Euro im Sinkflug "Der Verbraucher ist der Gelackmeierte"
12.07.2022, 17:27 Uhr
Nach Monaten im Abwärtstrend ging es für die Gemeinschaftswährung Europas zuletzt noch schneller bergab. Nun ist das Tauschverhältnis von eins zu eins zum US-Dollar erreicht.
(Foto: REUTERS)
Schon länger steht die Gemeinschaftswährung an den Finanzmärkten unter Druck. Erstmals seit 2002 kostet ein Euro nur noch einen Dollar. Im Interview erklärt Analyst Halver, wie ungelegen die Euroschwäche kommt, wie tief der Euro noch sinken kann und was die Parität für Verbraucher bedeutet.
ntv.de: Hat die Parität mehr als eine rein symbolische Bedeutung?
Robert Halver: Die Parität hat eine hohe psychologische Bedeutung. Wenn der Kurs unter eins fällt, ist der Dollar rein nominell mehr wert – und das zehrt an der Ehre der Eurozone und ihrem Selbstverständnis eines großen Wirtschaftsraums. Und das Ende der Fahnenstange muss ja auch noch nicht in Sicht sein.
Wieso ist der Euro abgestürzt?
Der Euro ist aus mehreren Gründen abgestürzt. Einerseits, weil keine richtige Zinserhöhungspolitik bislang betrieben wurde, die die Inflation bekämpft. Das macht die große Alternativwährung, den Dollar, wo es mannhafte Zinserhöhung zur Inflationserhöhung schon gegeben hat, attraktiver als den Euroraum. Ein anderer Grund: Gerade Europa mit seinen Exportnationen und seinem Geschäftsmodell, Rohstoffe günstig einzukaufen, zu veredeln und dann zu exportieren, kann im Augenblick kaum etwas gewinnen. Erstmal sind die Rohstoffe knapp, oder mindestens teuer. Das gilt aber nicht nur für Gas, sondern auch in puncto Vorprodukte aus China für die Industrie, die wegen ihrer Null-Covid-Politik im Moment auch ein schwieriger Absatzmarkt ist. Und Russland ist ja total ausgefallen.
Wie tief kann der Euro noch sinken?
Ist erstmals die Parität nachhaltig geknackt, ist im Extremfall ein Durchrutschen bis 0,95 möglich. Das wäre schon ein Schlag ins Kontor. Dann würden aber auch zwischenzeitliche Gegenbewegungen einsetzten.
Wie ungelegen kommt die Euroschwäche im jetzigen Umfeld mit hoher Inflationsrate?
Die aktuelle Euroschwäche kommt sehr ungelegen. Im Moment importieren wir Inflation, denn Rohstoffe werden auf Dollar notiert. Je schwächer der Euro, desto teurer das Tanken, das Heizen oder die Lebensmittel. Das tut weh.
Ist ein schwacher Euro nicht ein Grund zum Feiern für die Exportindustrie?
Auf der einen Seite könnte man sagen: Unsere Exporte sind billiger und lassen sich weltweit mehr verkaufen. Dafür muss allerdings auch die Güterproduktion rundlaufen. Es ist ja schwer, etwas zu verkaufen, wenn nicht produziert werden kann. Und Firmen, die in Amerika Geschäfte machen, können allein durch die Umrechnung Dollar in Euro zwar glänzen. Aber: Die Firmen müssen natürlich auch die Rohstoffe deutlich teurer einkaufen. Das nimmt dann wieder viel von der Marge weg.
Was bedeutet die Parität für Verbraucher?
Es wird alles teurer. Der Verbraucher ist der Gelackmeierte, weil er natürlich auch einen großen Wohlstandsverlust und weniger Geld zum Ausgeben hat. Das ist übrigens in letzter Konsequenz, wenn es hart auf hart kommt, auch für eine Demokratie nicht gut. Lange Wirtschafts- und Wohlstandskrisen sowie der Verlust an Perspektiven haben leider auch oft zu Demokratiekrisen geführt.
Wie könnte sich der Euro wieder stabilisieren?
Die EZB könnte damit beginnen, die Zinsen zügig zu erhöhen. Das wäre ein Signal dafür, dass die Inflationbekämpfung endlich ernster nimmt. Höhere Zinsen bei uns, im Vergleich zu den USA, wo die Zinserhöhungswelle Ende des Jahres wahrscheinlich auslaufen wird, würden den Euro stabilisieren. Es wäre aber nur ein kurzfristiger Sieg: Die Währung eines Landes oder einer Region ist so etwas wie der Aktienkurs dieser Region und der ist im Augenblick nicht attraktiv. Denn längerfristig betrachtet müssen wir uns die Frage stellen: Wie soll der Euro denn stark werden, wenn der Euroraum nicht zusammenhält und Wohlfahrtverluste der langfristigen Art riskiert werden, weil wir nicht sagen, was wir alternativ einschalten, wenn wir die alte Industriekultur abschalten. Die EZB kann diese Probleme nicht lösen, indem sie immer mehr Staatsschulden günstig finanziert. Die Zukunftsfähigkeit mit neuen Geschäftsmodellen müssen wir selbst schaffen.
Was müssen Anleger jetzt tun?
Euro-Anleger haben jetzt im Grunde wenig Probleme. Der Euro ist Euro. Und Anleger, die in Amerika anlegen und Dollar haben, machen natürlich Währungsgewinne, falls der Euro weiter fallen sollte. Man sollte etwas mehr in US-Aktien investieren.
Mit Robert Halver sprach Juliane Kipper
Quelle: ntv.de