Wirtschaft

Doppel-Krise der Schweinebauern "Es herrscht Verzweiflung und Resignation"

Seit 2014 essen die Deutschen immer weniger Schweinefleisch pro Kopf.

Seit 2014 essen die Deutschen immer weniger Schweinefleisch pro Kopf.

(Foto: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild)

Knapp 260.000 Tonnen Schweinefleisch lagern in den Kühlhäusern der Republik und warten darauf, verkauft zu werden. Die Schweinebauern sind aus der einen Krise in die nächste geschlittert. Die Preise sind inzwischen so gering, dass sie pro Tier bis zu 70 Euro Verlust machten. Warum, das erklärt Torsten Staack von der Interessengemeinschaft der Schweinehalter (ISN) im Interview mit ntv.de.

ntv.de: Herr Staack, mehr als 260.000 Tonnen Schweinefleisch warten derzeit in Kühlhallen auf ihren Verkauf. Warum?

Torsten Staack: Wir haben eine echte Absatzkrise. Die ist dadurch entstanden, dass wir im vergangenen Jahr einen sogenannten "Schweinestau" hatten. Schweine, die geschlachtet werden sollten, wurden das wegen der Schlachthofschließungen in der Corona-Pandemie nicht. Das hat erst mit erheblichem Verzug stattgefunden und in der Folge sind die ganzen Mengen, die dann sehr geballt kamen, eingelagert worden. Sie stehen nun zum Verkauf und finden nicht zeitgerecht einen Abnehmer.

Dr. Torsten Staack ist Geschäftsführer der Interessengemeinschaft der Schweinehalter (ISN).

Dr. Torsten Staack ist Geschäftsführer der Interessengemeinschaft der Schweinehalter (ISN).

Darüber hinaus schwächelt der Export, seit im Herbst 2020 die Afrikanische Schweinepest in Deutschland angekommen ist, zusätzlich gab es einen schwachen Sommer. Wie problematisch sind die gesunkenen Preise?

Es gibt ein riesiges Problem auf den landwirtschaftlichen Betrieben, weil diese Krise schon so lange dauert. Das ist das Besondere im Vergleich zu anderen, vorherigen Entwicklungen. Mitte der 1990er Jahre war wahrscheinlich das letzte Mal, dass eine Preiskrise so lange dauerte. Aktuell macht ein Schweinehalter pro Schwein etwa 60 bis 70 Euro Verlust. Und das nicht nur über einen kurzen Zeitraum: Erst kam der "Schweinestau", jetzt die Absatzkrise. Das geht jetzt schon so lange, dass den Betrieben sprichwörtlich die Luft ausgeht. Deshalb brauchen sie gerade jetzt Hilfe.

Gilt das für alle Schweinebauern gleichermaßen?

Ja, aber besonders betroffen sind die Ferkelerzeuger, dort wo die Ferkel geboren werden. Die Schweine gehen danach zu einem Betrieb in die Mast. Dort gilt das Gleiche. Wir haben es nicht mit Schrauben, sondern Lebewesen zu tun. Kein landwirtschaftlicher Betrieb kann mal eben den Pausenknopf drücken. Die Tiere stehen weiterhin im Stall, müssen gefüttert werden und es fallen weitere Kosten an. Bis Maßnahmen zur Bestandsreduzierung wirksam werden, kann es bis zu einem Jahr dauern. Deshalb ist es so schwierig, auf die Krise zu reagieren. Abgesehen davon lebt ein Schweinehalter davon, dass er Schweine verkauft. Macht er das nicht, droht ihm die Pleite.

Wie nehmen Sie die Situation bei den Schweinehaltern wahr?

Auf den Betrieben herrscht Verzweiflung und Resignation. Viele Schweinehalter sind unverschuldet in Existenznöte geraten und wissen nicht mehr weiter. Noch vor Beginn der Corona-Pandemie gab es eine Phase mit sehr auskömmlichem Preisniveau. Viele Landwirte haben sich Gedanken um ihre Weiterentwicklung gemacht. Diskutiert wurde über andere Haltungsformen und Ställe. Mit Beginn der Pandemie hat sich das Blatt dann von einem Tag auf den anderen für die Schweinebauern zum Negativen gewendet: Viele stehen wirtschaftlich mit dem Rücken zur Wand. Hinzu kommt: Das sind nicht Betriebe, die es nicht erst seit einer Generation gibt. In der Regel sind das Höfe, die über viele Generationen betrieben wurden. Jedem sollte klar sein, was das mit einem Landwirt und seiner Familie macht, ausgerechnet die letzte Generation zu sein.

Seit 2014 sinkt in Deutschland der Pro-Kopf-Schweinefleischkonsum kontinuierlich. Die Entwicklung ist also nicht plötzlich. Hätten sich Schweinehalter darauf einstellen müssen?

Die Gewohnheiten ändern sich. In der Tat ist der Verzehr zurückgegangen, das Angebot aber auch. Das ist das Besondere an der Situation: Wir sind auf einem Stand der Schweineschlachtung wie zuletzt 2007. In Deutschland wird schon wesentlich weniger Schweinefleisch produziert. Den Schweinehaltern ist die gesellschaftliche Diskussion um andere Haltungsformen bewusst. Deswegen sagen sie: "Okay, dann sehen wir zu, dass wir die Tiere in anderen Ställen halten." Doch Genehmigungen und die wirtschaftliche Situation verhindern das derzeit. Die Bauern sind sehr marktorientiert und gucken genau, was am Markt passiert.

Dennoch ist die Zahl der Schweine in den Betrieben noch bis 2016 gestiegen.

Das ist nicht ganz richtig, weil wir verschiedene Effekte berücksichtigen müssen. Der Bestand der Tiere ist in den vergangenen fünf Jahren um fast 14 Prozent zurückgegangen, die Gesamtzahl der Betriebe um 30 Prozent. Die Betriebe, die am Markt verblieben sind, haben gleichzeitig deutlich mehr investiert und sind deshalb stärker gewachsen. Pro Betrieb gibt es deshalb mehr Tiere. Seit 2016 nimmt die Gesamtzahl der Schweine ab, genauso wie die der geschlachteten Tiere. Dazu sollte auch darauf geachtet werden, wie viele der geschlachteten Tiere aus dem Ausland importiert werden.

Discounter werfen Billigfleisch sukzessiv aus dem Sortiment. Sind die Schweinehalter darauf vorbereitet?

Das ist ein spannender Punkt. Wer Fleisch aus höheren Haltungsformstufen anbieten will, braucht Betriebe, die das hierzulande umsetzen können. Für entsprechende Stallkonzepte gibt es derzeit an vielen Stellen genehmigungsrechtliche Hürden. Zudem muss es eine entsprechende Preisbereitschaft beim Verbraucher geben. Machen wir uns nichts vor: Wir können Tierwohl noch so toll finden, wenn keiner bereit ist, dafür mehr zu bezahlen, können keine Tiere unter diesen Bedingungen gehalten werden. Und dann findet eine Auslagerung ins Ausland statt. Da muss ich ganz klar sagen: Wer solche Ideen nur auf die Frischetheke im Supermarkt bezieht, wird das Ziel nur schwer erreichen.

Warum?

An der Frischetheke wird nicht das ganze Schwein verkauft, sondern nur einzelne Teilstücke. Wir müssen aber auch über die Ganztiervermarktung sprechen. Ein Bauer kann nur ein ganzes Tier halten, muss sich also Gedanken machen, dass er auch jedes Teil davon verkauft. Dort geht es um die Verarbeitung, also Wurstwaren oder die Systemgastronomie, wo das Fleisch auf dem Teller landet oder im Restaurant verzehrt wird. Auch dort muss ich erkennen können, woher das Schwein kommt. Nur dann kann ich eine bewusste Kaufentscheidung treffen.

Am vergangenen Mittwoch lud Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner zum Schweinefleisch-Gipfel und versprach finanzielle Entlastungen. Was muss jetzt passieren?

Es muss ordentlich etwas passieren. Die hohen Lagerbestände hängen pandemiebedingt auch mit der Systemgastronomie und ausgefallenen Veranstaltungen zusammen. Die klassische Stadionwurst, das Steak auf dem Volksfest: All das fehlt gerade. Kurzfristig ist es wichtig, Absatzimpulse zu setzen. Am meisten hilft es den Bauern, wenn in dieser Phase möglichst viel deutsches Schweinefleisch beworben und verkauft wird. Solche Werbeaktionen hängen oft mit Preisnachlässen zusammen. Es klingt paradox, wenn gleichzeitig viele Landwirte sagen, wir kommen mit dem Preisniveau nicht zurecht. Aber erst wenn es die hohen Kühlhausbestände nicht mehr gibt, normalisiert sich der Preis.

Und langfristig? Klimaschützer fordern, Tierbestände zu reduzieren.

Wir stecken mitten in einer Umbruchphase. Es gibt eine gesellschaftliche Diskussion über mehr Tierwohl in den Ställen. Die Realität sieht noch anders aus. Ein Betrieb, der umbauen will, kann das aufgrund der wirtschaftlichen Situation und des Genehmigungsrechts nicht. Insofern ist es entscheidend, dass sich diese "Stallbaubremse" wieder löst. Kann sich ein Betrieb nicht weiterentwickeln, macht er das, was viele seiner Kollegen in den vergangenen fünf Jahren gemacht haben: den Schlüssel umdrehen. Dann verlagert sich die Tierhaltung ins Ausland. Der Teil der deutschen Sauenhaltung, der in den vergangenen fünf Jahren hierzulande abgesprungen ist, wurde entsprechend fast eins zu eins zum Beispiel in Spanien wieder aufgebaut. Hier wird deutlich, dass die Tierhaltung dann ohne Eingreifen ins Ausland abwandert, ohne eine Möglichkeit, dort auf Bedingungen einzuwirken.

Sie haben auch politische Hürden angesprochen.

Das mit dem Föderalismus ist immer so eine Sache, das gilt auch hier. An mancher Stelle treffen Bundesgesetze auf Landesvorgaben, bis hin zur Genehmigungsbehörde vor Ort. Konzepte wie der Borchert-Plan für mehr Tierwohl werden auf Bundesebene entwickelt, sind aber nicht so umsetzbar, dass die Genehmigungsbehörde Ställe genehmigen kann. Das scheitert dann an widersprechende Vorgaben vor allem zwischen Tier- und Emissionsschutz. Dafür sind zwei verschiedene Ressort zuständig: Landwirtschafts- und das Umweltministerium. Hier gab es in der ablaufenden Legislaturperiode oft Streit und keinen entscheidenden Durchbruch. Auch wegen der Wahlen befürchten wir, dass es da einen weiteren Stillstand gibt.

Machen Sie Ministerin Klöckner einen Vorwurf?

Wenn man der Politik Vorwürfe macht, dann dass die einzelnen Zuständigkeiten es nicht geschafft haben, ein Gesamtkonzept zu entwickeln. Es wäre unfair, die Schuld allein auf Frau Klöckner abzuwälzen. Umweltministerin Svenja Schulze und andere sind mindestens genauso beteiligt.

Mit Torsten Staack sprach Sebastian Schneider

Quelle: ntv.de

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