Selbst bei Milliardenhilfen für Athen Ökonomen erwarten "weiteres Siechtum"
11.07.2015, 08:49 Uhr
Eine Frau gibt einem Straßenmusiker in Athen Geld.
(Foto: AP)
Auch wenn das griechische Parlament die Reformliste von Ministerpräsident Tsipras billigt: Chefvolkswirte deutscher Banken bleiben skeptisch, was die Zukunft des Landes angeht.
Das griechische Parlament hat die Reformliste von Ministerpräsident Alexis Tsipras gebilligt - doch bringt das die Wende? Führende deutsche Ökonomen sehen noch lange keinen Grund zum Aufatmen und erwarten, dass der "Grexit" auch in Zukunft Thema sein wird.
Nach Einschätzung von DekaBank-Chefvolkswirt Ulrich Kater würden neue Milliardenhilfen Griechenland nur einige Jahre Luft verschaffen. "Mit einem neuen Hilfsprogramm in der Größenordnung von 50 bis 80 Milliarden Euro wäre das Thema Grexit für ein oder zwei Jahre vom Tisch", sagte Kater. Bei einem anschließenden "Weiter so" in Athen und den restlichen Euro-Ländern werde das Thema in einigen Jahren aber wieder auf den Tisch kommen.
Die Chancen auf eine Einigung mit den Geldgebern sind nach den jüngsten Reformvorschlägen Athens aus Katers Sicht zwar gestiegen. Wesentlich sei aber die Frage des Schuldenschnitts. "Aus griechischer Sicht ein wesentliches Element einer Vereinbarung, aus der Sicht vieler Geberländer ein Tabu." Eine mögliche Lösung: Keine sofortige Schuldenerleichterung, aber Zusagen bei Einhaltung der Reformen. Die Aussichten für Hellas beurteilt Kater auch unabhängig von der Mitgliedschaft im Euro-Raum pessimistisch: "Etwas anderes als ein weiteres Siechtum der griechischen Wirtschaft wäre eine dicke Überraschung."
Auch die Chefvolkswirtin der Landesbank Hessen-Thüringen (Helaba), Gertrud Traud, hält die Gefahr eines "Grexit" selbst bei einer Einigung mit den Geldgebern nicht für gebannt. "Sollte der politische Wille am Wochenende siegen, heißt dies noch nicht, dass ein 'Grexit' vollkommen vom Tisch ist", sagte Traud. So reichten die diskutierten Sparmaßnahmen nicht aus, um Hellas dauerhaft auf einen Wachstumspfad zu bringen.
Kosten der Rettung steigen immer weiter
Die Kosten der Griechenland-Rettung seien in den vergangenen Wochen aufgrund der Kapitalverkehrskontrollen und des weiteren Einbruchs der Wirtschaft massiv gestiegen. "Aufgrund des Referendums hat Regierungschef Alexis Tsipras aber eigentlich kein Mandat, um überhaupt weitere Zugeständnisse zu machen", sagte die Helaba-Chefvolkswirtin.
Der Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer bleibt ebenfalls skeptisch. Die griechischen Reform- und Sparvorschläge hätten zwar die Chancen auf eine Einigung mit den Geldgebern erhöht. "Aber noch steht es auf Messers Schneide", sagte Krämer.
Abgesehen von kosmetischen Änderungen habe Regierungschef Alexis Tsipras dieselbe Reformliste vorgelegt, die die Griechen beim Referendum am vergangenen Wochenende abgelehnt hätten. "Deshalb kann Tsipras nur dann sein Gesicht wahren, wenn er etwas Zusätzliches für Griechenland herausschlägt." Das könnten nur Erleichterungen beim Schuldendienst sein, sagte der Ökonom.
"Lieber 'Grexit' als fauler Kompromiss"
Ein "Grexit" wäre aus seiner Sicht für die restliche Währungsunion keine Gefahr mehr. "Lieber ein 'Grexit' als ein fauler Kompromiss, der die Reformgegner in den anderen Ländern der Währungsunion stärkt." Griechenland selbst wird nach seiner Einschätzung ein armes Land bleiben - innerhalb oder außerhalb der Währungsunion.
KfW-Chefvolkswirt Jörg Zeuner wertet die neuen Athener Reformvorschläge als Chance für einen Neuanfang. "Dennoch wird es eine große Herausforderung für die griechische Wirtschaft und Politik, die notwendigen Anpassungen dauerhaft zu bewältigen", sagte der leitende Ökonom der staatlichen Förderbank in Frankfurt.
"Worauf es zuvorderst ankommt, ist Vertrauen und Sicherheit als Grundlage für neues Wachstum zu schaffen. Ganz zentral dabei ist die Stabilisierung des Bankensektors."
Die neuen Vorschläge aus Griechenland sehen unter anderem die Abschaffung von Steuervergünstigungen für den Tourismussektor und die Inseln und die Anhebung des Rentenalters auf 67 Jahre vor.
Quelle: ntv.de, ghö/dpa