Rassismus-Diskussion vor EM-Start Fall Ferdinand stört England

Rio Ferdiand gehört nicht zum Kader der englischen Nationalmannschaft.

Rio Ferdiand gehört nicht zum Kader der englischen Nationalmannschaft.

(Foto: dpa)

Ist ein Rassismus-Skandal der wahre Grund für die Nichtnominierung des verdienten Innenverteidigers Rio Ferdinand? In England wird seit Tagen darüber diskutiert. Nationalcoach Roy Hodgson ärgert sich über das Störfeuer der Medien vor dem ersten EM-Auftritt seines Teams gegen Frankreich. Die Équipe Tricolore setzt gegen die Briten große Hoffnung in seinen Angriff.

Englands Vorbereitung auf das erste Spiel bei der Fußball-Europameisterschaft gegen Frankreich wird von einem Spieler gestört, der gar nicht anwesend ist. Die englischen Medien thematisieren seit Tagen nicht die Ausfälle von Stürmerstar Wayne Rooney oder Routinier Frank Lampard, sondern die Nichtnominierung von Innenverteidiger Rio Ferdinand. Angeblich soll Nationalcoach Roy Hodgson den 81-fachen Nationalspieler wegen dessen Hautfarbe zu Hause gelassen haben. Der Coach ist genervt wegen der anhaltenden Diskussionen. "Das Enttäuschende für uns, die hier arbeiten, ist, dass uns das den Fokus auf das sehr wichtige Spiel gegen Frankreich genommen hat", sagte Hodgson vor der Abreise in die Ukraine, wo das Team am Abend (18 Uhr) in Donezk auf Frankreich trifft.

"Ich glaube wirklich, dass eine Menge Leute in England mehr daran interessiert sind, England spielen zu sehen, als an einer Debatte teilzunehmen, welche Spieler berufen wurden und welche nicht", ereiferte sich Hodgson, der nach dem Rücktritt von Fabio Capello erst vor knapp sechs Wochen das Team übernommen hatte. Er verzichtete auf Ferdinand und nahm stattdessen den unerfahrenen Martin Kelly vom FC Liverpool mit zur EM, obwohl der in der abgelaufenen Saison nur zwölf Mal zum Einsatz kam. Der 64-Jährige verteidigte seine Entscheidung aus "fußballerischen Gründen". "Rio Ferdinand ist für mich kein Spieler, den man nur als Auswechselspieler berufen kann", sagte Hodgson.

Capello tritt wegen Terry zurück

John Terry (l.) erklärt seinen Mitspielern die Taktik. Coach Roy Hodgson hält sich im Hintergrund.

John Terry (l.) erklärt seinen Mitspielern die Taktik. Coach Roy Hodgson hält sich im Hintergrund.

(Foto: dpa)

Auf der Insel glauben viele Fußballfans und Journalisten allerdings an einen anderen Grund für die Ausbootung. Und dafür gibt es eine Vorgeschichte: Im Oktober soll Chelseas Kapitän John Terry beim Liga-Derby gegen die Queens Park Rangers seinen Gegenspieler Anton Ferdinand, den Bruder von Rio, rassistisch beleidigt haben. Laut Fernseh-Bildern nannte er ihn "schwarze Fotze". Terry steht deshalb im Juli sogar vor dem Straf-Gericht. Wegen dieses Falles ist Ex-Nationaltrainer Capello nicht mehr im Amt. Nach der Anklage gegen Terry setzte der englische Fußball-Verband FA den Chelsea-Star gegen den Willen des Italieners als Kapitän ab. Capello beharrte auf der Unschulds-Vermutung und trat daraufhin zurück.

Jeder in England weiß: Terry und Ferdinand können sich nicht leiden. Wären beide im Kader, hätten das im Team für jede Menge Ärger gesorgt. Die Experten glauben, dass die beiden in der englischen Defensive nicht harmoniert hätten. Sie glauben, dass Rio Ferdinand deshalb zu Hause bleiben musste. . Ferdinand glaubt nicht mehr an eine Fortsetzung seiner Karriere im Nationaltrikot. Dem Boulevard-Blatt "Sun" sagte er: "Das war’s wohl für mich mit England. Wenn ich noch nicht einmal mehr nominiert werde, wenn andere verletzt sind, dann werde ich wohl nie mehr berufen."

Ribéry und Benzema sollen Englands Abwehr knacken

Franck Ribéry lässt eine spezielle Art der Behandlung über sich ergehen.

Franck Ribéry lässt eine spezielle Art der Behandlung über sich ergehen.

(Foto: AP)

Der Gegner aus Frankreich ist von solchen internen Querelen bislang ausnahmsweise verschont geblieben. Für den ersten Sieg bei einem großen Turnier seit 2198 Tagen setzt die Équipe Tricolore besonders auf Bayern-Star Franck Ribéry, um die englische Abwehr zu knacken. "Er hatte seine Probleme in der französischen Mannschaft, aber er ist ein großartiger Spieler und sehr wichtig für dieses Team", sagte Mitspieler Karim Benzema Montag in Topform sein wird."

In Frankreich glaubt Idol Zinedine Zidane wegen des starken Angriffs an eine Rückkehr in die europäische Spitzenklasse. "Das Duo Ribéry und Benzema kann die Funken fliegen lassen", meinte der Welt- und Europameister, "es wird nicht einfach gegen England, aber Frankreich hat die Mittel, etwas Gutes zu machen."

Nach dem beschämenden Trainingsstreik und dem WM-Vorrunden-Aus in Südafrika sowie dem sieglosen EM-Abschied vor vier Jahren müssen sich Zidanes Nachfolger aber erst langsam wieder die Zuneigung der Fans erarbeiten. "Die Blauen sind auf der Suche nach sportlicher und emotionaler Erlösung", umschrieb "L'Équipe" die Aufgabe des Teams von Nationaltrainer Laurent Blanc in Polen und der Ukraine.

Englands Trainer Roy Hodgson als Statue an der Küste von Dover.

Englands Trainer Roy Hodgson als Statue an der Küste von Dover.

(Foto: dpa)

und schaffte dank seiner Autorität nach dem Neubeginn vor zwei Jahren auch den benötigten Stimmungsumschwung. "Wir sind bereit, wieder zu gewinnen, das Verlangen ist zurück", charakterisierte Ribéry die Veränderung vor dem Duell mit England.

So wie der FC Chelsea

Bei denen baut Coach Hodgson nach den verletzungsbedingten Absagen von Frank Lampard, Gareth Barry und Gary Cahill schon einmal für den schlimmsten Fall vor. "Das könnten die tollsten oder die härtesten drei Wochen meiner Karriere werden", sagte der Routinier, "damit meine ich, wenn meine Spieler mich und mein Team schwer im Stich lassen, wir schlecht spielen und unparteiische Leute denken: Mein Gott, was machen die denn da?"

Damit es anders kommt, setzt Hodgson ähnlich wie der Champions-League-Sieger Chelsea London auf ein straffes Verteidigungskonzept. England könne dem FC Chelsea nacheifern, diagnostizierte der wegen einer Oberschenkelverletzung zu Hause gebliebene Lampard: "Es gibt viele Gemeinsamkeiten: einen neuen Trainer und einige fehlende Stammspieler aufgrund von Verletzungen oder Sperren."

Und sollte es selbst mit dem Chelsea-Defensivrezept nicht klappen, setzen die England-Fans auf die Mystik von "Roy, dem Erlöser". Eine 30 Meter hohe und acht Tonnen schwere Statue von Hodgson soll - in Dover aufgestellt von einem Wettanbieter - Frankreich an der gegenüberliegenden Küste bei klarer Sicht beeindrucken. Es werde regnerisch, spottete da "L'Équipe, "schade".

Quelle: ntv.de, mbo/dpa

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