Wirtschaft

Geflüchtete am Arbeitsmarkt Der Weg von Asyl zu Ausbildung ist lang

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55 Prozent der Geflüchteten, die 2015 nach Deutschland kamen, sind heute erwerbstätig.

55 Prozent der Geflüchteten, die 2015 nach Deutschland kamen, sind heute erwerbstätig.

(Foto: picture alliance/dpa)

Fachkräftemangel und unbesetzte Stellen auf der einen Seite, Hunderttausende Flüchtlinge auf der anderen. Im Interview mit ntv.de erklären Experten des IW Köln, warum beide Seiten nicht immer zusammenpassen - und was für eine gelungene Arbeitsmarktintegration fehlt.

Wido Geis-Thöne ist Senior Economist für Familienpolitik und Migrationsfragen am Institut der deutschen Wirtschaft in Köln.

Wido Geis-Thöne ist Senior Economist für Familienpolitik und Migrationsfragen am Institut der deutschen Wirtschaft in Köln.

(Foto: Uta Wagner / IW Köln)

ntv.de: Um den demographischen Wandel auszugleichen, bräuchte es in Deutschland laut Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung pro Jahr eine Zuwanderung von 400.000 bis 500.000 Menschen netto. 2022 haben laut dem BAMF 244.000 Menschen Asyl beantragt. Inwiefern können diese Menschen einen Beitrag gegen den Fachkräftemangel leisten?

Dirk Werner: Zunächst einmal müssen wir strikt zwischen Fachkräften, die zur Arbeitsaufnahme nach Deutschland kommen - also Arbeitsmigranten - und Flüchtlingen unterscheiden. Das sind völlig unterschiedliche Gruppen.

Wido Geis-Thöne: Die meisten Flüchtlinge kommen aus einer Situation, in der ihr Leben völlig zerrüttet ist. Sie können nur für die nächsten Tage planen und keine langfristigen Perspektiven aufbauen.

Dirk Werner, ist Leiter des Clusters Berufliche Qualifizierung und Fachkräfte am Institut der deutschen Wirtschaft in Köln.

Dirk Werner, ist Leiter des Clusters Berufliche Qualifizierung und Fachkräfte am Institut der deutschen Wirtschaft in Köln.

Werner: Die 244.000, die Sie erwähnt haben, oder die weit über 1 Million aus der Ukraine, die kommen aus einem Grund: Um hier Schutz zu suchen. Ihr Potenzial für den Arbeitsmarkt muss in der Regel erst gefunden und geweckt werden. Das dauert.

Auf welche Hürden stößt man bei der Suche nach diesem Potenzial für den Arbeitsmarkt?

Geis-Thöne: Das Bildungsniveau der Menschen, die als Flüchtlinge zu uns kommen, ist oft nicht kompatibel. In vielen Bereichen ist der Zugang zum Arbeitsmarkt daher noch sehr schwierig. Seit 2015 und 2016 ist aber sehr viel unterstützende Infrastruktur geschaffen worden. Deshalb sehen wir bei den Flüchtlingen, die Mitte des letzten Jahrzehnts gekommen sind, tatsächlich große Fortschritte bei der Arbeitsmarktintegration. Allerdings sind wir noch nicht auf dem gleichen Stand wie bei anderen Zuwanderergruppen.

Warum ist es für Geflüchtete so viel schwieriger, sich erfolgreich in den Arbeitsmarkt zu integrieren?

Werner: Die Integration in Arbeit kann erst beginnen, wenn die Menschen länger bei uns bleiben, wenn ihr Asylstatus irgendwann geklärt ist und wenn sie die deutsche Sprache lernen. Das kann dauern. Deshalb würde ich diese Gruppe nicht in der ersten Runde erwähnen, wenn es um die Fachkräftesicherung geht. Viel wichtiger zur Behebung des Fachkräftemangels ist die gezielte Anwerbung von Fachkräften aus dem Ausland.

Die Menschen, die als Geflüchtete nach Deutschland kommen, sind im Durchschnitt unter 30 Jahre alt und könnten eine Ausbildung beginnen, die ihnen eine sichere Zukunft bietet und gleichzeitig den Fachkräftemangel lindert.

Werner: Das Glas ist definitiv halb voll. Wir haben viel erreicht, was die Integration angeht. In der Berufsausbildung haben wir zum Beispiel deutlich mehr Ausländer und auch Menschen aus den Hauptherkunftsländern der Geflüchteten in der Ausbildung, die uns auch beim Fachkräftemangel helfen. In den letzten acht Jahren haben wir über 50 Prozent mehr Auszubildende mit diesem Hintergrund - im Gegensatz dazu haben wir 15 Prozent weniger deutsche Auszubildende. Der Ausbildungsmarkt würde ohne Zuwanderung ganz anders aussehen...

…aber?

Werner: Aber wir müssen das Potenzial noch besser nutzen. Das Problem bei den Geflüchteten ist oft, dass die sprachlichen Anforderungen im Berufsschulunterricht eine große Hürde darstellen. Sie bewähren sich zwar in der Praxis, aber die theoretische Prüfung wird zum Problem. Deshalb brauchen sie Unterstützung und eine gute Begleitung.

Reichen die Sprachkurse für Flüchtlinge nicht aus?

Geis-Thöne: Wir haben eine Reihe von Möglichkeiten geschaffen, vor allem im Bereich der Integrationskurse. Flüchtlinge mit Bleibeperspektive haben Zugang zu einer Vielzahl von kommunalen Angeboten. Das Problem sind die Flüchtlinge ohne Bleibeperspektive, bei denen sich das Ganze im Hinblick auf die Unsicherheit über den weiteren Verbleib sehr schwierig gestaltet.

Werner: Die Frage der Sprache fängt nicht erst bei den Integrationskursen an, sondern schon in den Kitas und Schulen - nicht nur für Flüchtlinge, sondern für alle Menschen mit Migrationshintergrund. Und da haben wir einfach einen massiven Nachholbedarf.

Es gibt viele Berichte über Flüchtlinge, die gerne arbeiten würden, es aber nicht dürfen. Ist das nicht kontraproduktiv?

Werner: In der Schule meiner Tochter hatten wir eine Mutter, die mit ihren Kindern aus der Ukraine geflohen war. Sie hat in der Ukraine Englisch unterrichtet, spricht Deutsch und konnte wirklich bei der sprachlichen Integration helfen. In Deutschland muss man aber zwei Fächer studiert haben, um Lehrerin werden zu können. Sie konnte also nicht eingestellt werden. Das sind Dinge, die mich ärgern - wir sind in unseren Regelungen nicht flexibel genug, um innovative Lösungen zu finden. Das ärgert auch viele Unternehmen, die dann mit dieser Frage allein gelassen werden.

Geis-Thöne: Zum Glück hat sich einiges in den letzten Jahrzehnten geändert. In den 1990er und 2000er Jahren durften Flüchtlinge einfach nicht arbeiten. Man hatte die unglückliche Situation, dass sie am Rande der Gesellschaft standen, bis ihr Verfahren abgeschlossen war und man sich dann um ihre Integration kümmern konnte. Das ist jetzt anders. Seit 2016 haben auch Asylbewerber die Möglichkeit zu arbeiten.

Aus mehreren Bundesländern kam der Wunsch, dass Asylbewerber ihren Antrag zurückziehen oder nach Ablehnung stattdessen eine Arbeitserlaubnis beantragen können.

Geis-Thöne: Das wäre vorteilhaft für Menschen, die schon lange hier sind, sich gut integriert haben und so von einem geduldeten Status in einen regulären Aufenthaltstitel wechseln können. Aber für gering qualifizierte Flüchtlinge ist das erst einmal nichts.

Wäre es angesichts des Fachkräftemangels nicht lohnenswert, eine massive Investitionsoffensive zu starten und diesem Personenkreis beim Spracherwerb und der Ausbildung zu helfen? Die Nachfrage nach Arbeitskräften ist ja da.

Geis-Thöne: Wenn wir von der Nachfrage her denken, wäre es das Klügste, Menschen nach Deutschland zu holen, von denen wir wissen, dass sie sich gut in den Arbeitsmarkt integrieren und eine gute Chance haben, hier zu bleiben. Das ist der ideale Weg.

Werner: Da sind Menschen, die als Flüchtlinge nach Deutschland gekommen sind, also aus Verfolgungsgründen, und nicht, um hier zu arbeiten. Das ist eine sehr heterogene Gruppe. Wir haben alles bis hin zu Analphabeten, wo die Integration sehr herausfordernd ist, wo man sehr viele Ressourcen braucht, um ein Qualifikationsniveau zu vermitteln, das wir hier in der hochtechnisierten Arbeitswelt in Deutschland haben.

Das klingt nach einer fast unmöglichen Aufgabe.

Geis-Thöne: Wenn wir in die 1990er Jahre zurückblicken, hatten wir hier in unserer türkischstämmigen Gemeinde in Deutschland große Integrationsprobleme. Inzwischen ist sie zu einer ganz zentralen Säule der Gesellschaft geworden. Viele Dinge geschehen nicht von heute auf morgen. Das sind Dinge, die Jahrzehnte brauchen und manchmal erst in der zweiten Generation gelingen. Trotzdem lohnt sich die Investition. Man kann eben nicht nur auf die Gegenwart schauen.

Mit Dirk Werner und Wido Geis-Thöne sprach Clara Suchy

Quelle: ntv.de

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