"Big Three" fahren Pleite davon Detroit braucht neue Träume
25.07.2013, 17:44 Uhr
Detroit träumt von einer besseren Zukunft.
(Foto: REUTERS)
Ob Chrysler, Ford oder zuletzt GM: Die US-Autobauer starten wieder durch. Die Stadt, in der sie groß geworden sind, rutscht derweil in die Pleite. Detroit muss sich neu erfinden – und vertraut darauf, dass das auch gelingen wird.
Speramus Meliora. Resurget Cineribus. "Wir hoffen auf bessere Dinge – sie werden aus der Asche emporsteigen." Das von einem französischen Priester Anfang des 19. Jahrhundert geprägte Motto der Stadt Detroit ist aktuell wie nie. Auferstehen aus der Asche, das ist der wohl größte Traum einer Stadt, die jüngst eine Bankrotterklärung abgeben musste. Der Niedergang Detroits vollzog sich über Jahrzehnte. Hatte die Stadt 1950 noch mehr als 1,5 Millionen Einwohner sind es heute nur noch 685.000 Menschen. Zuletzt waren die Stadtkassen so leer, dass Detroit kaum mehr fähig war, die Kosten für seine Straßenbeleuchtung zu zahlen. Einsätze von Polizei und Feuerwehr wurden auf die wichtigsten Notrufe reduziert, auch die Müllabfuhr ließ sich immer mehr Zeit. Mit einer Arbeitslosenquote von 18,6 Prozent im vergangenen Jahr belegte Detroit einen traurigen dritten Platz nach Oakland und Fresno, Kalifornien. Schon seit Jahren gehört die Stadt zudem zu den größten sozialen Brennpunkten des Landes.
Die Folgen der Insolvenz reichen weit über die Grenzen Detroits hinaus. So gehörte unter anderem auch die Commerzbank zu den Gläubigern der Stadt. Medienberichten zufolge hat das Institut Detroit mehr als 400 Millionen US-Dollar geliehen und musste auf die Summe nun weitere Abschreibungen vornehmen, die sich auch in der Bilanz niederschlagen werden. Neben der Commerzbank sitzt in Deutschland auch die Bad Bank der Hypo Real Estate noch auf 200 Millionen Dollar an Anleihen der Stadt. Experten schätzen, dass alleine europäische Banken unbesicherte Detroit-Anleihen im Volumen von insgesamt eine Milliarde US-Dollar in ihren Portfolios haben. Das meiste davon haben sie schon längst abgeschrieben.
Längst verblasster Motown-Ruhm
Die leerstehenden Häuser, die marode Infrastruktur und die schrumpfende Bevölkerung liefern ein Jammerbild einer Stadt, die einst die zweitgrößte der Vereinigten Staaten war und als "Motown" oder "Motor City" zur Legende wurde. Denn ihren Ruhm verdankte die Stadt vor allem der Autoindustrie. General Motors, Chrysler und Ford, die "Big Three" begründeten den Erfolg der Stadt. Und rissen sie mit in den Abgrund, als die Krise über den Autobauern zusammenschlug. Auch wenn die Stadt im US-Bundestaat Michigan schon zuvor Krisen erlebt hatte – an keiner anderen Stadt ließ sich die weltweite Flaute der Autoindustrie so deutlich ablesen wie an Detroit.
Angesichts der Not der Konzerne musste Washington zu drastischen Maßnahmen greifen und verpasste den kränkelnden Autoriesen eine Finanzspritze von sage und schreibe 80 Milliarden Dollar. Zudem verordneten sich die Konzerne selber eine Rosskur und schrumpften sich gesund. Jetzt präsentieren sie sich wieder fit für den globalen Wettbewerb: So verkaufte Ford im abgelaufenen Quartal auf dem Heimatmarkt wieder so viele Fahrzeuge, dass die Produktion hochgefahren und die Werksferien verkürzt werden müssen. Auch General Motors verbuchte im zweiten Quartal ein Umsatzplus von vier Prozent auf mehr als 39 Milliarden Dollar. Allein das schwierige Europa-Geschäft macht beiden Konzernen Kummer.
Von der Genesung der Autobauer hat Detroit jedoch nicht viel. Denn nicht nur, dass den Umstrukturierungen zahlreiche Arbeitsplätze zum Opfer fielen; die großen drei produzieren ihre Autos mittlerweile überwiegend im Umland. Und so gehören nun anliegende Städte wie Dearborn zu den wohlhabendsten Städten der USA. Auf Hilfe aus Washington kann Detroit auch nicht hoffen - die US-Regierung hat bereits deutlich gemacht, dass sie nicht noch einmal mit einer Milliardenhilfe einspringen kann.
Auch sonst spielt die Musik in der Branche mittlerweile woanders. So gilt etwa Kalifornien mit seinen Initiativen für Elektroautos als besonders innovativ. Die Detroit Motor Show wirkte daneben zuletzt mit dem ewig gleichen Angebot von Pick-up-Trucks und SUVs wie aus der Zeit gefallen.
Vorbild Pittsburgh
Wie soll es jetzt also weitergehen mit Detroit? Die Stadt muss sich neu erfinden, fordern etwa Detroiter Wirtschaftsinitiativen in Leitartikeln der Lokalpresse. Sie träumen von einem Detroit, in dem die kreative Bohème alte Fabriketagen in günstige Lofts verwandelt und dem Kulturleben neues Leben einhaucht. Nüchternere Beobachter glauben, dass es das wichtigste ist, dass die Stadt nicht mehr über ihre Verhältnisse lebt und sich dank der Insolvenz etwa von überhöhten alten Pensionsforderungen höherer Beamter befreit.
Als leuchtendes Beispiel für die Neuerfindung einer Stadt gilt Pittsburgh. Auch diese Stadt im Südwesten des US-Bundesstaates Pennsylvania erlebte ihren Höhepunkt in den 1950er Jahren und hat seither ihre Bevölkerung in etwa halbiert. Denn Pittsburgh lebte von der Stahlindustrie und verlor mit deren Niedergang über 85.000 Jobs. Heute kommen die bedeutendsten Arbeitgeber aus den Bereichen Dienstleistungen, Biotechnologie und Gesundheitswesen sowie Banken.
Genau wie die Autobauer ihr Geschäft erneuert haben, wird sich auch Detroit erneuern und wie Phoenix aus der Asche auferstehen, sind viele Stadtbewohner überzeugt. Und dieser Glaube gehört doch seit jeher zu den besonders amerikanischen Tugenden.
Quelle: ntv.de, mit DJ/rts