Wirtschaft

Trümmer und Stolpersteine Corona-Krise zerlegt die Autoindustrie

Neben Konjunkturkrise und Strukturwandel kämpft die Autoindustrie nun auch noch gegen die Folgen der Coronavirus-Pandemie: Die Bänder stehen still, Kurzarbeit, leere Autohäuser und Autobahnen. Ein Industriezweig liegt in Trümmern. Eine Rückkehr zu alter Stärke wird schwierig.

Corona hat die deutsche Automobilindustrie ins Mark getroffen. Die Bänder ruhen, Verkaufsräume sind geschlossen, der Fahrzeugabsatz ist nahezu vollständig zum Erliegen gekommen. Komplette Werkschließungen, Kurzarbeit und Entlassungen auf breiter Front sind die Folge - und zwar weltweit. Die deutschen Automobilhersteller und Zulieferer werden aufgrund ihrer hohen globalen Verflechtung und Exportabhängigkeit von der Krise am härtesten getroffen. Überspitzt formuliert: Die stolze deutsche Autoindustrie liegt gegenwärtig in Trümmern!

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Leere Autobahn in Schkeuditz, Sachsen - eine Auswirkung der Kontaktbeschränkungen aufgrund der Corona-Krise.

(Foto: picture alliance/dpa)

Die Frage dabei ist nicht, ob die Branche die Krise überleben wird. Denn das wird sie, wenn vielleicht auch nicht jeder einzelne Akteur. Die große Frage ist vielmehr, wie die zu erwartende Erholung aussehen wird. Was wird auf die Hersteller und die gesamte Zuliefer-Wertschöpfungskette zukommen? Wiederaufschwung nach früherem Zyklen-Muster, also "business as usual"? Oder hinterlässt die Corona-Krise, ähnlich wie in der Luftfahrt, so tiefe Spuren, dass am Ende ein völlig neues "Spielfeld" mit verkleinerter Mannschaft und neuem Geschäftsmodell sowie neuen Strukturen in der Branche stehen? Was wird nach der Krise von der stolzen deutschen Autoindustrie übrigbleiben? Auf welche Stolpersteine beim Wiederaufbau muss sich die deutsche Automobilindustrie einstellen?

Die üblichen linearen externen wie hausgemachten Trendanalysen der Planungs- und Vertriebsexperten helfen bei der Beantwortung dieser Fragen nicht weiter. Diesmal ist alles anders.

Fragen und Stolpersteine

Weder die Hersteller nebst Gefolge noch die Autokäufer werden sich nach Corona an die gewohnten Aufschwungsabläufe und Konjunkturschemata von früher halten können. Mehr denn je dominieren diesmal die externen Rahmenbedingungen: neben BIP-Wirtschaftswachstum vor allem die Beschäftigungs- und Kaufkraftentwicklung sowie die künftigen Mobilitäts- und Ausgabenpräferenzen der Kunden angesichts verschärfter staatlicher Gesundheitsvorschriften und höherer Steuerbelastungen. Welche strukturellen Verschiebungen in den Haushaltbudgets der Privaten wie in den Investitionsrechnungen der Unternehmen zugunsten höherer Ausgaben für Gesundheit, Vor- und Fürsorge sowie Risiko-Absicherung sind zu erwarten?

Der Stolpersteine beim Wiederaufbau der Autoindustrie sind viele. Die wichtigsten sind in drei Thesen zusammengefasst:

1. Das automobile Wachstumszeitalter am Weltmarkt ist vorbei, in Summe und fast in allen Einzelmärkten. Absatzvolumen wie auch die Absatzstruktur werden sich nachhaltig verändern. Auch in Deutschland!

Das staatliche Corona-Rettungsprogramm von 1,2 Billionen Euro hat die Staatsverschuldung in historisch einmalige Höhe getrieben. Gravierende Einschnitte bei den Staatsausgaben wie Erhöhungen bei den Staatseinnahmen sind die Folge: Staatsausgaben müssen über Jahre auf ein unabweisbares Minimum reduziert werden. Alle Ausgabenprojekte kommen auf den Prüfstand, "Luxusausgaben" mit automobilem Bezug wie zum Beispiel Infrastrukturvorleistungen für E-Mobilität (Tankstellennetz) oder für Autonomes Fahren/Roboterautos (5 G /Vernetzung et cetera) werden dem Rotstift zum Opfer fallen. Mit "grünen Brennstoffen" wird der Staat versuchen, zusätzliche Sozialkosten als Folge von Verwerfungen in Produktion und Beschäftigung der bisherigen Verbrenner-Antriebstechnologie zu vermeiden.

Steuereinnahmen müssen zum Abbau des gigantischen Staatsschuldenberges drastisch erhöht werden. Folge: Unternehmen müssen sich auf eine Kürzung von Subventionen, private Haushalte netto auf schmalere Auto-Budgets oder auf veränderte Treibstoffkosten und Dienstwagenregelungen einstellen. Downsizing-Rückwirkungen auf die Struktur der Automobilnachfrage sind unvermeidlich. Die Abdeckung höherer Versorgungs- wie Gesundheitsrisiken - ganz gleich, ob im Verbrauchsektor oder beim Staat oder in der Industrie - zieht höhere volkswirtschaftliche Kosten nach sich. Kaufkraftverluste im privaten Sektor sind unvermeidlich. Das trifft sowohl Absatzstruktur als auch -volumen.

2. Global schrumpfende Gewinnmargen und Renditen verschärfen den globalen Auslesewettbewerb. Die Folgen für alle Hersteller und Zulieferer sind:

Helmut Becker schreibt für ntv.de eine monatliche Kolumne rund um den Automarkt. Becker war 24 Jahre Chefvolkswirt bei BMW und leitet das "Institut für Wirtschaftsanalyse und Kommunikation (IWK)". Er berät Unternehmen in automobilspezifischen Fragen.

Helmut Becker schreibt für n-tv.de eine monatliche Kolumne rund um den Automarkt. Er war 24 Jahre Chefvolkswirt bei BMW und leitet das "Institut für Wirtschaftsanalyse und Kommunikation (IWK)". Becker berät Unternehmen in automobilspezifischen Fragen.

Verschärftes Kostenmanagement - Fehlinvestitionen oder Vorschriftenverstöße können in Zukunft nicht mehr durch Umsatzwachstum verschleiert oder kompensiert werden. Vorleistungsinvestitionen ohne sicheren Kapitalrückfluss, zum Beispiel für "weiter, höher, schneller" oder für nicht zukunftsfähige Antriebstechnologien oder autonom fahrende Autos, kommen rigoros auf den Prüfstand. Während der Krise eingeübte neuartige Arbeitsläufe wie Homeoffice oder Videokonferenzen lassen den automobilen Bedarf zusätzlich schrumpfen.

Verschärfter Konzentrationsdruck und Auslesewettbewerb auf dem Weltmarkt - das trifft alle Glieder der nationalen Wertschöpfungskette. Günstige Aktienkurse locken potente Kapitalinvestoren als Aufkäufer. Für die deutsche Wirtschaft systemrelevante Leuchtturmunternehmen der Autoindustrie sind hochgradig gefährdet.

3. Durch Corona wurden der Globalisierung und der globalen Ausdifferenzierung der automobilen Wertschöpfungsketten Grenzen aufgezeigt. Eine risikobedingte Rückverlagerung der Fertigung ist angesagt.

Die Corona-Krise hat gezeigt, dass die internationale Arbeitsteilung den Höhepunkt überschritten hat und Wertschöpfungsketten sich überregional ohne ernsthafte Versorgungsrisiken nicht weiter ausdehnen und ausdünnen lassen. Beschaffungs- und Logistikabläufe müssen neu strukturiert werden, Logistik wird teurer, Vorleistungskosten steigen.

Aber die Corona-Krise hat auch positive Effekte für die Autoindustrie: Durch die erzwungene soziale Distanz zum Mitmenschen erhält das Automobil als individuelles Verkehrsmittel im Eigenbesitz viel von seinem früheren Stellenwert in der Bedürfnisstruktur der Menschen zurück. Nämlich geschützt und individuell mobil zu sein: Fahren wann man will, wohin man will und mit wem man will. Und wie lange man will. Sollte die Mobilität dann auch noch "grün" vonstattengehen, hätte Corona auch etwas Gutes gebracht.

Quelle: ntv.de

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