"Wilde Spekulationen" EZB dämpft Zins-Hoffnungen
26.09.2011, 18:36 Uhr
Ex-Bundesbanker Axel Weber, Yves Mersch und sein Kollege aus Belgien, Luc Coene, in Jackson Hole.
(Foto: ASSOCIATED PRESS)
Der luxemburgische Notenbankchef Yves Mersch entzieht den Gerüchten um eine angeblich bevorstehende Zinssenkung im Euroraum den Boden: "Einige Leute" hätten, so Mersch, "ihre Orientierung verloren". Offene Worte findet der Währungshüter auch zum Anleihenkauf der EZB: Das umstrittene Vorgehen habe der Glaubwürdigkeit der Zentralbank geschadet.
Die Europäische Zentralbank (EZB) hat die Erwartung einer Zinssenkung Anfang Oktober gedämpft. " zeigen nur, dass einige Leute ihre Orientierung verloren haben", kritisierte Luxemburgs Notenbankchef Yves Mersch.

"Womöglich (...) unterschätzt": Yves Mersch, hier im Gespräch mit EZB-Präsident Jean-Claude Trichet (links) und Dänemarks Notenbankchefin Bodil Nyobe Andersen (rechts).
(Foto: ASSOCIATED PRESS)
Im Gespräch mit der deutschen "Börsen-Zeitung" hielt sich das EZB-Ratsmitglied jedoch ein Hintertürchen offen. Künftige Zinssenkungen seien jedoch nicht völlig auszuschließen, ließ sich Mersch dort zitieren. "Sollte es entgegen der derzeitigen Datenlage doch zu einer deutlichen Verschlechterung der wirtschaftlichen Dynamik im Euroraum kommen, haben wir Spielraum." Zugleich räumte Mersch ein, dass der umstrittene Beschluss zum Ankauf von Anleihen der habe: "Dies in der deutschen Öffentlichkeit abzustreiten, hieße, sich der Realität zu verweigern. Womöglich wurde dies bei dem Beschluss unterschätzt."
Die Zentralbank hat bereits Bonds von Problemländern im Gesamtwert von 156,5 Mrd. Euro erworben. Kritiker sehen mit den Käufen die Grenze zwischen Fiskal- und Geldpolitik verwischt. Eine deutsche Klägergruppe will die Praxis vor dem EU-Gericht in Luxemburg auf ihre Rechtmäßigkeit hin überprüfen lassen. "Jean-Claude Trichet wird damit als Präsident der EZB diese Maßnahmen seines Hauses vor dem Gericht verantworten müssen", forderte die Klägergruppe Europolis um den Berliner Wirtschaftsjuristen .
"Geldpolitik angemessen stimulierend"
Mersch blieb mit seinen Äußerungen zum Vorgehen der EZB im Kampf gegen die Teuerung und für Stabilität im Euroraum nicht alleine. EZB-Ratsmitglied Athanasios Orphanides betonte, die Geldpolitik sei "angemessen konjunkturstimulierend" und deutete damit ebenfalls keine Neigung zu einer kurzfristigen Zinssenkung an. EZB-Direktoriumsmitglied betonte zugleich, es sei nützlich, Spielraum in der Zinspolitik zu haben.
Maltas Notenbankchef Josef Bonnici sagte, die Lage an der Inflationsfront habe sich beruhigt. Die EZB erwartet für dieses Jahr eine Teuerung von 2,6 Prozent und 2012 einen Rückgang auf 1,7 Prozent. Damit würde die von der EZB zur Sicherung der Preisstabilität angepeilte Teuerungsrate von knapp unter zwei Prozent nächstes Jahr wieder unterschritten.
Die Währungshüter hatten im Kampf gegen die steigende Inflation die Zinsen 2011 bereits zwei Mal auf 1,5 Prozent angehoben. Wegen der Furcht vor einer neuen Rezession in der Eurozone waren Spekulationen aufgekommen, dass die EZB bei der auswärtigen Sitzung des Rats am 6. Oktober in Berlin den Kurs ändern und die Zinsen wieder um einen halben Punkt senken könnte.
"Erst einmal abwarten"
Aus Sicht Bonnicis ist es derzeit wichtiger, den Banken Liquidität bereitzustellen als über die Zinsen zu sprechen. Zugleich mahnte er, nicht übereilt zu handeln. "Falls es Sorge um das Wirtschaftswachstum gibt, sollte man offensichtlich doch erst einmal abwarten."
Österreichs EZB-Ratsmitglied schließt Zinssenkungen in der Eurozone allerdings nicht gänzlich aus. "Die EZB macht keine Vorfestlegungen, und Zinssenkungen können nicht ausgeschlossen werden. Es hängt alles von künftigen Entwicklungen ab", sagte Nowotny.
Experten werteten die Äußerungen als Hinweis darauf, dass die EZB Zeit gewinnen und möglicherweise zu einem späteren Zeitpunkt die Zügel geldpolitisch lockern wolle. "Ich habe nicht den Eindruck, dass die Zentralbank bereits eine Zinssenkung vorbereitet, aber sie hält sich die Option offen", meint ING-Ökonom Carsten Brzeski.
Quelle: ntv.de, rts