Fondsmanager im Interview Platzt am Aktienmarkt bald eine KI-Blase?
13.07.2024, 09:42 Uhr Artikel anhören
"Bei neuen Innovationen herrscht erst einmal Goldgräberstimmung, hohe Investitionen fließen in einen Sektor", erläutert Fondsmanager David Wehner.
(Foto: picture alliance / imageBROKER)
Angesichts des Hypes um Künstliche Intelligenz (KI) warnen einige Experten vor einer Blase. Fondsmanager David Wehner vom Vermögensverwalter Do Investment sieht zumindest eine Überbewertung, wie er im Interview mit ntv.de erklärt. Was Anleger nun beachten sollten.
ntv.de: Kritiker sehen eine KI-Blase am Aktienmarkt, zuletzt sorgte etwa die Prognose eines MIT-Professors für Aufregung: Goldman Sachs ließ Daron Acemoglu vorrechnen, warum er von viel geringeren Steigerungen bei Produktivität (0,5 Prozent in den USA) und BIP (0,9 Prozent) durch KI in den nächsten zehn Jahren ausgeht als optimistische Beobachter, die einen Sprung von bis zu 10 Prozent erwarten. Wie lautet Ihre Einschätzung: Handelt es sich um eine Blase?
David Wehner: Ich würde von einer gewissen Überbewertung sprechen. Der Sektor wird von sehr wenigen Unternehmen bespielt, aus der Halbleiterindustrie Nvidia, AMD und ASML sowie von den großen Tech-Unternehmen wie Microsoft, Google oder Apple. Sie haben in den vergangenen eineinhalb Jahren einen enormen Zuwachs bei der Marktkapitalisierung erlebt, auch weil viele Investoren in dem Bereich investieren wollen, aber es eben nur wenige Player gibt. Nun ist die große Frage, ob sich das Narrativ in deren Erträgen oder zumindest Prognosen niederschlägt.
Rechnen Sie damit?
Seit Anbeginn der Börsenzeit zeigt sich, dass neue Entwicklungen anfangs überschätzt und langfristig unterschätzt werden. Jede Innovation generiert einen klaren Vorteil, allerdings nicht in der anfangs vorgegebenen Zeit. In der Regel dauert es nicht zwei, drei Jahre, bis sich das Potenzial auswirken kann, sondern 10 bis 20 oder sogar 30 Jahre. Im Moment sind KI-Aktien relativ teuer, daraus ergibt sich ein gewisses Rückschlagpotenzial: Wenn sich die Erwartungen nicht in den nächsten zwei, drei Jahren niederschlagen und es vielleicht Rückschläge bei Forschung oder Rechenprozessen gibt. Ich würde es nicht mit der Dotcom-Blase vergleichen, damals waren die betroffenen Unternehmen wirtschaftlich nicht so stark wie die KI-Player heute, außerdem gab es damals zusätzlich einen Hype um Börsengänge. Aber: Der KI-Sektor könnte einem Realitätscheck unterzogen werden.
Kern von MIT-Professor Acemoglus Prognose - die auf der Auswertung von Studien basiert - ist, dass er nicht an ein so hohes Tempo der Transformation durch KI glaubt. KI wird seiner Einschätzung nach in den nächsten zehn Jahren auf weniger als fünf Prozent aller Aufgaben Auswirkungen haben, nur ein Viertel der von KI betroffenen Aufgaben werde sich innerhalb von zehn Jahren kosteneffizient automatisieren lassen. Teilen Sie diese Einschätzung?
Ja, denn der Aufbau der nötigen Infrastruktur ist sehr kostenintensiv. Aktuell kann nur ein Unternehmen - Nvidia - ausreichend Chips und Rechenkapazitäten herstellen. Es besteht die Hoffnung, dass andere wie AMD oder Intel zu Konkurrenten werden können, wodurch die Preise sinken und die Produktivität steigen würde. Aktuell zeichnet sich allerdings nicht ab, dass sich dieser Flaschenhals kurzfristig auflöst. Um die Entwicklung zu beschleunigen, müssten Chips breiter verfügbar sein.
Welche KI-Aktien sind besonders überbewertet?
Ich denke an die Top-Player im Halbleiterbereich und bei den Tech-Unternehmen an die mit besonders hohem Börsenwert. Daneben gibt es einige Nischen-Player mit niedrigem Börsenwert, die ebenfalls von dem Hype profitiert haben und jetzt mit Kursrücksetzern konfrontiert sein könnten.
Sollten Anleger ihre KI-Aktien jetzt also abstoßen?
Investoren der ersten Stunde, die also früh den richtigen Riecher hatten, müssen ja nicht gleich alles verkaufen. Aber sie könnten darüber nachdenken, Gewinne zu realisieren und ihr Kapital diversifizierter anzulegen.
Lohnt es sich, jetzt noch auf den KI-Zug aufzuspringen, also die inzwischen teuren Papiere zu kaufen?
Wir als Unternehmen sind momentan in einer abwartenden Haltung. Wir warten die Quartalsergebnisse der nächsten Wochen ab und schauen, ob sich die Euphorie auch langsam mal in den Ergebnissen niederschlägt oder zumindest in den Prognosen wiederfindet. Unser Portfolio ist zurzeit sehr breit aufgestellt, über fast alle wesentlichen Sektoren, mit keinen klaren Über- oder Untergewichten: Der Großteil liegt bei jeweils fünf bis zehn Prozent in der Gewichtung.
Sie verwalten ein Vermögen in Höhe von über einer Milliarde Euro für vermögende Privatpersonen, mittelständische Unternehmerfamilien, Stiftungen und staatsnahe Unternehmen - wie viel davon haben Sie in Aktien gesteckt, die vom KI-Hype profitieren?
Wir verfolgen einen sehr undogmatischen Ansatz und passen unser Portfolio immer dem Marktumfeld an. In der Hochphase des Aktienmarkts in den vergangenen drei Jahren hatten wir bei Aktien bis zu etwa 30 Prozent im Tech-Sektor investiert, denn wir fokussieren uns zum überwiegenden Teil auf großkapitalisierte Unternehmen mit entsprechend hohem Börsenwert. Jetzt haben wir den Anteil auf etwa 15 Prozent reduziert.
In welche KI-Papiere haben Sie investiert?
Da wir uns auf die Marktschwergewichte konzentrieren, dürften Titel nahezu aller großen Technologie-Unternehmen in unserem Portfolio sein.
Wie hoch ist der Aktienanteil insgesamt in Ihren Depots?
Das variiert je nach Anlageziel - ein Großteil unserer Mandanten hat 50 bis 80 Prozent seines Vermögens in Aktien angelegt.
Haben Sie einen Underdog-Tipp, dem im Zuge des KI-Hypes zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird?
Unterhalb der Top-Performer, die vor allem aus dem Technologie-Bereich kommen, gibt es mittlerweile viele Unternehmen und Sektoren, die günstig bewertet sind und nicht von dem Hype der letzten Monate profitieren konnten. Von ihrer Bewertung und Historie her haben sie enormes Aufholpotenzial, etwa aus den Bereichen Konsum, Pharma oder Industrie, auch die Automobilbranche. Es lohnt sich, einen Blick auf sie zu werfen.
Wie kam es überhaupt zu der Überbewertung im KI-Bereich, warum wird generative KI in Ihren Augen überschätzt?
Bei neuen Innovationen herrscht erst einmal Goldgräberstimmung, hohe Investitionen fließen in einen Sektor. In dieser Phase werden Annahmen getroffen zu Wachstum, Produktivitätssteigerung, Effizienz und natürlich Ertrag. Wie auch jetzt bei der KI sind es oft sehr wenige Unternehmen, die die Innovation darstellen können und in dieser Phase profitieren, das Kapital anziehen. Wenn die Erwartungen an eine Innovation ansatzweise erfüllt werden, kommt diese in die Breite, es entsteht eine Konkurrenzsituation. Die Preise sinken, Kapital wird abgezogen und in andere Unternehmen investiert. Bei der KI wird aktuell noch sehr stark auf die Innovatoren der ersten Stunde fokussiert, die noch sehr viel Kapital an sich binden. Ihre Kurse sind stark gestiegen, aber auch die Gewinne haben nachgezogen, dadurch ist das Kurs-Gewinn-Verhältnis fairer geworden. Die Überbewertung hat sich etwas relativiert. Trotzdem sind diese Unternehmen noch relativ hoch bewertet und nun stellt sich die Frage, ob sie ihre hohen Bewertungen mit genug Ertrag füllen können - oder es zu Enttäuschungen kommt.
Welche Rolle spielt KI eigentlich bei Ihrer eigenen Arbeit?
Bei uns im Unternehmen steht der Mensch im Fokus und somit spielt die KI derzeit eine sehr untergeordnete Rolle. Wir nutzen im Investitionsprozess keine Tools, die etwa Kaufsignale generieren, Unternehmen bewerten oder Bewertungsanomalien feststellen, sondern unseren eigenen Verstand. Wir ziehen eine fundamentale Bewertung zurate, sowohl konjunkturell, geopolitisch als auch bei den jeweiligen Einzeltiteln. Unsere Anlageentscheidungen treffen wir eigenständig und vertreten diese gegenüber unseren Mandanten und Investoren.
Mit David Wehner sprach Christina Lohner
Quelle: ntv.de