Wirtschaft

Erklärungsversuche im Kursstrudel Top-Ökonom drängt zur Eile

Die Börsenwelt steht Kopf: Die Politik muss reagieren.

Die Börsenwelt steht Kopf: Die Politik muss reagieren.

(Foto: REUTERS)

Nach den heftigen Kursturbulenzen und der "schwärzesten Börsenwoche" seit der Lehman-Pleite herrscht weiterhin helle Aufregung an den Märkten: Der Chefvolkswirt der Deutschen Bank schwört Europas Politiker auf eine "schnelle und effektive Umsetzung" der Euro-Beschlüsse ein. Die Rating-Krise in den USA könnte die Lage dramatisch verschärfen.

Der Chefvolkswirt der Deutschen Bank, Thomas Mayer, sieht angesichts der Kursstürze an den Börsen die Politik in der Pflicht. "Eine schnelle und effektive Umsetzung der jüngsten Beschlüsse zur Stabilisierung der Europäischen Währungsunion und Konjunkturdaten, die besser ausfallen als erwartet, könnten zu einer Aufwärtskorrektur an den Märkten führen", sagte Mayer. Der Euro-Gipfel zur Griechenlandrettung hatte ein milliardenschweres Stabilisierungspaket für die Krisenstaaten beschlossen. Vieles ist aber noch offen.

Thomas Mayer, Chefvolkswirt der Deutschen Bank (Archivbild).

Thomas Mayer, Chefvolkswirt der Deutschen Bank (Archivbild).

So wird der Beschluss, dass der europäische Krisenfonds EFSF zur Absicherung von Krediten an Italien eingesetzt werden könnte, möglicherweise erst im Herbst umgesetzt. Auch der Streit über Details der Beteiligung privater Gläubiger an der Griechenland-Hilfe geht in der EU weiter.

Aus Sicht Mayers besteht bei deutlichen Kurseinbrüchen immer die Gefahr von "negativen Rückkopplungseffekten". Das heißt, die schlechte Stimmung an den Börsen dämpft die Konjunkturentwicklung, was zu weiteren Kursrückgängen führt. "Deshalb wäre es zu wünschen, dass es der Wirtschaftspolitik gelingt, durch vertrauensbildende Maßnahmen, ein Wende zum Besseren einzuleiten", sagte Mayer.

Hauptgrund für die Kursstürze ist aus Sicht des Ökonomen der Verlust an Zuversicht. "Die Eurokrise und die amerikanische Staatsschuldenkrise haben Unternehmen und Verbraucher nervös gemacht".

Hinzu komme die Sorge, dass die in den Schwellenländern politisch gewollte Abkühlung der Konjunktur stärker als gewünscht ausfallen könnte. Aber "es besteht zumindest die Hoffnung, dass die Kursrückgänge übertrieben sind", sagte Mayer.

Rating verdrängt Euro-Krise

Mit dem "AAA"-Tabubruch dürfte sich der Brennpunkt der Krise auf den Dollar verlagern.

Mit dem "AAA"-Tabubruch dürfte sich der Brennpunkt der Krise auf den Dollar verlagern.

(Foto: REUTERS)

Die Euro-Länder drücken unter dem Eindruck eines dramatischen Kursrutsches an den Börsen beim Kampf gegen die Euro-Schuldenkrise aufs Tempo. Nach Telefonaten unter anderem mit Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy kündigte Italiens Regierungschef Silvio Berlusconi eine schnellere Umsetzung von Reformen an. Zudem regte er an, ein für September geplantes G7-Finanzministertreffen vorzuziehen. Frankreichs Finanzminister Francois Baroin, dessen Land die G7-Präsidentschaft innehat, sagte, noch sei dazu nichts entschieden. Zusätzliche Dringlichkeit für ein solches Treffens könnte die Herabstufung der Bonität der USA durch die US-Ratingagentur Standard & Poor's liefern.

Berlusconi kündigte am Freitagabend nach einem Tag voller dramatischer Kursbewegungen an den Märkten an, seine Regierung werde ihr Reformprogramm beschleunigen. Ziel sei nun, 2013 und damit ein Jahr früher als geplant einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen. Unbestätigten Angaben zufolge soll die Europäische Zentralbank (EZB) eine weitere flankierende Unterstützung Italiens an Bedingungen geknüpft haben. Von den verschärften Sparbemühungen solle es demnach abhängen, ob die EZB weiter dazu bereit sei italienische Staatsanleihen anzukaufen und damit den Druck auf die Renditen zu dämpfen. Italiens Staatsverschuldung lag zuletzt bei rund 120 Prozent. Investoren verlangten in den letzten Tagen immer höhere Risikoaufschläge für den Ankauf italienischer Staatsanleihen.

Begleitet wurde der italienische Schritt von hektischen Abstimmungen zwischen europäischen Politikern angesichts der großen Nervosität an den Märkten. Die Bundesregierung sprach nach Telefonaten Merkels mit Berlusconi, Sarkozy und dem britischen Premierminister David Cameron am Freitagabend von großer Einigkeit in der Haltung, die Beschlüsse des Euro-Sondergipfels vom 21. Juli zu neuen Griechenland-Hilfen und zu neuen Aufgaben für den Euro-Schutzschirm EFSF "schnell" umzusetzen. Auch mit US-Präsident Barack Obama sprach Merkel später noch über die Lage der Weltwirtschaft und die Entwicklungen in der Euro-Zone.

Endet die Berliner Sommerpause früher?

Die Bundesregierung hatte in den vergangenen Tagen immer wieder darauf verwiesen, dass sie die Beschlüsse des Gipfels gleich nach der Sommerpause in den ersten September-Tagen durch den Bundestag bringen will. Wollte sie das Verfahren aber beschleunigen, müssten die Parlamentarier aus dem Sommerurlaub geholt werden. Dafür gibt es aber bislang keinerlei Planung.

Der Vize-Fraktionschef der SPD im Bundestag Joachim Poß kritisierte, die Telefonaktionen von Merkel reichten "weder vorne noch hinten". Allein mit der schnellen Umsetzung der Gipfelbeschlüsse sei es nicht getan. Nötig seien konzertierte Aktionen der G7, der Gruppe von sieben großen Industrieländern, und Europas. Poß forderte ein gemeinsames Agieren der Notenbanken an den Devisenmärkten, ein umfassendes Wachstums- und Konsolidierungsprogramm inklusive einer Steuer auf Finanztransaktionen sowie die Einführung gemeinsamer europäischer Anleihen - also von Eurobonds, die die Bundesregierung bislang entschieden ablehnt.

Auch ein vorgezogenes Treffen der G7-Finanzminister werde die Nervosität an den Börsen nicht beenden, sagte der Konjunkturexperte des Instituts für Weltwirtschaft, Joachim Scheide. Die Märkte seien nervös, weil sie sähen, dass die politischen Akteure in den USA wie in Europa ihre Schuldenprobleme nicht im Griff hätten. Zu dieser Nervosität habe EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso mit seiner jüngsten Forderung noch beigetragen, den Euro-Rettungsschirm auszuweiten und die Gipfelbeschlüsse schon wieder zu überarbeiten. Die Abwertung der Bonität der USA durch die Ratingagentur Standard & Poor's wundere ihn nicht.

Auch Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler griff die EU-Kommission wegen ihrer Forderungen nach einer Ausweitung des Euro-Rettungsschirm und weiteren Anpassungen an. Wer meine, schon zwei Wochen nach den diese wieder infrage zu stellen, erreiche das Gegenteil von Stabilisierung und verunsichere die Märkte, sagte Rösler dem Magazin "Focus". Alle Euro-Länder sollten eine Schuldenbremse in ihre Verfassung aufnehmen.

Quelle: ntv.de, dpa/rts

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