Wirtschaft

Scheidung nach mehr als 40 Jahren Einenkel ist kein Opelaner mehr

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(Foto: Dominik Möller)

Das Undenkbare ist nun doch geschehen: Opel-Urgestein Rainer Einenkel muss den Autohersteller verlassen. Zu Besuch bei einem Menschen, der auf Trümmer blickt.

Die Rente ist in Sichtweite, der Weg dorthin jedoch nicht klar skizziert. Zum 1. April ist der ehemalige Betriebsratsvorsitzende des Bochumer Opel-Werks, Rainer Einenkel, in die Transfergesellschaft des TÜV Nord gewechselt. Und damit offiziell kein Opelaner mehr. Nach mehr als vier Jahrzehnten.

Während sich zwei der größten Abrissbagger Europas durch die Überreste der ehemaligen Lackiererei fressen, spricht der 60-jährige Einenkel mit ehemaligen Kollegen. Zwei von ihnen sind derzeit für den Werkschutz zuständig. So lange die Arbeiten laufen, bewachen sie die Baustelle. Später, so heißt es, sollen beide ins Bochumer Warenverteilzentrum wechseln. Ein anderer ehemaliger Opelaner kommt jeden Tag zur Baustelle – und blickt auf die Trümmer des Ortes, der jahrzehntelang sein Berufsleben bestimmt hat.

Immer wieder halten Autos am Straßenrand. Die Leute steigen aus, bleiben einen Moment lang stehen, schütteln die Köpfe und fahren weiter. Manche, denen beim Anblick der Trümmer dem Atem stockt, müssen von der Polizei vertrieben werden, weil sie den Verkehr behindern. Manchmal bleiben kleine Rentner-Grüppchen am Zaun stehen, reden. Über den Abriss, die gute alte Zeit und darüber, dass das Ende von Opel quasi das neue Zechensterben sei. Auch Fotografen trifft man immer wieder an der Großbaustelle.

(Foto: Dominik Möller)

Dass sie Opel irgendwann verlassen würden, war sowohl Einenkel als auch seinen Kollegen klar. Dass es jedoch nicht die Rente ist, die Opel und seine Belegschaft scheiden würde, daran hat keiner zu glauben gewagt. Auch wenn sich die Schließungsgerüchte seit 2004 hartnäckig gehalten haben und schließlich im vergangenen Dezember wahr wurden. Die große Familie, die in den vergangenen 50 Jahren erst immer größer und zuletzt immer kleiner wurde, ist zerbrochen. Der Zusammenhalt ist allerdings noch immer spürbar. Auch, weil sie alle mit gemischten Gefühlen vor dem Bauzaun und den dahinter liegenden Trümmern stehen.

In einem Tankstellen-Bistro mit Blick auf die Abrissarbeiten auf dem Gelände des Opel-Werks sitzt Rainer Einenkel. Er trinkt Kaffee. Schwarz. Wenn er über seine 42 Jahre bei Opel spricht, tut er das sachlich und nüchtern. Wahrscheinlich muss er das tun. Aus Selbstschutz. Wie gefährlich die emotionale Seite der Schließung ist, vermag nur Einenkel selbst einzuschätzen. De facto hat der Kampf um die Existenz des Bochumer Werks Kraft, Nerven und Zeit gekostet. Viel Zeit. Und viel Kraft. Urlaub kennt Einenkel eigentlich nur als Randerscheinung.

Zwei Wochen im Jahr hat er sich und seiner Familie gegönnt. Zwei Wochen Holland. Häufig Texel. Und selbst in seinem Urlaub war er für Fragen rund ums Werk nahezu immer erreichbar. Egal, ob auf dem Fahrrad auf dem Weg zum Strand oder im Supermarkt.

Wie sich Urlaub tatsächlich anfühlt, hat Einenkel in den vergangenen Wochen erleben dürfen. Vor seinem Wechsel in die Transfergesellschaft hat er seinen Resturlaub abgefeiert. Wobei: Auch im Urlaub ist er nicht tatenlos. "Meine Frau sagt immer, sie hat genug Arbeit für mich. Sie könnte auch meine Chefin sein", sagt Einenkel. Er grinst.

Ob er über die Transfergesellschaft eine neue Anstellung finden wird, beschäftigt ihn nicht wirklich. "Es gibt Leute, die eher auf einen neuen Job angewiesen sind", sagt Einenkel. Er meint die jüngeren Kollegen. Die, deren Existenz und Familien sich noch im Aufbau befinden. Sollte ein Angebot kommen, wird er sich überlegen, ob er es annehmen möchte. Aber auch das Angebot seiner Frau steht.

Mehr als vier Jahrzehnte lang stand Opel für Einenkel an erster Stelle. Als 18-Jähriger kam Einenkel als Azubi ins Bochum Opel-Werk. Damals, 1972, waren dort noch mehr als 20.000 Menschen beschäftigt. Zuletzt waren es nur noch rund 3500. Schon im ersten Lehrjahr wurde Einenkel in die Jugend- und Auszubildendenvertretung gewählt. 1988 stieg er in den Betriebsrat auf.

Einenkel ist eine streitbare Persönlichkeit. Er ist ein Kämpfer, unbequem, mit eigenem Kopf. Ein Typ. Er hatte und hat klare Vorstellungen von dem, was er erreichen wollte. Mit viel Einsatz hat sich er für die Bochumer Belegschaft eingesetzt. Bis zum Schluss. Jetzt ist die Ehe mit Opel geschieden. Der Dienstwagen ist keiner mehr. Und auch die Marke, der Einenkel jetzt als Privatperson sein Vertrauen schenkt, ist ein Statement. Einenkel setzt auf schwedische Qualität. Der Blitz am Kühlergrill hat ausgedient. Zumindest fast. Denn zuhause in der Garage steht noch immer ein Stückchen Opel. Als Ersatz. Zur Erinnerung. Und für die Kinder…

Quelle: ntv.de

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