Kolumnen

Per Saldo Im Schatten der WM

Deutschland ist im Achtelfinale - alles andere scheint zweitrangig. Doch während die Republik dem Spiel gegen England entgegen fiebert, knirschen in der Wirtschaftswelt die Weichen. Ein Blick zurück auf eine wilde Woche.

Fans im Fußballtaumel: Die Augen der Welt schauen zur WM nach Südafrika. Doch Planet und Börsen drehen sich weiter.

Fans im Fußballtaumel: Die Augen der Welt schauen zur WM nach Südafrika. Doch Planet und Börsen drehen sich weiter.

(Foto: REUTERS)

Was für eine Woche: China lockert den Wechselkurs, in Frankreich steht ein Börsenhändler vor Gericht und in den USA schwemmt ein politischer Ölteppich immer größere Teile der Energiewende an den Strand. Ein Schatzkanzler schockt in Großbritannien die Königin, ein kleines Städtchen rüstet sich in Kanada für den G8-Gipfel, und in Deutschland attackiert eine Investorenlegende die Bundesregierung.

In den Augen der Öffentlichkeit bleibt das alles Nebensache. Denn gleichzeitig läuft in Südafrika das größte Medien- und Marketingspektakel in der Geschichte der Menschheit. Deutschland tritt im Achtelfinale gegen England an. Die WM 2010 droht, gewichtige Ereignisse zu überlagern. Der amtierende Weltmeister Italien und Titelfavorit Frankreich scheiden frühzeitig in der Vorrunde aus. Wie ist das alles nur passiert?

Da drin ist er, der harte Sparplan für die Briten: Schatzkanzler George Osborne mit der traditionellen "Budget Box", einem Lederköfferchen, das seit den Tagen von Amtsvorgänger William Ewart Gladstone (1809 - 1898) eine tragende Rolle in der britischen Haushaltspolitik spielt.

Da drin ist er, der harte Sparplan für die Briten: Schatzkanzler George Osborne mit der traditionellen "Budget Box", einem Lederköfferchen, das seit den Tagen von Amtsvorgänger William Ewart Gladstone (1809 - 1898) eine tragende Rolle in der britischen Haushaltspolitik spielt.

(Foto: REUTERS)

Gleich zu Wochenbeginn spielt China den Ball an die Devisenmärkte: Peking begeistert mit einer neuen Lockerheit in der eigenen Wechselkurspolitik. Im Devisenstreit zeichnet sich Bewegung ab. Die neue Yuan-Strategie gilt als Steilvorlage in den schwierigen Verhandlungen mit den USA. Es geht dabei auch um die Exportungleichgewichte in der Welt. Die Stimmung an den Börsen ist prächtig: Der Dax kratzt an der Marke von 6300 Punkten.

Ein ganz anderes Leder treten die Briten: Am Dienstag präsentiert der frisch ernannter Schatzkanzler David Osborne seiner Königin einen schmerzhafte Nothaushalt. Der Plan des Finanzministers sieht harsche Einsparungen, eine Bankenabgabe und eine Erhöhung der Mehrwertsteuer auf 20 Prozent vor. Sogar der Haushalt der Queen wird "eingefroren".

Allein für 4,9 Mrd. Euro Schaden verantwortlich? Oder ist Jerome Kerviel nur das Bauernopfer nachlässiger Bank-Manager?

Allein für 4,9 Mrd. Euro Schaden verantwortlich? Oder ist Jerome Kerviel nur das Bauernopfer nachlässiger Bank-Manager?

(Foto: Reuters)

In Frankreich nestelt der Staatsanwalt derweil an der roten Karte: Der Prozess gegen den früheren SocGen-Banker Jerome Kerviel geht in die entscheidende Runde. Geldhaus und Händler streiten um die Frage, wie ein einzelner Mitarbeiter der Bank einen Verlust von rund 4,9 Mrd. Euro zufügen konnte.

Am Mittwoch greift die EU im Kloschüsselkartell mit harten Strafen durch. Die Aktie von Villeroy & Boch verliert bis zu 30 Prozent. Das lenkt die Aufmerksamkeit der Anleger kurz von den Achtelfinalspekulationen ab. Auch die Weltkonjunktur kann sich Chancen ausrechnen: Die Internationale Energieagentur korrigiert ihre Schätzungen zur globalen Ölnachfrage nach oben. Konsumforscher entdecken eine Sonderkonjunktur im Zusammenhang mit der Fußball-WM. Die Verbraucher lassen sich von der Spardebatte nicht stärker als sonst verunsichern, heißt es. Das Konsumklima bleibt angenehm stabil, das Vertrauen in die Konjunktur wächst. Weitere Forschungsinstitute heben ihre Wachstumsprognose an. Am Abend gewinnt Deutschland gegen Ghana 1:0. Immerhin.

Hinter Blumen in der Humboldt-Uni: George Soros auf dem Weg zu Rednerpult und Regierungsattacke.

Hinter Blumen in der Humboldt-Uni: George Soros auf dem Weg zu Rednerpult und Regierungsattacke.

(Foto: REUTERS)

Am Donnerstag grätscht US-Investor George Soros öffentlich in den Sparkurs der Bundesregierung. In Reden und Gastbeiträgen erklärt der frühere Pfund-Spekulant, was beim Euro alles schief läuft, und warum die Bundesregierung mit ihren strikten Sparabsichten den Zusammenhalt der Währungsunion riskiert. Soros legt den Deutschen in einem Gedankenspiel sogar den Ausstieg aus der Euro-Zone nahe. In der Washington-Kurve ertönen Fan-Gesänge: "Konjunkturerholung vor Defizitabbau". Wie zur Bestätigung stößt die US-Notenbank in ein ähnliches Horn: Die Fed bekräftigt ihre Geldpolitik der extremen Niedrigzinsen "für einen längeren Zeitraum". Ein US-Exit ist nicht in Sicht. Weder bei der WM noch in der Stimulus-Politik der USA.

Politiker-Spiel ohne Zuschauer

Zum Ende der Woche blicken die Märkte nach Kanada: Am Freitag kommen die Staats- und Regierungschefs der führenden Industriestaaten und Russland (G8) in Huntsville, gut 220 Kilometer nördlich von Toronto, zusammen. Fernab von der Welt und im Vorfeld des G20-Treffens will Gastgeber Stephen Harper zusammen mit der Mannschaft Merkel, Sarkozy, Cameron, Berlusconi, Kan, Medwedew und Obama an der taktischen Aufstellung feilen, die die Welt vor einer Wiederholung der Krise bewahren soll. Tags darauf in Toronto stoßen dann auch die neuen Wirtschaftsmächte China, Brasilien und Indien dazu. Die wichtigsten Köpfe der größten Wirtschaftsräume sind versammelt. Ein Hauch von Weltregierung schwebt über der politischen Arena.

Echte Sportsgemeinde: Huntsville begrüßt seine Gäste.

Echte Sportsgemeinde: Huntsville begrüßt seine Gäste.

(Foto: REUTERS)

Beim Doppelgipfel in Kanada dreht sich alles um die Frage: Sollen die Staaten sparen oder schieben? Sollte Deutschland auf George Soros hören? Sollte Schäuble das Sparen vertagen und sich lieber um die private Konsumlaune der Deutschen kümmern? Sollen die USA, die Briten, Franzosen und alle anderen ihre Banken hart an die Kandare nehmen? Und ihre Staatsschulden so gut es geht reduzieren? Oder ist es besser, lieber erst einmal ein bisschen Aufschwung abzuwarten? Was für eine Frage – und was für eine Woche.

Spätestens wenn die WM vorbei ist, wird sich zeigen, was hinter dem Fußball-Jubel alles geschehen ist. Spätestens dann wird sich die Welt ihren Problemen wieder mit ungeteilter Aufmerksamkeit zuwenden müssen.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen