Kolumnen

Inside Wall Street Die Finanzwelt beim Fliegenfischen

New Yorker könnten es für eine Fototapete halten: Doch Jackson Hole bietet echte Berge und reichlich frische Luft.

New Yorker könnten es für eine Fototapete halten: Doch Jackson Hole bietet echte Berge und reichlich frische Luft.

(Foto: REUTERS)

Nervös schaut die Wall Street auf ein abgelegenes Bergdorf im Westen von Wyoming. Von dort erwarten Börsianer ein erlösendes Signal der US-Notenbank. Ihre Hoffnungen stützen sie auf das Jahrestreffen der Währungshüter in Jackson Hole - ein Ort mit beeindruckender Geschichte.

Ernste Sache: Was besprechen die Währungshüter?

Ernste Sache: Was besprechen die Währungshüter?

(Foto: AP)

ist ein leidenschaftlicher Angler. Fliegenfischen ist seine besondere Passion, und in der Hoffnung, eine flinke Forelle an den Haken zu bekommen ging der legendäre Chef der amerikanischen Notenbank auch mal weite Wege. Das wusste auch Tom Davis, als er 1982 nach einem neuen Veranstaltungsort für das Jahrestreffen der "Kansas Fed" suchte. Vier Jahre lang hatte die regionale Notenbank ihr Meeting in den Metropolen ihres Bezirks abgehalten, zuletzt auch im Ski-Paradies von Vail, Colorado – ohne Erfolg. Die Großen der Finanzwelt hatten kein Interesse an einem Meeting mitten im dünn besiedelten Westen.

Davis, seinerzeit Research-Chef der Notenbank, hatte die zündende Idee: Mit Speck fängt man Mäuse, und mit Fliegenfischen eben den obersten Notenbanker. Eine gründliche Recherche im regionalen Fed-Bezirk (der Colorado, Kansas, Nebraska, Oklahoma und Wyoming umfasst, dazu den nördlichen Teil von New Mexico und den westlichen Rand von Missouri) rückte zunächst einige Seen in Colorado ins Blickfeld. "Zu warm für Forellen", warnte jedoch ein Angelexperte, man solle sich einmal Jackson Hole in Wyoming anschauen.

Plus 28 Prozent im Dow

"Von hatte ich noch nie gehört", erinnert sich Davis 30 Jahre später – doch der Plan ging auf. Paul Volcker kam und sprach (und angelte), und plötzlich war das Treffen der "Kansas Fed" etabliert. Seit dreißig Jahren ist es nun der wichtigste Notenbankgipfel Amerikas.

Rund 140 Gäste reisen jedes Jahr an, darunter sämtliche Größen der Wirtschafts- und Finanzwelt. Der Chef aus Washington ist jedes Jahr dabei, sein Gegenüber von der EZB auch – abgesehen von diesem Jahr, da mitten in der Euro-Krise lieber in Frankfurt bleibt. Zum Fliegenfischen fehlt ihm wohl die Zeit. Oder die Geduld.

Doch auch ohne Draghi sind die Augen der Welt auf Jackson Hole gerichtet. Aus gutem Grund, denn in seiner dreißigjährigen Geschichte hat das Treffen immer wieder für Schlagzeilen und teils heftige Marktreaktionen gesorgt. brachte etwa Ben Bernanke erstmals "QE2" auf, eine zweite Runde im Anleihen-Programm der Fed, die mit der milliardenschweren Aktion der schwachen US-Konjunktur helfen wollte. Die Märkte jubelten und starteten zu einer Rally, die den Dow Jones letztlich um 28 Prozent klettern ließ.

Weit entfernt von den großen Finanzzentren: Jackson Hole, der Tagungsort des alljährlichen Treffens der Notenbanker, liegt in einem Tal am Rande der Rocky Mountains im US-Bundesstaat Wyoming.

Weit entfernt von den großen Finanzzentren: Jackson Hole, der Tagungsort des alljährlichen Treffens der Notenbanker, liegt in einem Tal am Rande der Rocky Mountains im US-Bundesstaat Wyoming.

Weniger freundlich war die Stimmung 2005, als sich Raghuram Rajan, ein Volkswirt der Universität Chicago, den scheidenden Fed-Präsidenten vorknöpfte. Unter dessen Aufsicht hätte sich das amerikanische Finanzsystem gewaltige Risiken aufgehalst, die möglicherweise die wirtschaftliche Stabilität der USA gefährden könnten, wetterte Rajan.

Frierende Kommunisten

Er brachte damit die ganze Konferenz gegen sich auf. Zahlreiche Teilnehmer, darunter der ehemalige Finanzminister Larry Summers, kritisierten Rajans Mahnung als "irre" und "fehlgeleitet" – drei Jahre später war klar, dass er recht hatte. In Jackson Hole hatte wieder einmal einer der klügsten Denker gesprochen, auch wenn man das nicht gleich realisierte.

Einen diplomatisch kritischen Moment erlebte das Treffen 1990. Die Sowjetunion lag in den letzten Zügen, als zahlreiche Notenbanker des Ostblocks nach Jackson Hole flogen, um sich für die post-kommunistische Ära zu stärken. Zuvor hatten sie die Wetteraussichten geprüft – allerdings für das schwül-heiße Jackson/Mississippi. Die Delegation erfror fast in der Höhenluft von Wyoming, wie sich der damalige Chef der Kansas Fed, Roger Guffey, erinnert.

Dem Erfolg des jährlichen Meetings tat die Episode keinen Abbruch, und Jackson Hole ist bis heute einer der wichtigsten Gipfel der internationalen Finanzwelt. Und der Ort ist nach wie vor unschlagbar: Zwischen hitzigen Diskussionen um Zinspolitik und Konjunkturhilfen zieht es die Notenbanker jedes Jahr in die Natur. Eine Wanderung im Bergparadies, bevölkert von Elchen und Bison-Herden, hat schon manchem den Kopf frei gemacht.

Und wer nicht wandern will, der kann ja Fliegenfischen. Auch nach zahlreichen Angelausflügen gibt es noch genug Forellen.

Quelle: ntv.de

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