Wirtschaft

Hinter verschlossenen Türen Bernanke schraubt am System

Offene Worte über Zinsen und Wirtschaftslage - diskrete Abmachungen in regulatorischen Fragen: Ben Bernanke.

Offene Worte über Zinsen und Wirtschaftslage - diskrete Abmachungen in regulatorischen Fragen: Ben Bernanke.

(Foto: REUTERS)

Auf Weisung von oben knöpfen sich die Währungshüter in Washington das Regelwerk der Wall Street vor. Diesmal soll es um mehr gehen als nur um kleine Korrekturen. Abseits der Öffentlichkeit arbeitet Fed-Chef Bernanke an der Neuordnung der US-Finanzindustrie. Sein Vorgehen weckt Misstrauen.

Woher weht der Wind? Mancher Händler muss einschneidende Veränderungen fürchten.

Woher weht der Wind? Mancher Händler muss einschneidende Veränderungen fürchten.

(Foto: AP)

Die laufende Überarbeitung der Regeln für das US-Finanzsystem findet weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Die US-Notenbank Federal Reserve (Fed) agiert bei ihren Entscheidungen inzwischen meist hinter verschlossenen Türen - ein starker Kontrast zum jüngsten Bekenntnis zu mehr Transparenz bei den Zinsentscheidungen.

Auch wenn die breite Öffentlichkeit kaum Notiz davon nimmt: Mit ihren aktuellen Regulierungsvorhaben greift die Fed sehr viel stärker in das Finanzsystem der Vereinigten Staaten ein als jemals zuvor. Seitdem das entsprechende Gesetz von Präsident Barack Obama unterzeichnet wurde und damit in Kraft trat, hat die Fed 47 Einzelentscheidungen zu neuen Regeln gefasst. Es geht dabei insgesamt um eine komplette Neuordnung der Finanzindustrie. Die Fed legt fest, wie viel Kapital die Banken vorhalten müssen, welche Formen des Handels zulässig sind oder in welcher Höhe sie Einzelhändler für die Abwicklung von Einkäufen mit Kreditkarten belasten dürfen.

Die Fed nimmt diese tiefgreifenden Änderungen - so dramatisch waren sie seit der Großen Depression nach 1929 nicht mehr - fast komplett unter Ausschluss der Öffentlichkeit vor. Statt wie bei anderen Institutionen, mit denen die Fed zusammenarbeitet, einzelne Entscheidungen im Vorfeld zu diskutieren und dann öffentlich abzustimmen, zieht Notenbankchef Ben Bernanke Absprachen im kleinen Kreis via E-Mail vor.

Öffentliche Debatte unerwünscht?

Seit Juli 2010 haben lediglich zwei öffentliche Treffen mit den Fed-Gouverneuren stattgefunden - bei 45 von 47 vorläufigen oder endgültigen Entscheidungen haben die regionalen Notenbankchefs ihr Votum online übermittelt. Die Sitzungen des Offenmarktausschusses werden hier nicht mitgerechnet. Sie betreffen in der Regel nur geldpolitische Weichenstellungen wie zum Beispiel den Leitzins und befassen sich nicht mit den regulatorischen Aufgaben. Die Sitzungsprotokolle werden mit gewissem zeitlichem Abstand regelmäßig veröffentlicht.

Erst seit Februar publizierte die US-Notenbank schließlich alle Abstimmungen zu neuen Regeln auf Basis des so genannten Dodd-Frank-Gesetzes. Eine offene Flanke bietet die Fed mit ihrer diskreten Zurückhaltung nicht: Die Notenbanker verstoßen gegen keine Gesetze, wenn sie öffentlichen Sitzungen ablehnen. Allerdings sie brechen mit einer langen Tradition, die Fragen veränderter oder neuer Regelwerke öffentlich zu erörtern.

"Die Bürger haben ein Recht"

Kritiker aus der Politik und aus Kreisen früherer Bankenaufseher monieren nun, dass die Abgeschiedenheit, in der die Notenbank derzeit agiert, der Öffentlichkeit ein Urteil quasi unmöglich macht. Für die Folgen lasse sich so niemand mehr verantwortlich machen.

"Die Bürger haben das Recht, über die Diskussionen Bescheid zu wissen. Sie haben das Recht, die Unterlagen zu sehen und die Gründe für die Entscheidungen und Regeln", sagte etwa Sheila Bair, die frühere Vorsitzende des Einlagensicherungsfonds der amerikanischen Banken FDIC.

"Alle anderen Agenturen, denen ein Board oder eine Kommission vorsteht, schlagen ihre Regeln öffentlich vor und stimmen auch öffentlich darüber ab", sagte sie in einem Interview: "Ich glaube, es wäre im Interesse der Fed, es genauso zu machen."

Bernankes diskretes Vorgehen

Wirtschaftshistoriker bestätigen: Die aktuelle Praxis der Entscheidungsfindung bei der Fed zu neuen Regeln für die Finanzindustrie unterscheidet sich sehr von der in den 1980er und 1990er Jahren, als noch bis zu 31 öffentliche Sitzungen der Notenbanker jährlich stattfanden. Öffentlich diskutiert wurde seinerzeit nicht nur über Vorgaben für Banken, sondern auch über eher abseitige Themen wie die Höhe der Ausgaben für Porträts der vormaligen Notenbankchefs.

Ende der 1990er nahm die Zahl der öffentlichen Sitzungen ab, um nach 2000 auf ein ganz geringes Niveau zu fallen. Inzwischen sind derartige Treffen geradezu rar geworden.

"Ich glaube, es wäre im Interesse der Fed, es genauso zu machen": Sarah Bloom Raskin.

"Ich glaube, es wäre im Interesse der Fed, es genauso zu machen": Sarah Bloom Raskin.

(Foto: REUTERS)

Vertreter der US-Notenbank geben gerade in jüngster Zeit vor, der Öffentlichkeit tiefe Einblicke in ihre Politik zu geben. Offene Sitzungen, so argumentiert die Fed, seien nicht immer von Nutzen für die Entscheidungsfindung, die angefertigten Mitschriften häufig eher oberflächlich. Die immer knappere Zeit, die Fed-Gouverneuren bleibe, mache es schwerer als in früheren Jahren, Termine für gemeinsame Treffen zu finden.

Keine Zeit für Transparenz?

Doch bleibt so möglicherweise auch einiges unter der Decke. Etwa im vergangenen Oktober, als Gouverneurin Sarah Bloom Raskin sich gegen die öffentlich höchst umstrittene wandte, die den Banken das Spekulieren mit ihrem eigenen Kapital verbietet. Erst mit der Veröffentlichung am 14. Februar wurde klar, dass Raskin gegen die Regel votierte, die Gründe bleiben allerdings auch in den zugänglichen Dokumenten offen.

Im Interview sagte Raskin, sie halte die Volcker-Regel in der bisherigen Form für zu sperrig, damit Banken sie umsetzen und Aufsichtsbehörden sie durchsetzen könnten. Auch die Ausnahmeregeln seien aus ihrer Sicht zu weit gefasst. Nach eigenen Angaben hat sie ausreichend Zeit bekommen, ihre Sicht in den Fed-Gremien darzulegen.

Obamas Mann für die Bankenzügel: Daniel Tarullo will abweichende Meinung veröffentlicht sehen.

Obamas Mann für die Bankenzügel: Daniel Tarullo will abweichende Meinung veröffentlicht sehen.

(Foto: REUTERS)

Es kann hilfreich sein, über die abweichende Meinung von Raskin Bescheid zu wissen. Denn die Volcker-Regel ist noch nicht in Kraft - im Gegenteil wird heftig über sie debattiert. Banken, Interessensvertreter und anderen Gesprächspartnern der Fed würde die Sicht von Raskin im Diskussionsprozess möglicherweise helfen, sagen frühere Insider der Bankenregulierung. Zwar ist die Einspruchsfrist seit dem 13. Februar abgelaufen. Doch Senator Bob Corker aus Tennessee, ein Wortführer der Regelkritiker, sagt, er hätte die Argumentation gerne gelesen.

Daniel Tarullo, den Präsident Barack Obama in das Kommittee der Fed entsandt hat, um neue Regeln für die Bankenindustrie auf den Weg zu bringen, räumt Versäumnisse ein. "Ich kann mir keine Begründung dafür vorstellen", die abweichende Meinung von Raskin nicht zu veröffentlichen, sagte er.

"Es handelt sich hier um einen Tsunami"

Jeder Dissens unter den Fed-Gouverneuren bei wichtigen Regeln gehe die Öffentlichkeit etwas an. Die bisherige Praxis, so Tarullo, müsse geändert werden. Bei einigen wichtigen Regel-Prozessen habe er immerhin öffentliche Treffen bei der Schlussentscheidung beantragt, verteidigt er sich. Solchen Einzelanträgen muss entsprochen werden.
Generell findet Tarullo allerdings nicht, dass öffentliche Treffen besser geeignet seien, über die wichtigen Themen der Notenbank angemessen zu informieren.

Tarullo verwies zudem auf Probleme mit verkürzten Darstellungen von Diskussionsprozessen und mit dem zusätzlichen Zeitdruck. Gegenwärtig werde an 250 neuen Regeln gleichzeitig gearbeitet. "Verglichen mit anderen Regel-Prozessen handelt es sich hier um einen Tsunami", sagt John Weinberg, der die Research-Abteilung bei der Federal Reserve Bank von Richmond führt. Überdies gibt es im siebenköpfigen Board der Fed zwei Vakanzen.

Dennoch unterscheidet sich die Transparenz bei der Festlegung der Bankregeln etwa von den Entscheidungen über den Leitzins. Zwar sind die Sitzungen des entscheidenden Offenmarktausschusses nicht öffentlich, aber das Abstimmungsverhalten der einzelnen Mitglieder und ihre Gründe werden direkt veröffentlicht. Dazu kommen jetzt noch vierteljährliche Pressekonferenzen, in denen Notenbank-Chef Bernanke die Entscheidungen erläutert.

Bernanke hat sich eigentlich die Öffnung der Institution auf die Fahnen geschrieben. "Als ein Organ der Regierung muss eine Notenbank Rechenschaft bei der Verfolgung ihres Auftrags ablegen und sich vor dem Volk und seinen gewählten Vertretern verantworten können sowie transparent in ihrer Politik sein", sagte Bernanke in einer Rede zur Geldpolitik im Jahr 2010.

Quelle: ntv.de, Victoria McGrane, Jon Hilsenrath, DJ

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