im Fünfmeterraum, nach einem überfallartigen Konter.  Das statische Horrorszenario war perfekt, der erste Schuss aufs deutsche Tor war drin. Kurios auch: Im ersten Durchgang hatte sich Griechenland Ballkontakte im deutschen Strafraum komplett gespart. Und trotzdem stand es nach 54 Minuten plötzlich 1:1 - und das Spiel kopf.

"Es uns unnötig schwer gemacht"

"Wir haben es uns unnötig schwer gemacht. Wir hatten Riesenmöglichkeiten. Wir gehen dann 1:0 in Führung - und schenken es wieder her", bilanzierte Kapitän Lahm den Gegentreffer, bei dem er ebenso wie Jerome Boateng und der kaum geprüfte Keeper Manuel Neuer unglücklich agiert hatten.  Die Selbstkritik fiel leicht, denn Lahm konnte auch sagen: "Wir können uns freuen, dass wir noch die Tore gemacht haben und im Halbfinale stehen."

Sami Khedira erzielt mit einem wunderschönen Tor das so wichtige 2:1.

Sami Khedira erzielt mit einem wunderschönen Tor das so wichtige 2:1.

(Foto: AP)

Mittelfeldspieler Sami Khedira hatte als größten Entwicklungsschritt des Teams im Vergleich zur WM 2010 die neu entdeckte Geduld angeführt. Gegen die Griechen zeigte das DFB-Team nach dem 1:1 nicht nur eine beeindruckende Nervenstärke, sondern noch eine weitere, neue Fähigkeit: Die, den eigenen Rhythmus an die Spielsituation anzupassen. Als das deutsche Team in Danzig wieder ein Tor brauchte, wurde es nicht nervös. Es erhöhte einfach Druck und Tempo und zerbröselte die vermeintliche Betonabwehr mit dem Vertrauen in die eigene Spielstärke.

Genickbruch durch Khedira

"Das zweite Gegentor hat uns das Genick gebrochen", sagte Griechenland-Coach Santos. Den entscheidenden Wirkungstreffer setzte Khedira (61.), der einen Özil-Freistoß volley ins Tor wuchtete. Es war der Auftakt zu einer rauschhaften Viertelstunde, in der Klose (68.) per Kopf und Reus (74.) mit einem weiteren Volleytraumtor auf 4:1 erhöhten und weitere Treffer möglich gewesen wären. Dimitris Salpingidis gelang in der Schlussminute per Handelfmeter mit dem zweiten Schuss aufs Tor der 2:4-Endstand. Es war der unwichtigste Treffer des Turniers.

Joachim Löw hatte bei den vergebenen Chancen und dem Ausgleich in seiner Coachingzone selbst wild gestikuliert. Sein Team bewahrte die Ruhe und "wurde nicht hektisch, die Tore sind dann zwangsläufig  gefallen". Ihrem Edelfan bescherte das Löw-Team ein mitreißendes Erlebnis neben DFB-Präsident Wolfgang Niersbach. "Anfangs habe ich gebibbert, dann habe ich den Eindruck gehabt, sie waren überlegen", gratulierte die Kanzlerin bei ihrer Kabinenansprache, die Bastian Schweinsteiger unter der Dusche verpasste: "Es war ein tolles Spiel. Glückwunsch, weiter so."

2006 kam das deutsche Team nach dem 4:2 über Costa Rica bis ins Halbfinale der Heim-WM und war dort gegen Italien chancenlos. Im EM-Halbfinale 2012 könnte am kommenden Donnerstag in Warschau wieder Italien warten, wenn die Squadra Azzurra gegen England gewinnt. Auch wenn Schweinsteiger für das Halbfinale vorne mehr Kreativität und hinten mehr Sicherheit anmahnte: Chancenlos wird Deutschland diesmal ganz sicher nicht sein, obwohl Philipp Lahms rechter Fuß jetzt erstmal zwei Jahre Torschusspause hat.

Quelle: ntv.de

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